158389.fb2 Rauch ?ber dem Mississippi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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So schnell seine Hände auch waren, in Martins Augen waren sie viel zu langsam. Der stämmige Bauernsohn mit dem runden, offenen Sommersprossengesicht und dem rot-blonden Haar bildete sich ein, die Herz-Dame keine Sekunde aus den Augen gelassen zu haben.

Als der Spieler fertig war, die drei Karten ruhig vor ihm lagen und er den Farmer aufforderte, seine Wahl zu treffen, wartete Martin gespannt, auf welche Karte der Bärtige zeigen würde. Der Auswanderer war sich sicher, daß der Trumpf in der Mitte lag.

Die Hand des Farmers schwebte über der Kiste, ging mal zur einen, mal zur anderen Seite. Als sie über der mittleren Karte anhielt, wollte Martin ihm voller Spannung schon zurufen, auf diese Karte zu zeigen. In der letzten Sekunde hielt er sich zurück, weil das wohl kaum ein ehrlicher Gewinn für den Mann gewesen wäre. Aber zu Martins Enttäuschung wanderte die Hand weiter nach rechts, stieß nach unten - und schwenkte im letzten möglichen Augenblick doch noch um auf die Karte in der Mitte.

Martin atmete auf, als ginge es um sein eigenes Geld. Er war sich dessen nicht bewußt, aber die am ganzen Mississippi wohlbekannte Krankheit namens Spielfieber hatte ihn erfaßt.

Der spitzgesichtige Spieler sah den Farmer zweifelnd an. »Sind Sie sicher, Sir, daß es diese Karte sein soll?«

»Sicher bin ich sicher«, antwortete der Bärtige und spuckte einen schwarzen Strahl neben die Kiste auf den Kai.

»Wie Sie wollen«, erwiderte der Spieler mit einem Achselzucken und deckte die mittlere Karte auf.

Es war die Herz-Dame.

Die Augen im Gesicht des Bärtigen leuchteten auf, während die im Gesicht des Spitzgesichtigen überrascht von einer Ecke in die andere rollten. Damit schien der Spieler wirklich nicht gerechnet zu haben und legte mit fahrigen Bewegungen eine zweite Fünfzig-Cent-Note auf den zerknitterten Geldschein des Farmers.

»Sie sind ein Kind des Glücks, Sir«, stellte der Spieler fest, als er sich wieder gefaßt hatte. »Wie sieht es aus, wagen Sie noch ein Spiel?«

»Aber sicher doch«, brummte der Farmer, der Gefallen an dieser leichten Art des Geldverdienens zu finden schien. »Ich setz', was auf der Kiste liegt.«

Während der Spieler wieder die Karten mischte, wuchs die Menge der Neugierigen um seinen Kistentisch allmählich an. Martin sicherte sich einen Platz in der vordersten Reihe und war sich diesmal sicher, daß die Herz-Dame die Karte war, die - von ihm aus gesehen - rechts außen lag. Der Farmer benötigte weniger Zeit zum Überlegen und tippte auf die von Martin favorisierte Karte. Wieder lagen beide richtig, und schon hatte der Bärtige aus seinem halben Dollar zwei ganze gemacht.

Kein Wunder, daß er sich zu einem dritten Spiel hinreißen ließ und dafür den auf der Kiste liegenden Einsatz um drei weitere Dollar, die er in zerknitterten Scheinen aus den Tiefen seiner Jacken- und Hosentaschen zusammensuchte, erhöhte. Fünf Dollar mußten für den Mann ein Menge Geld sein.

Vielleicht alles, was er bei sich trug.

Erneut war es für Martin ein leichtes, die Herz-Dame im Auge zu behalten; sie landete wiederum in der Mitte. Er war überrascht, als der Farmer auf die Karte links außen tippte. Und der Farmer war überrascht, als der Spieler die Kreuz-Acht aufdeckte.

»Pech«, meinte der Mann mit dem Nagetiergesicht und drehte dann die mittlere Karte um. »Ich hätte diese hier genommen.«

Es war, wie Martin vermutet hatte, die Herz-Dame.

Mit bedauerndem Gesichtsausdruck strich der Spieler die fünf Dollar ein. »Diesmal haben Sie nicht so gut aufgepaßt, Sir. Versuchen Sie es noch einmal, und Sie werden sehen, das Glück kommt zu Ihnen zurück.«

»Nein«, sagte der Farmer mit leiser Stimme. »Ich hab' nichts mehr.«

Er zog sich vom Stand des Spielers in die zweite Reihe zurück.

»Das war Pech für den Gentleman, aber zweimal hat er gewonnen«, rief der Spieler und sah in die Runde, die sich um ihn gebildet hatte. »Wer will es wagen, mit der Kraft seiner Augen und mit Fortunas Hilfe schnell sein Glück zu machen?«

»Ich«, platzte es aus Martin heraus, und er stand direkt vor der Kiste, ehe er noch die Bewegung seiner Beine registrierte. Jacob und Irene wollten ihn zurückhalten, aber es war schon zu spät. Martin hatte bereits einen Zwei-Dollar-Schein aus seiner Geldbörse genommen und zuversichtlich auf die Kiste gelegt.

