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»Shu-hsien!« rief er erfreut, trat vor und schloß die Chinesin in die Arme.
Es sah aus wie ein Vater, der sein nach langer Trennung heimkehrendes Kind umarmte. In diesem Fall war das Kind fast größer als der Vater.
Jacob bemerkte einen glücklichen Zug im sonst so ernsten Gesicht der Chinesin, als der Reverend sie in den Armen hielt. Aber dieser glückliche Ausdruck verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war.
Susu Wang machte sich von dem Mann im schmucklosen dunklen Anzug los und sagte: »Verzeih mir die Unhöflichkeit, Vater, aber könntest du uns nicht zuerst hereinlassen?« Sie sah zu Jacob und Elihu herüber. »Es könnte sein, daß man uns verfolgt!«
»Der Hai?« fragte Reverend Hume sofort.
Seine Miene war jetzt genauso ernst wie die der Chinesin.
Die junge Frau nickte.
Der Reverend trat zur Seite und gab so den Eingang frei.
»Tretet ein, Freunde. Mein Dach ist euer Dach und mein Haus euer Haus.«
Die beiden Männer folgten der Einladung und traten in einen kleinen Vorraum, der von einer Öllampe erhellt wurde. Auch die Chinesin kam herein, gefolgt vom Reverend, der die Tür sorgfältig verschloß und verriegelte.
»Recht vielen Dank für Ihre Freundlichkeit, Reverend«, sagte Elihu Brown. »Aber sind Sie nicht ein wenig schnell mit der Vergabe Ihrer Gastfreundschaft an Fremde? Wenn Sie damit mal an den Falschen geraten, könnte das üble Folgen für Sie haben.«
Hume zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Es ist sowohl Anlaß als auch Zweck dieses Hauses, allen Hilfesuchenden offenzustehen. Wenn der Herr mich prüfen will, werde ich das kaum verhindern können, Mister...«
Elihu und Jacob nannten ihre Namen.
»Ich habe gerade Kaffee gekocht, weil ich noch in der Schrift des Herrn lesen wollte«, erzählte der Reverend. »Sie sehen so aus, als könnten Sie einen Schluck davon vertragen.«
Weder der Harpunier noch der Auswanderer sagten dazu nein.
Eine rundliche ältere Frau erschien auf dem untersten Absatz einer schmalen Wendeltreppe. Sie trug ein bis zum Boden reichendes Nachtgewand und eine spitzenverzierte Haube, unter der sie ihr unfrisiertes graues Haar verbarg. Vor sich hielt sie einen Kerzenstummel, der einen flackernden Schein auf ihr gutmütiges Gesicht warf.
»Reverend Hume, ist alles in Ordnung?« fragte sie besorgt. »Ich hörte das Läuten der Glocke und dann leise Stimmen. Ich dachte.«
Was die Frau dachte, würden Jacob und die anderen nie erfahren. Sie stockte, blickte überrascht die Chinesin an und stürmte dann nach unten.
»Susu!« rief sie. »Schön, daß du uns besuchst!«
Und schon lagen sich die beiden Frauen in den Armen.
»Leider ist der Anlaß des Besuches ein ernster«, dämpfte Hume die Freude der älteren Frau. »Der Hai ist hinter Susu und ihren Freunden her. Niemand darf erfahren, daß sie hier sind.«
»Immer wieder der Hai«, sagte die Frau im Nachthemd verärgert, ja geradezu empört. »Wird allmählich Zeit, daß ihm jemand das Handwerk legt.«
»Das haben wir vor, Mrs. Goldridge«, versicherte Susu Wang.
Die Chinesin stellte ihre beiden Begleiter der Frau vor, die in Reverend Humes Waisenhaus als Köchin und guter Geist fungierte.
»Sollten wir nicht endlich die Polizei alarmieren?« fragte Jacob.
»Nicht nötig«, erwiderte die Chinesin. »Bei dem Lärm, den die Männer des Hais beim Überfall veranstaltet haben, ist das längst geschehen.«
»Hai, Überfall, Polizei!« sagte Mrs. Goldridge erschrocken. »Was ist denn bloß geschehen?«
Susu Wang berichtete in knappen Worten.
»Das riecht wahrlich nach Ärger«, kommentierte Reverend Hume den Bericht. »Machst du dir keine Sorgen um Sun Cheng, Shu-hsien?«
»Doch«, nickte die junge Frau ernst. »Sehr große Sorgen sogar.«
*
Al Winkler und Charley Wagner rissen Fei-yen mit roher Gewalt von ihrem Großvater fort. Das Mädchen ließ es in stummem Entsetzen geschehen.
Nur der mit dem Zopf noch immer in der Wäschemangel eingeklemmte Sun Cheng schrie: »Nein, laßt das Kind! Es hat euch nichts getan. Haltet euch an mich!«
Ohne darauf einzugehen, führten die beiden Männer den zweiten Befehl ihres Anführers aus - Fei-yen auszuziehen. Falls man es ausziehen nennen konnte, wie sie dem Mädchen die Kleider vom Leib rissen.
»Von wegen Kind!« grinste Wagner, als Fei-yen nackt vor ihnen stand. »Die Kleine ist schon eine richtige Frau!«
Seine rauhe Hand tastete grob über ihren Körper. Erst über die noch kleinen, aber dafür sehr festen Brüste. Dann weiter nach unten, bis sich seine Finger schmerzhaft in ihre Scham bohrten.
Das mißhandelte Kind schrie vor Schmerz auf und begann am ganzen Körper zu zittern.
»Da unten bist du aber noch sehr eng, Kleines!« lachte der vollbärtige Mann. »Soll ich dich ausweiten?«
Fei-yen starrte ihn mit vor Angst aufgerissenen Augen an und wollte zurückweichen. Aber Eichen-Al hielt sie fest im Griff.
In seiner ohnmächtigen Wut tat Sun Cheng etwas, was sehr selten geschah. Er verlor die Beherrschung und überschüttete die Eindringlinge mit einem wahren Schwall von Flüchen.
Wahrscheinlich war es gut, daß er dabei unwillkürlich in seine Muttersprache verfiel. Hätten Bremer und seine Männer ihn verstanden, wäre es wohl weder für Sun Cheng noch für seine Enkelin von Vorteil gewesen.
»Was brabbelt der Alte?« fragte Wagner.
»Weiß nicht«, erwiderte Winkler. »Ich verstehe kein Wort. Ebenso gut könnte man sich mit 'nem Affen unterhalten.«
Der schlechte Witz kam an und erheiterte die Männer.
Bis Louis Bremer dazwischenfuhr: »Schluß jetzt! Uns bleibt sicher nicht mehr viel Zeit. Bringen wir den Alten zum Sprechen!«
»Einverstanden«, meinte Wagner und machte sich an seinem Hosengürtel zu schaffen. »Ich werde mir die Kleine vornehmen. Auf eine Art, die alle Menschen verstehen, sogar Chinesen.«
»Nein, nicht so«, seufzte Bremer kopfschüttelnd und zeigte auf den großen Kupferkessel in der Nähe, in dem die Wäsche kochte. »Das geht schneller.«
Als Wagner verstand, was sein Boß meinte, spiegelte sein Gesicht Enttäuschung wider.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Kleine«, brummte er. »Vielleicht hast du später noch das Vergnügen mit mir.«