158389.fb2 Rauch ?ber dem Mississippi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Rauch ?ber dem Mississippi - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Devlin stand mit versteinertem Gesicht auf dem Promenadendeck und wirkte auf den ersten Blick, als betrachte er weiterhin das bunte Treiben an Bord und auf dem Pier. Aber Irene, die genauer hinsah, bemerkte, daß seine Augen in eine weit entlegene Ferne starrten. Sie fragte sich erneut, welches Geheimnis diesen Mann umgab.

Als die QUEEN OF NEW ORLEANS ablegte, wurde nicht so viel Brimborium veranstaltet wie bei ihrer Ankunft am Vortag. Die Heizer gaben keine Pechtanne ins Feuer, um den Rauch besonders fett und schwarz aus den Schornsteinen quellen zu lassen. Alles war nüchterner, geschäftsmäßiger, geprägt von der Eile, die Kapitän Wilcox vorantrieb.

Nur als der große Dampfer an seinem Schwesterschiff vorbeifuhr, brach ein lautes Hurrageschrei unter der Besatzung der QUEEN OF NEW ORLEANS aus. Die Flußschiffer verspotteten ihre Kollegen, deren Schiff noch nicht auslaufbereit war. Die Matrosen auf der QUEEN OF ST. LOUIS antworteten mit Flüchen, Verwünschungen und obszönen Gesten.

Der Hafen und die Stadt an der Ohiomündung wurden immer kleiner, als sich der Dampfer den Mississippi hinaufschaufelte. Sein Ziel St. Louis, die große Stadt an der Mündung des Missouri, lag etwa 160 Meilen entfernt. Drei Tage würde das Schiff für diese Strecke brauchen, wenn alles gutging.

Wenn alles gutging. Jacob gingen das seltsame Flußlicht und sein nicht minder seltsamer Traum nicht aus dem Kopf.

*

In diesen Tagen war der Mississippi noch breiter als sonst. Verantwortlich war das alljährliche Junihochwasser, das keine Rücksicht auf die Grenzen nahm, die der Mensch dem Fluß gesteckt zu haben glaubte. Je weiter die QUEEN OF NEW ORLEANS vorankam, desto mehr Häuser, von denen nur noch die Dächer aus dem Wasser ragten, sahen die schaulustigen Passagiere. Hätte man die Dächer nicht gesehen, hätte man glauben können, dort hätten nie Menschen gewohnt, so weit waren die Häuser vom Festland abgeschnitten.

Das Hochwasser hatte neue Seitenarme gegraben, weil das mächtige Flußbett nicht groß genug gewesen war, um die heranströmenden Fluten zu bewältigen. Die meisten der neuen Nebenflüsse würden wieder verschwinden, sobald sich die Wassermenge normalisiert hatte, aber einige würden bleiben und damit zu dem Ruf des Mississippi beitragen, unberechenbar zu sein.

Genauso wie die von den Wassermassen weggespülten Bäume, die eine doppelte Gefahr für die Schiffe darstellten. Wenn die großen Stämme, die im Fluß herumgewirbelt wurden, gegen die Schaufelräder krachten, konnte das zu einer ernsten Beschädigung führen. Andere Stämme bohrten sich in den Grund und bildeten sogenannte Snags, die kaum bis gar nicht sichtbar an die Oberfläche ragten und häufig erst dann bemerkt wurden, wenn sie den Rumpf eines Schiffes aufrissen.

Auch die sich in ständiger Veränderung befindliche Welt der Sandbänke und -barren erfuhr durch das Hochwasser eine krasse Umgestaltung. Altbekannte Schiffahrtshindernisse wurden innerhalb von Minuten abgetragen und neue aufgebaut. Das in Unordnung gebrachte Wasser bildete Wirbel, die Sandbarren täuschend ähnlich sahen. Nur erfahrene Mississippi-Lotsen kannten den Unterschied, ohne daß sie ihn hätten erklären können.

Ohne mindestens zwei Lotsen kam ein Dampfschiff auf dem launischen Mississippi nicht aus. Die Männer, die jede Strömung, jede Sandbank und jeden Snag auf ihrem Flußabschnitt kannten, wechselten sich bei der Arbeit ab und waren ständig im Ruderhaus präsent, um dem Rudergänger Anweisungen zu geben oder an schwierigen Stellen selbst das Ruder zu übernehmen.

In der Zeit des Hochwassers war ihre Arbeit doppelt anstrengend, mußten sie ihr Schiff doch nicht nur sicher durch die veränderte Flußwelt führen, sondern sich zugleich alle neuen Hindernisse und Durchlässe einprägen. Erschwert wurde ihre Aufgabe noch durch den Umstand, daß viele Markierungspunkte durch die Strömung einfach weggerissen oder vom Hochwasser überflutet waren.

