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Er ergriff Shu-hsien und legte sie auf das untere Bett. Hastig streifte er seine Hose ab.
Die Frau stieß einen bewundernden, fast ein wenig erschrockenen Laut aus, als sie seine Erektion sah.
Doch plötzlich zögerte Jacob, zu Shu-hsien ins Bett zu steigen.
Er dachte an Irene und die starke Liebe, die er für sie empfand.
Er war ehrlich zu sich selbst: Es war eine hoffnungslose Liebe.
Zwar glaubte er, daß Irene seine Gefühle erwiderte. Aber sie hatten noch nie völlig offen darüber gesprochen. Zwischen ihnen stand Carl Dilger, den Irene zu heiraten versprochen hatte.
Dilger war Jamies Vater, Jacob war nur der Pate des Jungen.
Wie er nur Irenes Beschützer war, nicht ihr Mann und Geliebter.
Und Jacob hatte Irene versprochen, sie und Jamie zu Dilger zu bringen, der sich irgendwo auf den kalifornischen Goldfeldern aufhalten sollte.
Irenes Versprechen gegenüber Dilger und Jacobs Versprechen gegenüber Irene standen auf ewig zwischen den beiden jungen Deutschen.
Niemals konnte - durfte - Irene für ihn mehr sein als eine Schwester.
Deshalb, das sagte er sich deutlich, brauchte er ihretwegen keine Hemmungen zu verspüren.
»Was ist?« fragte Shu-hsien leise. »Warum zögerst du?«
»Es ist nichts«, seufzte Jacob und legte sich halb neben, halb auf sie.
Das enge Bett schränkte ihre Bewegungsfreiheit stark ein. Aber sie machten aus der Not eine Tugend und genossen es, wie dicht ihre Körper aneinander lagen.
Hände und Lippen eines jeden liebkosten den Körper des anderen trotz der Enge überall, von der Stirn bis zu den Zehen. Beide zitterten vor Leidenschaft.
Shu-hsien spreizte die schlanken Beine und zog den großen kräftigen Mann zwischen ihre Schenkel.
Sie griff zwischen Jacobs Beine und half ihm, den Weg zu finden, an dessen Ende die vollkommene Vereinigung der beiden Körper stand.
Als es soweit war, explodierte die Welt um sie herum und löste sich in Ekstase und Erfüllung auf.
*
Das Gesicht der jungen Frau, die noch ein halbes Mädchen war, war in Entsetzen erstarrt.
Die scheinbare Lebendigkeit, die ständige Bewegung, stammte von dem tanzenden, zuckenden Flammenschein, der auf ihre gefrorenen Züge fiel und sie doch nicht auftauen konnte.
Fei-yen war eine Gefangene der Hölle, durch die sie in der letzten Stunde gegangen war.
Sie stand am Rand von Sun Chengs Anwesen und sah mit gläsernem Blick zu, wie dieses von den hoch auflodernden.
Flammen verzehrt wurde.
Alle Löschbemühungen der herbeigeeilten Nachbarn waren vergebens gewesen.
Wassereimer um Wassereimer wanderte von Hand zu Hand und ergoß sich in das Feuer.
Aber nur für Sekunden riß das Naß kleine Lücken in das brennende Wüten.
Schnell schlug das Flammenmeer wieder über die schmalen Rinnsale zusammen und verdammte sie zur Wirkungslosigkeit.
Jetzt hatten die Bewohner Chinatowns alle Bemühungen aufgegeben, Sun Chengs Haus zu retten.
Etwas anderes war weitaus wichtiger: zu verhindern, daß das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff.
Aber auch hier sah es so aus, als fochten die Menschen einen hoffnungslosen Kampf aus.
Hier rächte sich die überbordende Bauweise der Chinesen, die in ihrer überfüllten Stadt jeden noch so kleinen Winkel für neuen Wohnraum auszunutzen versuchten.
In so gut wie jedem Haus gab es zahlreiche Zwischenböden und Verschlage, an fast jeder Fassade klebten kleine Balkons und Anbauten.
Viel trockenes Holz.
Ein leichtes Opfer für die sich rasch ausbreitende Feuersbrunst.
Niemand schien sich um die halbwüchsige Chinesin zu kümmern, die starr wie eine Statue stand und sich trotz der unerträglichen Hitze, die das Atmen zur Qual werden ließ, nicht vom Fleck rührte.
Ihre Nacktheit war durch ein Seidentuch verhüllt. Ganz vorsichtig hatte eine mitleidige Frau das leichte Tuch um Feiyens Schultern gelegt, damit es nicht zu sehr auf den Rücken drückte, der eine einzige Brandwunde war.
Aber Fei-yen spürte dort keinen Schmerz, jedenfalls nicht im Augenblick.
Der Schmerz in ihrer Seele war viel schlimmer. So stark, daß er alles andere verdrängte.
Er war in dem Augenblick entstanden, als der weiße Mann mit dem Rattengesicht Sun Cheng erstach.
Aus purer Lust am Töten!
Sun Cheng hatte Wang Shu-hsien verraten, um seine Enkelin zu schützen.
Und doch hatten die Weißen ihn nicht geschont!
Wahrscheinlich hätten auch Fei-yen und die anderen Gefangenen sterben müssen, wären nicht die Nachbarn aufgetaucht.
Fei-yen hatte alles nur wie durch einen dichten Schleier erlebt, der sich über ihre Sinne legte.
Das einzige, was sie deutlich vor sich sah - selbst jetzt noch, als sie vor dem niederbrennenden Haus stand -, war die Gestalt ihres Großvaters.
Wie er, den langen grauen Zopf in der Wäschemangel eingeklemmt, am Boden kniete, als wolle er die weißen Gangster um Schonung anflehen.
Die Antwort war das Krummesser gewesen.