158412.fb2
Es war ein böser Rausch, weil er einem anderen Menschen Schmerzen zufügte.
Und doch gab Jacob sich ihm hin. Auch er war nur ein Mensch. Und ein anderes Mittel, einem Mann wie Cyrus Stanford beizukommen, fiel ihm nicht ein.
Selbst wenn er eines gekannt hätte, in diesen Sekunden, wo der Rausch der Rache ihn gepackt hatte, hätte er sicher nicht daran gedacht.
Der Rausch nahm ein jähes Ende, als etwas gegen Jacobs Kopf schlug, hart und schmerzhaft.
Der rittlings auf Stanford kniende Deutsche wurde von dem Widersacher heruntergeschleudert.
Für wenige Sekunden sah der Auswanderer nur bunte Lichter, die in seinem von Schwärze erfüllten Kopf explodierten.
Dann konnte er wieder die Wirklichkeit erkennen. Er sah den Stiefel, der gegen seinen Kopf getreten hatte. Er gehörte einem pockennarbigen Mann, dessen schiefe Augen mitleidlos auf den am Boden liegenden Deutschen blickten.
Der Russe Petrov, ehemals Steuermannsmaat auf der LUCIFER, zielte mit einem Remington-Revolver auf den Auswanderer. Der zurückgezogene Hahn signalisierte Petrovs Bereitschaft zu schießen.
»Bleib hübsch am Boden, Junge«, sagte der Russe. »Sonst kann ich dem nervösen Zucken in meinem Zeigefinger nicht länger widerstehen!«
»Gib dich dem Zucken doch ruhig hin, Petrov«, knurrte ein anderer Mann. »Ich verspüre nämlich dasselbe Verlangen und würde zu gern sehen, wie sich der Deutsche mit einem dritten Auge macht - mitten in der Stirn!«
Der Sprecher stand schräg hinter Petrov und war ebenfalls mit einem Revolver bewaffnet. Es war Stanfords zweiter Gefolgsmann, Frenchy.
Jacob sah ein, daß er keine Chance gegen die beiden hatte.
Frenchy schien geradezu wild darauf zu sein, ihn mit heißem Blei zu spicken.
Und wenn es bei Petrov eine kühlere Art von Bereitschaft war, machte das den Russen nur gefährlicher.
Cyrus Stanford wälzte sich stöhnend am Boden, kam auf die Knie, beugte sich vornüber und spuckte blutigen Auswurf auf den Boden.
Dann wandte er den Kopf dem Deutschen zu. Die Augen in seinem Dämonengesicht blickten Jacob in einer Weise an, als wollten sie ihn durchbohren.
»Verdammter Mistkerl!« röchelte der Steuermann. »Dir werde ich es zeigen!«
Er stand auf und schwankte dabei wie auf einem Schiff bei starkem Seegang.
Schließlich hatte er sich einigermaßen in der Gewalt und hob seine Waffen auf.
Breitbeinig stand er vor dem Auswanderer, der noch immer am Boden lag.
»Du hast mir zum letztenmal Ärger gemacht, verdammter Dutch. Jetzt peitsche ich jeden Widerstand aus dir heraus - und dein Leben!«
Kaum hatte er ausgesprochen, da pfiff die Lederschnur auch schon durch den Gang.
Mit einer schnellen Bewegung rollte sich Jacob zur Seite. So traf das Leder nicht sein Gesicht, sondern nur seine Schulter. Aber auch das war ziemlich schmerzhaft.
Wieder und wieder schlug Stanford zu.
Nach besten Kräften versuchte der Auswanderer, den Schlägen zu entgehen oder zumindest sein Gesicht zu schützen.
Es gelang nicht immer.
Als der Sadist erneut die Rechte zum Schlag erhob, sprang ihn plötzlich etwas von hinten an.
Wie ein Raubtier.
Shu-hsien war, noch vollkommen nackt, aus ihrer Kammer gekommen und umklammerte den Arm des Seemannes, um ihm die Peitsche zu entwinden.
»Die gelbe Dreckshure!« fluchte Stanford und schüttelte die Chinesin ab.
Sie fiel gegen eine Wand und stieß einen spitzen Schmerzenslaut auf, als ihr Hinterkopf gegen das Holz schlug.
Stanford wirbelte zu ihr herum und ließ wütend die Peitsche über ihren ungeschützten Körper tanzen.
Zwei blutige Striemen zeichneten sich auf den Brüsten und auf dem Bauch ab.
Als Jacob das sah, waren ihm die beiden Männer mit den Revolvern egal.
Er stieß sich vom Boden ab und sprang den Steuermann an, der ihm jetzt den Rücken zuwandte.
Weder Frenchy noch Petrov schossen. Sie waren durch Shu-hsiens Erscheinen abgelenkt.
Jacob umklammerte Stanfords Beine und riß ihn zu Boden. Die beiden Männer rangen miteinander.
Frenchy stand neben ihnen und suchte vergeblich nach einer Schußgelegenheit. Hatte er gerade auf den Deutschen gezielt, befand sich schon wieder Stanford vor seiner Mündung.
Petrov sprang hinzu und fackelte nicht lange. Mit einer raschen Bewegung zog er den Lauf des Remingtons über Jacobs Hinterkopf.
Es war ein ähnlicher Schmerz wie vorhin, als Petrovs Stiefel den Auswanderer getroffen hatte.
Jacob war lange genug außer Gefecht gesetzt, daß Stanford sich rittlings auf ihn schwingen konnte.
»Ja, gut so, Stanford!« rief Frenchy begeistert aus und drückte des Lauf des Joslyn-Revolvers gegen Jacobs Kopf. »Halt den Dutch fest, Stanford, und ich blase ihm das Lebenslicht aus!«
»Wenn du das tust, Mann, blase ich deines gleich mit aus!« erscholl die scharfe Stimme eines Mannes, der die enge Wendeltreppe heraufkam.
Louis Bremer blickte Frenchy böse an und richtete seinen Pepperbox-Revolver auf den Maat.
»Nimm die Waffe runter, Dickbauch, sonst kannst du dein Gehirn gleich am Fußboden betrachten!«
»Aber, der Dutch hat Stanford angegriffen!« stammelte Frenchy fassungslos.
»Dann verpaßt ihm meinetwegen eine Abreibung, aber laßt ihn am Leben!« Bremer schüttelte ärgerlich seinen Kopf. »Könnt oder wollt ihr nicht begreifen, daß der Hai diesen Adler haben will, und zwar lebendig?«
Frenchy murmelte eine kaum verständliche Entschuldigung und ließ zerknirscht den Joslyn sinken.
Jacob atmete auf.