Die QUEEN OF NEW ORLEANS setzte die Fahrt auch nach Einbruch der Dunkelheit mit unverminderter Geschwindigkeit fort. Während die begüterten Passagiere in den Salons und die weniger begüterten in ihren Unterkünften das Abendessen zu sich nahmen, waren Rudergänger, Lotsen und Lotgasten unermüdlich dabei, den Steamer in sicherem Fahrwasser zu halten.

Während diese Männer sowie Maschinisten, Heizer und Matrosen damit beschäftigt waren, das Prunkschiff seinem noch fernen Ziel näher zu bringen, vergnügten sich die Passagiere nach dem Abendessen auf unterschiedliche Weise. Die einfachen Menschen auf dem Zwischen- und dem Hauptdeck holten Musikinstrumente hervor und spielten zum Tanz auf, während Männer wie Brady Tomlinson und Hutch Potter darangingen, auf ihre unsaubere Art Geld zu verdienen. Die vornehmen Leute in den Salons machten ihre Musik nicht selbst, sondern lauschten bezahlten Musikern. Kreisten bei den einfachen Passagieren die Flaschen mit hochprozentigem Selbstgebranntem, bestellten die eleganten Ladies und Gentlemen in den Salons beim Kellner oder Barmann BrandyCocktails, Bourbon, Gin, original französischen Cognac, Eieroder Milchpunsch. Die rauhen, lauten Reden unten standen in scharfem Kontrast zu den kultivierten Gesprächen auf den oberen Decks.

Eigentlich fühlten sich die drei deutschen Auswanderer mehr dem einfachen Volk zugehörig als den Kaufleuten, Pflanzern, Industriellen, Künstlern und Offizieren in den Salons. Aber die von Präsident Lincoln spendierte Schiffspassage hatte sie der Ersten Klasse zugeschlagen. Und da sie neugierig waren, wie es dort zuging, zogen sie ihre besten Kleider an und mischten sich unter die Begüterten.

Jamie schlief ruhig in der Obhut eines schwarzen Kabinenmädchens, und Irene war begierig darauf, Beauregard Devlin beim Spiel zuzusehen. Sie fanden den Spieler und seinen schwarzen Partner in einem der größten Salons, der eigens für den Spielbetrieb hergerichtet war und an dessen Tischen die Glücksgöttin auf die unterschiedlichsten Arten herausgefordert werden konnte. An den Wänden standen hölzerne oder eiserne Maschinen, die man mit kleinen Münzen füttern konnte und die, wenn man das nötige Glück hatte, ein Mehrfaches des Einsatzes ausspuckten; meistens allerdings behielt der Automat den Einsatz.

Devlin und Illinois standen an der langen Bar, nippten hin und wieder an einem Drink und schienen damit zufrieden zu sein, den anderen beim Spiel zuzuschauen. Irene fiel auf, daß Devlins Blick auf einen ganz bestimmten Pokertisch fixiert war, an dem ein etwa fünfzigjähriger Mann mit ergrauendem Haar und buschigem Schnurrbart den Ton angab. Er schien eindeutig der beste Spieler oder das größte Glückskind der Runde zu sein, denn immer wieder strich er den Gewinn ein. Nur selten konnte einer der anderen Spieler diesen Vorteil für sich verbuchen.

»Sie sitzen nicht am Spieltisch, Mr. Devlin?« fragte Jacob verwundert, als er und seine Freunde sich zu dem Spieler und seinem Schatten gesellten.

»Noch nicht«, korrigierte ihn der Mann im eleganten Dreiteiler. »Ich warte, bis mein Platz frei wird.«

Irene sah ihn erstaunt an. »Man kann sich Plätze reservieren lassen?«

Devlin lachte, was Irene nicht beleidigend, sondern sehr sympathisch fand. Es klang wie das unbeschwerte, ehrliche Lachen eines Kindes, das von der Bosheit der Welt noch nichts wußte.

»Nein, Miß Sommer, ich habe mir keinen Platz reservieren lassen. Aber es gibt einen ganz bestimmten Tisch, an dem ich gern mitspielen möchte, und an diesem Tisch sind zur Zeit alle Plätze besetzt.«

Irene glaubte den Tisch zu kennen, von dem er sprach. Es mußte der sein, an dem der grauhaarige Fünfziger mit der polternden Stimme den Ton angab.

Dort stand jetzt ein spindeldürrer Mann von seinem Stuhl auf, kratzte die wenigen ihm verbliebenen Chips zusammen und ging zum Barmann, um sie in Geld einzutauschen.

Devlin nahm sein Bourbonglas von der Theke und steuerte zielstrebig, aber doch mit äußerer Gelassenheit auf den Tisch zu. Illinois trank den letzten Schluck Cognac aus seinem Glas, stellte es zurück auf die Theke und folgte seinem Freund.

»Gestatten die Gentlemen, daß ich den freigewordenen Platz besetze?« fragte Devlin und tippte dabei höflich an seinen Hut.

