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Sie hob ihr schmales Gesicht, und die schrägstehenden Katzenaugen blickten direkt in Jacobs grünbraune Augen. In ihren Pupillen lag der Schimmer von Smaragden.
»Und jetzt bin ich mehr als froh, daß du mich nicht mit meiner Trauer allein läßt, Jake. Ich weiß nicht, ob ich dich erwartet habe. Aber ich weiß genau, daß ich mich nach dir sehnte.«
Jacob wollte antworten, mußte dazu aber mehrmals ansetzen. Sein Mund und seine Kehle waren plötzlich knochentrocken. Als hätte er eine ganze Handvoll Staub geschluckt.
»Warum trauerst du, Shu-hsien?«
Er bemühte sich, ihren richtigen Namen einigermaßen korrekt auszusprechen.
Es schien ihm auf einmal unangemessen, sie >Susu< zu nennen. Das taten fast alle anderen Weißen.
Aber zu denen gehörte er jetzt nicht mehr. Für die junge Frau war er etwas Besonderes.
Das hatte sie ihm eben deutlich zu verstehen gegeben. Und sie war genauso etwas Besonderes für ihn.
»Ich weine um Sun Cheng«, erklärte sie mit leiser Stimme.
Wieder rollten Tränen über ihre Wangen. »Ich habe ihn in Gefahr gebracht, und er hat sein Leben für mich geopfert. Für uns.«
»Wie kommst du darauf?« fragte der große Mann verwirrt. »Wir wissen doch nicht, was in der Wäscherei geschehen ist!«
»Ich weiß, daß Sun Cheng tot ist. Als ich im Bett lag, sah ich ihn auf einmal vor mir. Er winkte mir zu, lächelte. Dann drehte er sich um und ging fort, bis ihn ein blauer Nebel verschluckte. Es war sein Abschied von mir.«
»Unsinn!« sagte Jacob barscher, als er es wollte. »Das war nur ein Traum. Du hattest einen Alptraum, Shu-hsien. Kein Wunder bei allem, was du durchgemacht hast.«
Wieder schüttelte die Frau ihren Kopf, heftiger als zuvor.
Ihr langes Haar strich dabei sanft über Jacobs Gesicht und verstärkte das Kribbeln noch, das er mit jeder Faser seines Körpers spürte.
»Wenn es ein Traum war, dann einer, der die Wahrheit gezeigt hat. Glaub mir, Jake, ich kenne dieses Gefühl. Ein ganz ähnliches Erlebnis hatte ich vor ein paar Jahren. Wie ich später erfuhr, war genau an jenem Tag mein Vater auf den Goldfeldern gestorben.«
Jacob nickte mitfühlend und sagte: »Der Reverend hat uns davon erzählt.«
Ihre eben noch sanft wirkenden Züge verhärteten sich plötzlich.
»Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich zur Königin von Chinatown wurde«, sagte sie leise, mehr zu sich selbst als zu dem Mann, der seine Arme beschützend um sie gelegt hatte. »Damals konnte ich nichts gegen die weißen Männer unternehmen, die meinen Vater ermordet haben. Ich war noch ein Kind. Aber in mir brannte der Haß. Als jetzt der Hai meine Landsleute bedrohte, wollte ich mich endlich wehren.«
»Dein Vater wurde ermordet?« echote Jacob. »Davon hat Hume nichts erzählt. Nach seinen Worten starb dein Vater zusammen mit Sun Chengs Sohn bei einer Art Grubenunglück.«
»Ja, sie wurden unter Erde und Steinen in ihrer Mine begraben«, bestätigte die Frau im bitteren Tonfall. »Aber ich glaube nicht an ein Unglück. Die Freunde meines Vaters, die mit ihm zusammen die Mine betrieben, berichteten später von Streitereien mit Weißen.«
»Worum ging es bei diesen Streitereien?«
»Um das, um das es immer geht. Den weißen Goldgräbern paßte die Konkurrenz nicht. Besonders der Umstand mißfiel ihnen, daß die Konkurrenten gelbhäutig und schlitzäugig waren, wie es die Weißen ausdrücken. Jedenfalls nahmen sie das als Anlaß für ihren Terror, mit dem sie meinen Vater und seine Freunde überzogen. Es kam zu mehreren Übergriffen und Gewalttaten.«
»Gibt es einen Beweis dafür, daß dein Vater ermordet wurde?«
»Einen Beweis? Sicher nicht für ein weißes Gericht. Als mein Vater und Sun Chengs Sohn ausgegraben wurden, stellte sich heraus, daß die zusammengebrochenen Stützpfeiler angesägt waren. Damit gingen die Freunde meines Vaters vor Gericht. Weißt du, was der weiße Richter gesagt hat?«
»Nein, was?«
»Die Pfeiler hätten ja auch von anderen Chinesen angesägt worden sein können. Selbst wenn es aber Weiße gewesen wären, so fände er im ganzen Gesetzbuch keinen Paragraphen, der das Töten von Chinesen verbietet.«
In den Katzenaugen schimmerten neue Tränen.
Diesmal schien die Frau nicht um Sun Cheng zu weinen, sondern um ihren Vater.
Vielleicht auch um alle ihre Landsleute, die der Arroganz und Verachtung von Menschen zum Opfer gefallen waren, die sich für etwas Besseres hielten, in Wahrheit durch ihre ganze Einstellung aber verrieten, daß sie nur Abschaum waren.
Jacob zog sie noch näher an sich und drückte ihr Gesicht gegen seines.
Ihre Tränen kitzelten ihn.
Tröstend strich seine Hand über ihren Kopf und ihr langes Haar.
Was folgte, war für beide vollkommen natürlich.
Immer enger drückten sie ihre Körper gegeneinander. Und je näher sie einander waren, desto mehr wuchs ihr Verlangen, noch enger zusammenzurücken.
Die Hände des einen ertasteten den Körper des anderen.
Und ihre Lippen vereinigten sich zu einem nicht enden wollenden Kuß. Jacobs Zunge fuhr in ihren Mund und Shu-hsiens Zunge in seinen.
So verharrten sie für Minuten, die zu einer kleinen Ewigkeit wurden.
Zeit der Wärme und des Glücks, die ihnen niemand mehr würde stehlen können.
Irgendwann begannen Shu-hsiens geschickte Hände, Jacobs Hemd aufzuknöpfen und abzustreifen. Die Hände der Frau strichen zärtlich über seine nackten Schultern, die muskulösen Arme und die nur spärlich behaarte breite Brust.
Der junge Mann konnte das Glück, das seinen Körper in immer neuen Wellen durchlief, gar nicht fassen.
Sein Verlangen, den Körper der begehrenswerten Frau zu erforschen, steigerte sich von Sekunde zu Sekunde.
Er bückte sich, griff unter den Saum des Seidenhemds und zog es über Shu-hsiens Kopf.
Die Frau streckte die Arme steil nach oben, um ihm zu helfen.
Als er das leichte Hemd in Händen hielt, legte er es sorgsam, wie eine kleine Kostbarkeit, auf das obere Bett.
Dann drehte er sich wieder zu Shu-hsien um - und erstarrte. Ihre Schönheit machte ihn sprachlos. Im Moment wollte er nichts anderes tun als sie anzuschauen.
Wäre er kein Zimmermann gewesen, sondern ein Bildhauer, genauso hätte er Aphrodite geformt.
Anmutiger und begehrenswerter als diese Tochter eines einfachen chinesischen Goldgräbers konnte keine Frau sein, wäre sie Prinzessin oder eine mit allen Wassern der Liebe gewaschene Konkubine gewesen.
Shu-hsien trat einen Schritt vor, mit einer raubtierhaften Geschmeidigkeit, die perfekt zum katzenartigen Ausdruck ihrer Augen paßte.