Der Spieler lobte den Mut seines Gegenübers und begann mit dem Mischen der Karten. Für andere Leute mochte er schnell sein, für Martin war er langsam. Er hatte die Herz-Dame stets im Blickfeld und tippte keine Sekunde nach Beendigung des Mischens selbstsicher auf die linke Karte.

»Sie haben sich aber schnell entschieden«, staunte der Spieler. »Sind Sie sich denn auch sicher, Sir?«

»Das bin ich, und ob!«

»Dann wollen wir mal sehen«, meinte der Spitzgesichtige und drehte die bezeichnete Karte um. »Herz-Dame ist Trumpf!«

Und Martin war um zwei Dollar reicher. Er ließ den Gewinn liegen, rundete um einen weiteren Dollar auf und wartete während des erneuten Mischens sehnsüchtig darauf, aus seinen fünf Dollar zehn zu machen.

Diesmal lag die Herz-Dame rechts, und wieder tippte der Auswanderer ohne Zögern auf die richtige Karte. Der Spieler drehte sie um und schob Martin dann zerknirscht fünf Dollar zu, die er aus seiner Jacke holte.

»Wollen Sie Ihr Glück nicht lieber ruhen lassen, Sir?« fragte der Spieler kleinlaut und ließ bittend seine Augen rollen. »Man sollte es niemals zu sehr herausfordern. Außerdem machen Sie aus mir noch einen armen Mann.«

Aber Martin kannte kein Erbarmen. Die Spielleidenschaft brannte in ihm wie die Holzscheite in einem Dampfkessel, dessen Feuerbüchse offenstand. Die Art und Weise, wie sich hier sein Geld vermehrte, nahm ihn so sehr gefangen, daß er zu den zehn Dollar, die jetzt vor ihm lagen, zehn weitere aus seiner Börse legte.

»Was ist?« fuhr er den wie toll mit den Augen rollenden Spieler an. »Ist das etwa zuviel für Sie?«

»Ich weiß nicht, Sir«, meinte der kleine Mann zögernd. »Das ist sehr viel Geld.«

»Ich verspreche Ihnen auch, daß es mein letzter Einsatz ist. Danach räume ich das Feld.«

Jacob trat hinter seinen Freund und legte eine Hand auf seine Schulter. »Laß es gut sein, Martin. Du hast schon genug Geld in kurzer Zeit verdient. Der Mann hat recht. Man soll das Glück nicht herausfordern.«

Martin riß sich mit einer heftigen Bewegung los.»Laß mich doch, Jacob. Es ist schließlich mein Geld!«

»Aber wenn du es verlierst, bleibt dir nicht viel übrig.«

»So gut wie nichts. Aber das ist nicht weiter schlimm. Denn ich werde es nicht verlieren!«

»Ich bin einverstanden«, sagte der Spieler. »Wenn Sie mir versprechen, daß es Ihr letztes Spiel ist, Sir.«

»Das habe ich doch schon!«

»Also gut, in Gottes Namen«, seufzte der Spieler und begann erneut mit dem Mischen.

Er war nicht schneller als zuvor. Martin bedauerte den armen Mann fast, der mit seinem Beruf nie zu Geld kommen würde. Stets wußte der Auswanderer genau, wo sich der Trumpf befand. Als der Spieler das Mischen beendet hatte, lag er in der Mitte.

Wieder zeigte der Deutsche ohne Zögern auf die bewußte Karte, und der Spieler drehte sie langsam um. Dabei zitterten seine Hände, als fürchtete er sich vor dem Ergebnis. Plötzlich aber, als er die Unterseite der Karte sah, leuchteten seine beweglichen Augen auf, und er deckte sie rasch vollends auf.

Es war die Kreuz-Sieben.

Martin verstand die Welt nicht mehr. Er war sich völlig sicher, genausogut aufgepaßt zu haben wie bei den vorherigen Spielen. Er hätte seine Seele darauf verwettet, die Herz-Dame für keinen noch so kleinen Sekundenbruchteil aus den Augen verloren zu haben. Und doch, die Karte in der Mitte bewies das Gegenteil. Fortuna hatte ihn im Stich gelassen, und der Spieler griff nach den zwanzig Dollar.

»Einen Augenblick!« sagte eine scharfe Stimme in Martins Rücken, und ein elegant gekleideter Mann im elfenbeinfarbenen Anzug und mit passendem Hut trat an die zum Spieltisch umgewidmete Holzkiste.

»Was wollen Sie?« fragte der Spieler, dessen Rechte über dem Geld schwebte und doch nicht zuzugreifen wagte.

»Die beiden anderen Karten sehen.«

»Mit welchem Recht?«

»Mit dem Recht eines Mannes, der in Ihnen einen Betrüger vermutet, der unwissenden Reisenden ihr letztes Geld aus der Tasche zieht.«

Martin und seine Freunde musterten den Fremden mit wachsendem Erstaunen. Und Irene zusätzlich mit wachsendem Wohlgefallen. Denn er war ein Mann, der Frauen sofort ins Auge fiel und ihnen immer mehr gefiel, je länger sie ihn betrachteten. Er war etwas mehr als mittelgroß, schlank und feingliedrig. Sein schmales, ebenmäßiges Gesicht besaß fast die Schönheit einer Frau. Doch ein schmaler schwarzer Oberlippenbart unterstrich das männliche Geschlecht des Fremden.