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»Warum nich'?«
»Weil wir es eilig haben.«
»Na eben! Die QUEEN OF ST. LOUIS is' viel schneller als die NEW ORLEANS und wird vor ihr in St. Louis eintreffen.«
»Das werden wir sehen, wenn wir am Ziel sind.«
»Seh' schon, ihr mögt unser Schiff nicht.« Der Vollbärtige erhob seine Stimme. »Los, Boys, bleut diesen gottverfluchten, stinkenden Landratten mal kräftig ein, daß die QUEEN OF ST. LOUIS das vermaledeit beste Schiff auf dem Mississippi is'!«
Von beiden Seiten setzten sich die Matrosen in feindseliger Haltung in Bewegung und kamen langsam auf die Auswanderer zu. Es stand außer Frage, daß sie auf eine handfeste Auseinandersetzung aus waren.
»Die Messer?« raunte Martin seinem Freund zu.
»Noch nicht«, entschied Jacob. »Nicht, solange die keine Waffen ziehen. Wir wollen doch kein blutiges Gemetzel.«
Plötzlich tauchten an der Straßeneinmündung zwei weitere Gestalten auf, die Jacob und Martin sofort erkannten, obwohl sie von ihrem Auftauchen überrascht waren. Der elegant gekleidete Beauregard Devlin und sein schwarzer Partner Jim Illinois näherten sich dem vollbärtigen Matrosen und seinem Begleiter mit schnellen Schritten und zogen dabei Revolver aus Schulterhalftern. Für eine Sekunde erstarrte Jacob bei dem Gedanken, mit ansehen zu müssen, wie der Spieler und sein Schatten die Matrosen hinterrücks abknallten.
Aber Devlin und Illinois zogen den Flußschiffern lediglich die Waffenläufe über die Schädel. Die Männer von der QUEEN OF ST. LOUIS fielen zu Boden wie vom Blitz getroffen.
Die Bewaffneten richteten ihre Revolver jetzt auf die drei übriggebliebenen Matrosen, und Devlin sagte: »Eure Freunde werden gehöriges Kopfweh haben, wenn sie wieder aufwachen. Wenn ihr nicht vernünftiger seid, kann es euch genauso ergehen. Vielleicht auch schlimmer, denn die blauen Bohnen in unseren Trommeln brennen geradezu auf einen Ausflug.«
Die Flußschiffer tuschelten miteinander, und dann fragte einer: »Was woll'n Sie von uns, Mister?«
»Daß ihr vernünftig und brav seid und unsere Freunde in Ruhe ziehen laßt. Mehr nicht.«
Wieder Getuschel.
»Geht klar, Boß«, verkündete dann der Sprecher der Matrosen.
Devlin sah die Deutschen an. »Kommen Sie mit uns, Gentlemen. Wir begleiten Sie zum Schiff.«
Die Auswanderer folgten Devlin und Illinois hinaus auf die beleuchtete Straße, wo die beiden ihre Revolver wieder einsteckten. Hinter ihnen in der dunklen Gasse kümmerten sich die Matrosen um ihre ohnmächtigen Kameraden.
»Vielen Dank für die erneute Hilfe«, sagte Jacob. »Aber ich denke, den restlichen Weg zur QUEEN OF NEW ORLEANS werden wir auch ohne Begleitschutz überstehen.«
»Sie irren sich, wir sind kein Begleitschutz«, erwiderte Devlin. »Ihr Weg ist auch unserer. Unser Gepäck müßte sich schon an Bord der NEW ORLEANS befinden.«
»Wie kommt denn das?« fragte Martin erstaunt.
»Wir haben eine Passage in einer Zweierkabine auf der NEW ORLEANS beim Pokern gewonnen«, erklärte der elegante Spieler. »Zufällig gerieten wir beim Spielen an einen Geschäftsmann aus St. Louis, der mit seinem Sohn auf der NEW ORLEANS nach Hause fahren wollte. Als er kein Bargeld mehr hatte, setzte er auf mein Anraten seine Passage ein.«
»Zufällig?« fragte Martin ungläubig.
»Ja, ganz zufällig«, antwortete Devlin, aber - das Grinsen in seinem Gesicht sagte etwas anderes.
»Und was haben Sie mit Ihrer Passage auf der ST. LOUIS gemacht?« erkundigte sich Jacob.
