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Augenblicklich entzündete sich das Petroleum und verwandelte den Fußboden hinter Bremer und seinen Männern in eine einzige brennende Fläche.
Flammenzungen leckten nach den Chinesen und fraßen sich an Hosen und Kitteln hoch.
Entsetzt wichen die Verfolger zurück, versuchten die Flammen auszuschlagen und wälzten sich am Boden.
Nicht alle konnten die Flammen rechtzeitig ersticken. Die Schmerzensschreie vom Feuer angegriffener Männer erfüllten den unteren Teil des Hauses.
»Ein hübsches Feuerchen«, grinste Wagner. »Fast so hübsch wie das letzte Nacht.«
»Vielleicht wird es noch viel hübscher«, stieß Louis Bremer erregt hervor. »Wenn diesmal die Feuerwehr nicht so früh eingreift, könnten wir das Versäumte nachholen. Den Hai wird es freuen!«
Wagner nickte und riß die Augen auf, in denen sich der zuckende Feuerschein spiegelte.
»Das ist eine wirklich gute Idee, Louis!«
Das sich rasend schnell ausbreitende Feuer hinderte die Chinesen an der weiteren Verfolgung.
Als die Weißen das Haus verließen, stießen sie auf dem Innenhof erneut auf Angehörige der aufgebrachten Menge.
»Feuer frei!« schrie Bremer und riß die Pepperbox hoch.
In mechanischer Regelmäßigkeit drückte sein Zeigefinger den Abzug durch.
Wieder und wieder drehte sich die Lauftrommel. Kugel um Kugel verließ ihren Lauf und fuhr in die Masse der Asiaten.
Die standen so dichtgedrängt, daß fast jeder Schuß ein Treffer war.
Auch Bremers Leute feuerten, was ihre Waffen hergaben.
Die Blitze der Mündungsflammen und das Krachen der Detonationen wirkten wie ein Gewitter, das plötzlich über Sun Chengs Anwesen hereingebrochen war.
Wie ein schwerer Sturm, der die Chinesen gleich reihenweise ummähte.
So stießen die Weißen kaum auf Widerstand, als sie den Hof verließen und durch eine verlassene Gasse zwischen den Rückseiten von Schuppen und Lagerhäusern hindurch zu dem Platz gelangten, wo zwei Männer die Pferde bewachten. Sie schwangen sich in die Sättel.
»Hauen wir so schnell wie möglich ab!« keuchte Winkler, dessen verletzte Schulter so sehr schmerzte, daß er das Gesicht zu einer Fratze verzog. »Wenn die Schlitzaugen uns erwischen, lynchen sie uns.«
»Nicht so hastig, Al!« hielt Bremer ihn zurück.
Der Anführer der Männer faßte in die Zügel von Winklers Pferd, das der Verletzte gerade antreiben wollte.
Bremers seltsam glänzende Augen aber waren auf das Anwesen gerichtet, das sie gerade verlassen hatten.
Die Lagerhausfassaden versperrten zwar die direkte Sicht. Aber der hell flackernde Schein am Nachthimmel verriet deutlich, daß Sun Chengs Haus lichterloh brannte.
Über dem hellen Schein lag ein seltsam dunkler Fleck wie ein bewußter Kontrast zum Feuer.
Als wolle der Nachthimmel den Flammenherd gnädig mit einer schwarzen Decke verhüllen.
In Wahrheit war es die dunkle Rauchwolke, die sich rasch ausbreitete.
»Die Gelbhäute haben jetzt andere Sorgen, als uns zu verfolgen«, stellte der Mann mit dem Rattengesicht befriedigt fest. »Es dürfte sie einige Mühe kosten, das Feuer zu löschen. Diesmal sind die Feuerwehrkompanien nicht schon auf dem Weg.«
»In der Wäscherei waren viele Chinesen«, gab Wagner zu bedenken. »Sie könnten es schaffen, das Feuer zu löschen.«
»Vielleicht«, erwiderte Bremer gedehnt. »Aber nicht, wenn wir etwas dafür unternehmen.«
»Für die Chinesen?« fragte Wagner zweifelnd.
»Nein«, grinste Bremer. »Für das Feuer!«
Er wandte sich zu den anderen Männern und rief: »Es gibt Arbeit, folgt mir!«
Sie trieben die Pferde an und galoppierten aus der Sackgasse heraus.
Dann spalteten sie sich in mehrere Gruppen auf, die schießend und schreiend durch Chinatown ritten.
Ohne Rücksicht auf andere Menschen und Tiere. Chinesen wie Weiße gerieten unter die Hufe, wenn sie nicht rechtzeitig beiseitesprangen.
Aber der Lärm und das Chaos waren nur Ablenkungsmanöver. Immer wieder zügelten die wilden Reiter ihre Tiere vor Hauseingängen, rissen Öllampen von Wänden und Decken und schleuderten sie in die Gebäude.
Wenn die Lampen zerplatzten, breitete sich das brennende Öl schnell aus. Es steckte die Holzkonstruktionen der Häuser in Brand oder die seidenen Wandbehänge. Gefräßig, wie es war, fand es überall Nahrung.
An immer neuen Orten ertönten Alarmrufe auf chinesisch oder englisch.
Die Menschen, die zum Löschen herbeieilten, fehlten wenige Minuten später am nächsten Brandherd.
In dieser Nacht verwandelten Louis Bremer und seine Reiter Chinatown in ein brennendes Inferno.
*
Jacob Adler beneidete Elihu Brown um seinen schnellen und festen Schlaf.
Kaum hatten sich die beiden Menschen in das zweistöckige Bett der winzigen Kammer gelegt, die Mrs. Goldridge ihnen zugewiesen hatte, hörte der Deutsche von unten auch schon das laute, gleichmäßige Schnarchen des Harpuniers.
Jacob fand keinen Schlaf, obwohl er sehr erschöpft war.
Elihus heftiges Schnarchen war nicht schuld daran. Da hatte der junge Auswanderer auf seiner weiten Reise schon Schlimmeres erlebt.
Ihn hielt die Sorge um Irene und Jamie wach.
Der Versuch, sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß Frau und Kind in dieser Nacht keine unmittelbare Gefahr drohte, wollte nicht ganz gelingen.
Ein Rest von Zweifel blieb.
Berechtigterweise, wie Jacob fand. Zu viele Unwägbarkeiten spielten in dieser Sache eine Rolle. Und der Hai schien unberechenbar zu sein.