Die Männer am Spieltisch äußerten ihre Zustimmung. Nur einer sagte nichts, sah Devlin lediglich mit stierem Blick an. Es war der Mann mit dem grauen Haar und dem buschigen Schnurrbart. Der Mann, vor dem sich die meisten Spielchips auftürmten.

Die Art, wie sich sein Blick und der Devlins kreuzten, ließ Irene erschauern. Sie wußte sofort, daß sich die beiden Männer nicht zum erstenmal begegneten. Sie strahlten eine fast körperlich spürbare Feindschaft aus.

»Wenn Sie unbedingt Ihre Dollars verlieren möchten, Mr. Devlin, nehmen Sie Platz«, sagte endlich der Grauhaarige, ohne daß er sich anmerken ließ, ob ihm der neue Mitspieler tatsächlich willkommen war. Sein Gesichtsausdruck ließ Irene eher das Gegenteil vermuten.

Während sich Devlin setzte, postierte sich Illinois so hinter ihm, daß niemand seinem Partner in die Karten sehen konnte.

»Woher wissen Sie, daß ich meine Dollars verlieren werde?« fragte Devlin, während er aus seinen Taschen die Chips kramte und vor sich auftürmte, die er zuvor beim Barmann eingetauscht hatte. »Kennen Sie etwa die Karten, bevor sie ausgeteilt werden, Mr. LaGrange?«

Ein Zucken durchlief das faltige Gesicht des Grauhaarigen. »Was wollen Sie damit sagen, Devlin?«

»Ich?« tat der elegante Spieler unschuldig. »Gar nichts. Ich habe Ihnen nur eine Frage gestellt.«

Ein bulliger, stark schwitzender Mann mischte sich ein. »Unterhalten wir uns, oder spielen wir Poker?«

Devlin lächelte. »Sie haben recht, Sir, wir spielen Poker. Wer gibt?«

»Ich«, antwortete der Bullige und begann die Karten zu mischen.

Irene wandte sich an den rothaarigen, irisch aussehenden Barmann, der von allen einfach Gerald genannt wurde. »Wer ist dieser Mr. LaGrange, der das meiste Geld zu gewinnen scheint?«

»Mr. LaGrange besitzt eine der größten Baumwollplantagen in Missouri, Ma'am. Jetzt, wo die Baumwolle des Südens durch den Krieg für den Norden ausfällt, laufen seine Geschäfte noch besser. Er fährt sehr oft auf dem Mississippi, um Geschäfte abzuwickeln und zu pokern.«

»Und der Mann hinter ihm?«

Irene war aufgefallen, daß auch LaGrange einen Schatten zu haben schien. Einen untersetzten blonden Mann mit extrem breiten Schultern.

»Das ist Mr. Steve Prescott. Er arbeitet für Mr. LaGrange.«

»Danke«, sagte Irene nur. Sie konnte sich schon denken, worin Prescotts Arbeit bestand. Er war das Gegenstück zu Jim Illinois.

Inzwischen waren die Karten ausgeteilt, und die Spieler hatten eine oder auch mehrere gegen neue ausgetauscht. Nur Devlin schien mit seinem Blatt so zufrieden zu sein, daß er keine neuen Karten wollte. Da er als erster mit dem Setzen dran war, erkundigte er sich nach dem Limit.

»Einhundert Dollar, Mister«, sagte der Bullige nicht ohne Stolz. »Wir pokern nämlich hier und treiben keine Kinderspiele.«

»Gut«, sagte Devlin und schob einen großen Perlmuttchip mit einer eingestanzten >100< in die Mitte der Tischplatte. »Ich setze also hundert Dollar.«

Damit fing er sich nicht nur die verblüfften Blicke seiner Mitspieler ein, sondern auch die der umstehenden Personen. Es war absolut ungewöhnlich, ein Spiel mit einem hohen Einsatz zu beginnen. Normalerweise tastete man sich mit niedrigen Einsätzen erst an seine Mitspieler heran, um zu sehen, wie sie reagierten.

Schon kam unter den Leuten im Salon Getuschel auf, Devlin müsse ein außergewöhnlich gutes Blatt besitzen. Sie erhielten keine Chance, sich dessen zu vergewissern; Devlins fünf Karten lagen mit dem Bild nach unten vor ihm auf dem Tisch, nachdem er sie einmal kurz betrachtet hatte.

»Sie bluffen, Mister«, meinte der Spieler links neben Devlin, ein kahlköpfiger älterer Mann.

»Wenn das so ist«, erwiderte Devlin ruhig, »können Sie ja ohne Risiko Ihren Einsatz machen.«

»Aber was ist, wenn Sie nicht bluffen?« fragte der Kahlkopf zweifelnd, und allmählich brach bei ihm ebenso der Schweiß aus wie schon seit längerer Zeit bei dem Bulligen rechts neben Devlin.