»Dem Kaufmann und seinem Sohn gegen einen Schuldschein überlassen.«
Auch Jacob mußte jetzt grinsen, als er an Devlins Geschäftstüchtigkeit dachte. Er fragte sich, ob ihr Bekannter am Spieltisch wirklich so ehrlich war, wie er vorgab.
Und er fragte sich, warum er unbedingt auf der QUEEN OF NEW ORLEANS reisen wollte, wo doch die QUEEN OF ST. LOUIS Cairo nicht viel später verlassen würde. War es wirklich nur wegen eines Pokerspiels?
*
Als bereits die Lichter der im Hafen liegenden Schiffe vor ihnen auftauchten, fragte Jacob den Spieler, welchem Umstand sie das überraschende Eingreifen vorhin zu verdanken hatten.
»Dem Umstand, daß Jim und ich Sie und Mr. Bauer aus dem Bierlokal kommen sahen. Wir wollten Sie schon anrufen, als wir bemerkten, daß Ihnen die Matrosen hinterherschlichen. Also schlichen wir unsererseits den Flußschiffern nach und fanden sehr schnell heraus, daß sie Ihnen eine Falle stellen wollten. Warum waren die Matrosen auf Sie so schlecht zu sprechen?«
»Aus einem vollkommen nichtigen Grund«, antwortete Jacob und erzählte Devlin und Illinois von der ihm lächerlichen erscheinenden Forderung der Matrosen, eine Passage auf ihrem Schiff zu buchen.
»Für die Flußschiffer ist das keineswegs lächerlich«, belehrte ihn der Spieler. »Die NEW ORLEANS und die ST. LOUIS sind die größten, prächtigsten Schiffe auf diesem Flußabschnitt, vielleicht auf dem ganzen Mississippi. Für die Schiffer ist es eine Auszeichnung, auf einem der Schiffe zu arbeiten. Deshalb meinen sie, daß es auch für die Passagiere eine Auszeichnung sein müsse, gerade auf ihrem Schiff zu fahren.«
»Aber diese unerklärliche Rivalität«, meinte Jacob. »Ich hatte den Eindruck, die Männer von der ST. LOUIS würden nichts auf der Welt so sehr hassen wie die NEW ORLEANS und deren Besatzung.«
»So ist es ja auch.«
»Und warum?«
»Weil sich die Kapitäne der beiden Schiffe hassen und bekämpfen. Das ist ihren Leuten in Fleisch und Blut übergegangen.«
Jacob blieb stehen und betrachtete die beiden großen Passagierdampfer, die gar nicht weit voneinander entfernt am Pier lagen. »Von hier aus bemerkt man keinen Unterschied zwischen der NEW ORLEANS und der ST. LOUIS. Man könnte glatt das eine Schiff für das andere halten und in der Dunkelheit an Bord des falschen Dampfers gehen. Mir erscheint es unglaublich, daß solcher Haß zwischen ihren Besatzungen besteht.«
»Gerade weil sich die Schiffe so ähnlich sind und auch ihre Kapitäne, besteht diese Feindschaft«, erklärte Devlin. »Die Kapitäne sind nämlich Brüder.«
»Brüder?« wiederholte Jacob ungläubig.
»In der Tat. Sie scheinen die Geschichte nicht zu kennen, die sonst jedem hier am Old Man River geläufig ist. Die Geschichte der New Orleans & St. Louis Dampfschiffahrtslinie.«
Die Deutschen gaben zu, daß sie die Geschichte nicht kannten.
