158421.fb2
Angesichts der überall wabernden Lohe, die sich über San Francisco wälzte, bezweifelte Jacob den Erfolg ihres tapferen Einsatzes.
Auch Lieutenant Wannakers Männer und die freiwilligen zivilen Helfer waren schon wieder bei der Arbeit. Sie rissen einen großen hölzernen Mietstall nebst Hufschmiede ab. Die Absicht war klar: Durch eine Schneise wollten sie dem Feuer die Nahrung nehmen und es am ungehinderten Ausbreiten hindern.
Weiter hinten hatten die Sanitäter und ein Armeearzt mit Zeltplanen ein behelfsmäßiges Lazarett aufgebaut. Ein paar Schwerverwundete lagen auf Decken. Immer wieder meldeten sich Männer mit leichteren Verletzungen, in der Mehrzahl Verbrennungen. Sie ließen sich rasch verbinden und eilten dann zum Einsatzort zurück.
Ein Mann trat Jacob und Elihu mit Unglauben in seinem jungen Gesicht entgegen. Die Hitze hatte den Lieutenant dazu gebracht, seinen schweren Uniformrock ganz abzulegen. Jetzt sah man die hellen Hosenträger, die über dem blauen Hemd saßen.
»Sie?« staunte er. »Sie haben es beide geschafft?«
»Wie Sie sehen, Lieutenant«, lachte Jacob, bei dem erst jetzt die Erleichterung über das Überleben der verheerenden Explosion richtig durchbrach. »Oder halten Sie uns für Geister?«
»Fast würde ich es glauben.« Wannaker blickte in die Richtung, aus der die beiden anderen gekommen waren. Dahin, wo die Überreste des Armeemagazins in Flammen standen. »Bei dieser Explosion grenzt alles andere an ein Wunder!«
»Wunder oder nicht, wir leben jedenfalls«, brummte Elihu. »So verdammt erledigt wie ich mich fühle, kann ich gar kein Geist sein!«
Der Offizier wollte etwas erwidern, aber erneuter ohrenbetäubender Lärm ließ ihn verstummen, ehe er auch nur zwei Silben gesagt hatte.
»Noch mehr Explosionen?« fragte Elihu verwundert. »Ihr Blauröcke habt wohl genug Munition hier gelagert, um den Bürgerkrieg bis ins nächste Jahrzehnt fortzusetzen.«
Jacob schüttelte den Kopf. . »Ich glaube nicht, daß es das Magazin ist.«
Der Lärm hörte sich dumpfer an als vorhin bei den Explosionen. Er schien auch nicht aus der Richtung des Magazins zu kommen. Das Grollen lag vielmehr in der Luft.
Der rötliche Schreckensschein des riesigen Brandes vermischte sich mit weißen Lichtlanzen, die den Himmel aufrissen und im wilden Zickzack zur Erde fuhren.
Die dicken dunklen Wolken, die schon seit geraumer Zeit über San Francisco hingen, platzten auf und schickten wahre Sturzbäche zur Erde. Binnen weniger Augenblicke waren die Männer vollkommen durchnäßt.
Aber kein einziger beschwerte sich darüber. Ganz im Gegenteil, überall brach lauter Jubel aus. Die Menschen lachten und tanzten. Wenn sie bewaffnet waren, feuerten sie ihre Revolver in den Himmel ab, bis die Trommeln leer waren. Einige genossen ihre Freude über den Wolkenbruch ganz still, andere beteten dankbar und laut.
»Ein Gewitter!« strahlte Lieutenant Wannaker über sein ganzes Jungengesicht. »Es ist ein Gewitter!«
»Zweifellos!« lachte Elihu.
»Wie. wie kommt das bloß?« fragte der Offizier fassungslos. »Der Herr im Himmel muß das veranlaßt haben. Ohne das Gewitter wäre San Francisco verloren gewesen.«
»Der Herr im Himmel oder das Armeemagazin«, meinte Jacob ein wenig nüchterner. »Es bleibt sich gleich.«
Wannaker zog seine Stirn in Falten.
»Wie meinen Sie das, Adler?«
»Ich denke, die Explosion des Magazins könnte das Gewitter aufgelöst haben. Der ungeheure Druck und die schnelle Temperaturschwankung haben vermutlich die Wolken aufgerissen.«
»Ja«, gab Wannaker zu. »Das wäre möglich.«
Sie grübelten nicht weiter darüber nach. Warum es regnete, war nicht wichtig, sondern nur, daß es regnete. Und das tat es wahrlich. In solchen Fluten, als hätten die Wolken extra für diesen Anlaß den halben Pazifik in sich aufgesogen.
