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Jacob wirbelte herum und sah, daß der andere Mann die Rechte zur Faust geballt hatte.
»Nicht«, krächzte Jacob, als die Faust auf ihn zuflog.
Mehr konnte er nicht sagen. Das heftige Stechen in seiner Kehle machte es unmöglich.
Im letzten Augenblick erkannte der Angreifer seinen Irrtum und stoppte die große kräftige Faust.
»Jake!« rief Elihu überrascht aus. »Ich habe dich nicht erkannt...«
»Das habe ich gemerkt«, erwiderte der Auswanderer mit unnatürlich rauher Stimme.
Das Stechen in der Kehle war so unangenehm, daß er sie mit einer Hand massierte.
Es half nur wenig.
»Der Staub und der Rauch«, meinte der vollbärtige Harpunier entschuldigend. »Man sieht kaum etwas. Ich hielt dich für einen von Bremers Männern, der zurückgekehrt ist, um mich zu erledigen. War froh, daß ich gerade meine Fesseln lösen konnte. Ich dachte, die Burschen wollten sichergehen, daß jeder lästige Mitwisser ausgeschaltet ist. Für den Fall, daß das Feuer das nicht besorgt.«
»Feuer ist das Stichwort«, erwiderte Jacob. »Wir müssen uns um die Kinder kümmern!«
Sie liefen in die Schlafräume.
Die meisten der Kinder waren durch den ungewöhnlichen Lärm aufgewacht.
Aber kaum eines traute sich hinaus auf den Gang. Aus Angst vor dem Feuer oder vor den fremden Männern, deren Stimmen sie gehört hatten.
Jacob beruhigte sie mit dem Hinweis, er sei ein Freund von Shu-hsien. Viele hier kannten die Chinesin noch.
Die beiden Männer versammelten die Kinder auf dem oberen Treppenabsatz.
Die zerstörten Stufen und der quer über der Treppe liegende brennende Balken erschwerten das Durchkommen.
Jacob und Elihu zogen ihre Hemden aus und schlugen damit das Feuer aus.
Die größeren Kinder konnten dann ohne Hilfe über das Hindernis hinwegsteigen. Die kleineren wurden von den beiden Männern hinübergehoben.
Sie mußten sich beeilen. Immer größere Teile der Dachkonstruktion stürzten ein. Die Kinder schrien vor Angst und Schreck.
Aber dann war es geschafft, und alle liefen eilig die Treppe hinunter.
Immer wieder stürzten die Kinder in ihrer panischen Hast. Andere stolperten über die Gestürzten. Es bildeten sich wahre Knäuel kleiner Leiber, die die enge Treppe verstopften. Jacob ermahnte die Kinder zur Vorsicht.
Als die ganze Gruppe endlich im Erdgeschoß war, prallten die vordersten Kinder zurück.
Der Eingangsbereich brannte lichterloh. Es war ein einziges Prasseln und Knacken. Der Raum war erfüllt von unerträglicher Hitze und beißendem, tränentreibendem Rauch.
»Verflucht«, knurrte Elihu. »Was machen wir jetzt?«
»Die Feuerwehr rufen«, antwortete Jacob.
Er legte die Hände trichterförmig vor dem Mund und schrie nach dem Captain von Social Three.
Nach wenigen Sekunden meldete sich die megaphonverzerrte Stimme des Captains: »Ich höre Sie. Wir haben Sie schon vermißt. Sie sind die letzten.«
»Wir können nicht hinaus«, rief der Auswanderer. »Der Eingang steht ihn Flammen. Halten Sie die Spritze drauf, Captain!«
»Wird gemacht«, versprach der Captain.
Sie hörten die Anweisungen, die er mittels seiner vergoldeten Flüstertüte rief.
Kurz darauf erschraken die Kinder, als sich der Rauch noch verstärkte und ein heftiges Zischen durch den Raum hallte.
»Keine Angst«, versuchte Jacob ihnen Mut zu machen. »Es ist das Wasser. Gleich können wir nach draußen!«
Der kräftige Wasserstrahl löschte die Flammen zwar, doch immer wieder flackerten sie auf. Immerhin bildete sich eine kleine Lücke in der Feuersbrunst.
»Das muß reichen«, meinte Elihu. »Besser wird's wohl nicht, Jake.«
Der Auswanderer nickte und rief den Kindern zu: »Lauft jetzt, schnell! Aber seid vorsichtig und fallt nicht hin!«
Niemand rührte sich. Wie versteinert standen die Kinder in ihren weißen Nachthemden vor den Flammen und starrten sie an wie böse Geister.
Die Angst vor dem Feuer war zu groß. Zwar bedeutete das Verbleiben im Haus den sicheren Tod. Doch die Angst versagte den Kindern diese Erkenntnis.
Mehrmals versuchten die beiden Männer, die etwa fünfzehn Kinder durch aufmunternde Rufe anzutreiben.
Alles war vergebens.
Da schnappte Jacob sich einen kleinen Jungen, preßte ihn mit dem Gesicht fest gegen sich und rannte los.
Er erreichte das Feuer.
Sein nackter Oberkörper war ein willkommenes Opfer für Funkenflug und Flammenzungen.
Aber seine Schmerzen waren jetzt unwichtig.
Nur hindurch!
Da, endlich konnte er frei atmen.
Er war auf der Straße.
Das Feuer lag hinter ihm!
Shu-hsien lief auf ihn zu und nahm ihm das Kind ab.
Die Chinesin lächelte Jacob an, glücklich darüber, daß der geliebte Mann den Flammen entkommen war.