»Dann will ich sie Ihnen gern erzählen«, sagte Devlin. »Es ist eine von jenen schicksalhaften, manchmal kaum glaublichen Geschichten, wie sie hier am großen Strom zu Tausenden erzählt werden. Doch in diesem Fall ist sie nachweislich wahr. Jedesmal, wenn die NEW ORLEANS und die ST. LOUIS nebeneinander im Hafen liegen oder sich auf dem Fluß begegnen, kann man das von neuem feststellen. Homer F. Wilcox, der Kapitän der NEW ORLEANS, und Henry F. Wilcox, der Kapitän der ST. LOUIS, sind die Söhne des alten Harding F. Wilcox, der die New Orleans & St. Louis Dampfschiffahrtslinie ins Leben gerufen und aufgebaut hat. Vor dem Krieg war es die größte Schiffahrtsgesellschaft zwischen Illinois und Louisiana. Zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der Gesellschaft gab Harding F. Wilcox die beiden Prachtkähne nach seinen eigenen Entwürfen in Auftrag. Sie sollten als größte und schönste Schiffe auf dem Fluß Sinnbild der aufstrebenden Dampfschiffahrt sein. Aber dann brach der Krieg aus, und alles ging drunter und drüber. Nichts war mehr wie zuvor, auch nicht am Old Man River. Wilcox, durch die wirtschaftlichen Umwälzungen des Krieges bereits angeschlagen, sympathisierte mit der Union und schmuggelte auf seinen Schiffen entflohene Sklaven den Fluß hinauf. Als das aufflog, wurde er von der Regierung Louisianas enteignet, war seine Gesellschaft und sein ganzes Vermögen los. Wenige Tage später starb er an gebrochenem Herzen, ohne seine Söhne während dieser leidvollen Zeit zu Gesicht bekommen zu haben. Homer war nämlich zu der Zeit im Norden, um auf der Werft in Boston die Fertigstellung der beiden neuen Prunkschiffe zu überwachen. Henry dagegen war ein Lebemann und trieb sich irgendwo in Europa herum, um die Salons zwischen Paris und London unsicher zu machen. Als sie sich am Grab ihres Vaters wiedertrafen, gab jeder dem anderen die Schuld an seinem Tod. Homer beschuldigte Henry, daß er seinem Vater hätte helfen können, wäre er nicht in unerreichbarer Ferne seinen privaten Vergnügungen nachgegangen. Und Henry warf Homer vor, dem Vater nicht geholfen zu haben, obwohl er nicht so weit weg gewesen war wie Henry. An diesem Tag sollen die Brüder zum letztenmal miteinander gesprochen haben. Beide traten das Erbe ihres Vaters an, das aufgrund der Vermögensbeschlagnahme durch die Regierung Louisianas nur noch aus den beiden neuen Schiffen bestand, die zum Glück bereits bezahlt waren. Jeder übernahm ein Schiff und schwor sich, eine neue Dampfschiffahrtsgesellschaft zum Andenken des Vaters aufzubauen. Aber es lief darauf hinaus, daß sie sich seit diesem Tag ein erbittertes Duell um Frachtaufträge und Passagiere liefern. Jeder setzt alles daran, den anderen auszustechen.«
»Eine fast unglaubliche Geschichte«, befand Martin.
»Nicht wahr?« meinte Devlin und setzte den Weg zur QUEEN OF NEW ORLEANS fort. »Wie ich schon sagte, eine typische Mississippi-Geschichte. Das Land am Fluß steckt voller seltsamer Schicksale und Legenden.«
Sie betraten das Schiff über eine breite Laufplanke. Trotz der fortgeschrittenen Stunde herrschte auf den Decks noch reger Verkehr. Die Zwischendeckpassagiere saßen auf dem Hauptdeck, sangen traurige und fröhliche Lieder, ließen Whiskeyflaschen kreisen und hatten mehrere Pokerrunden gebildet. An einer beteiligte sich der Spitzgesichtige, während sein bärtiger Kumpan wie zufällig hinter den anderen Spielern herumstrich. Jacob machte Devlin und Illinois auf die beiden Betrüger aufmerksam.
»Ich habe ein paar Erkundigungen über die beiden eingeholt«, sagte Devlin. »Sie sind in der Stadt inzwischen so bekannt, besser gesagt berüchtigt, daß sie wohl oder übel einen anderen Ort aufsuchen müssen, um den Leuten das Geld abzunehmen. Das augenrollende Rattengesicht nennt sich Brady Tomlinson, und sein leicht dümmlich wirkender Partner behauptet, Hutch Potter zu heißen. Darauf würde ich aber nicht wetten. Solche Leute haben meistens noch mehr Namen als Asse in den Ärmeln, und das will schon etwas heißen.«
»Betrügen sie auch jetzt wieder?« fragte Martin.
»Aber sicher doch. Potter steht nicht zufällig hinter Tomlinsons Mitspielern. Er sieht in ihre Karten und gibt seinem Partner Zeichen. Sehen Sie, wie er sich mal am linken und mal am rechten Ohr kratzt, mal mit dem einen und mal mit dem anderen Auge zwinkert und ab und an in ein Taschentuch schneuzt? Das alles sind Signale für Tomlinson, die der Ratte Aufschluß über die Blätter der anderen geben.«
»Wir müssen die Spieler vor den Betrügern warnen!« ereiferte sich Martin.