Alle stellten ihre Arbeit ein, die Soldaten und freiwilligen Helfer wie auch die Feuerwehrleute an den Spritzen. Ihre Bemühungen waren sinnlos geworden. Das Ziel wurde vom Regen viel schneller erreicht.
Das Feuer mochte noch so gewaltig sein, gegen die niederstürzenden Wassermassen kam es nicht an. Eben noch ein Flammenmeer, das sich auf die Menschen zubewegte, waren es jetzt nur noch einzelne Feuerinseln. Und auch die wurden rasch kleiner. Die Schreckensnacht am Golden Gate schien endlich, als es kaum noch einer zu hoffen wagte, ihr Ende zu finden.
Jacob und Elihu ließen sich von dem allgemeinen Taumel anstecken und tanzten ausgelassen im Schlamm der binnen weniger Minuten aufgeweichten Straße herum. Die Rettung dieser Stadt grenzte wirklich an ein Wunder, und das galt es zu feiern. Der Harpunier schien sogar den Schmerz in seinem Bein nicht mehr zu spüren.
Der Regen fiel so dicht, daß man nur auf wenige Yards klar sehen konnte.
Dann verschwammen Gesichter zu undeutlichen hellen Flecken und menschliche Körper zu schattenhaften Gestalten, die bei den wilden Verrenkungen ihrer Freudentänze besonders unwirklich erschienen.
Ein Gruppe besonders großer Schatten zog in der Mitte der Straße an Jacob und Elihu vorbei. Diese Schatten tanzten nicht. Es waren Reiter, die relativ gemächlich dahinzogen und sich den Trubel ansahen.
Der vorderste Reiter kam in Jacobs Nähe. Es war ein kleiner Mann auf einem schlanken Fuchs.
Der Auswanderer erstarrte, als er das spitze Nagetiergesicht unter der zu großen Melone erkannte. Jacob legte eine Hand auf die Schulter des auf und ab hüpfenden Harpuniers, der in schneller Folge gutturale Freudenschreie ausstieß.
»Eli!«
»Was hast du denn, Jake?« lachte der Harpunier. »Du siehst aus wie der Lieutenant eben, als er uns für Geister hielt.«
»Wenn ich einen Geist gesehen habe, ist es der von Louis Bremer!«
Jacobs Hand zeigte auf den kleinen Reiter, und Elihus Blick folgte der angegebenen Richtung.
»Bei allen Klabautermännern, du hast recht, Jake. Den Mistkerl kaufe ich mir!«
Schon wollte der Seemann auf die Reiter losstürmen, aber der junge Deutsche hielt ihn zurück.
»Das bringt nichts, Eli. Die anderen gehören zu ihm. Gegen die Überzahl kommen wir nicht an. Zumal die Strolche vermutlich bewaffnet sind.«
»Was sollen wir dann tun?«
»Den Lieutenant suchen und ihm sagen, daß die Brandstifter gerade vor seiner Nase herreiten. Wir teilen uns auf.«
Elihu nickte und verschwand hinter einem Regenschleier.
Jacob lief in die entgegengesetzte Richtung und fand Lieutenant Wannaker beim Lazarett, wo er sich nach dem Zustand der Schwerverletzten erkundigte. In kurzen Worten informierte Jacob den Offizier über Bremer und seine Schandtaten.
»Was mögen die Kerle ausgerechnet hier suchen?« fragte Wannaker.
»Vielleicht Eli und mich«, überlegte der Deutsche laut. »Wir sind Zeugen seiner Verbrechen. Wir und.«
Er brach ab, als er an den dritten Zeugen dachte - eine Zeugin! »Was haben Sie, Adler?«
»Es gibt noch jemanden, hinter dem Bremer her ist. Wang Shu-hsien!«
»Susu Wang, der chinesische Engel?«
Jacob nickte. Die Vorstellung, daß Bremer die ahnungslose Chinesin fand, machte ihm angst. Deshalb sagte er: »Trommeln Sie möglichst schnell Ihre Männer zusammen, Lieutenant. Alles, was eine Waffe hat und damit umgehen kann. Mit den Männern des Hais ist nicht gut Kirschen essen. Aber wir können sie noch aufhalten. Sie reiten sehr langsam, vermutlich, weil sie uns suchen. Im Laufschritt können wir sie einholen.«