158421.fb2
Auch letztere verspürten einen großen Drang, Bremers Trupp zu erwischen. Handelte es sich bei den Gangstern doch um die Männer, die San Francisco in Brand gesteckt hatten.
Die Bewaffnung der Truppe war zum Teil ebenso abenteuerlich wie ihr vom Feuer ramponierter Aufzug.
Jacob hatte sich aus den Werkzeugen eine ähnliche Axt gegriffen, wie er sie zuvor am Magazin benutzt hatte.
Am seltsamsten aber wirkte Elihus Konstruktion. Aus einem hölzernen Stab, den er aus den Trümmern des eingerissenen Mietstalls gefischt hatte, einem Bowiemesser und einem Stück Draht hatte er sich eine Harpune zusammengebaut, die nach seinen Worten >recht gut in der Hand< lag.
»Wie weit ist es noch bis zum Hotel Santa Rosa?« fragte Jacob den jungen Offizier nach dem Ort, zu dem Reverend Hume mit seinen Kinderschar gewollt hatte.
»Es liegt an der übernächsten Querstraße«, lautete die Antwort.
»Dann müssen wir uns beeilen!« keuchte Jacob und beschleunigte seine Geschwindigkeit. »Wenn Bremer vor uns da ist, gibt es ein Unglück!«
»In Ordnung«, meinte der Lieutenant und gab den Befehl, schneller zu laufen, an den Corporal zu seiner Rechten weiter.
Der Befehl pflanzte sich von Mund zu Mund fort. Obwohl der Kampf gegen das Feuer die Männer ausgelaugt hatte, kamen sie der Anordnung nach.
An der Querstraße vor dem Hotel Santa Rosa stießen die Verfolger auf Bremers Trupp. Die Gangster waren aus den Sätteln gestiegen. Sie mußten irgendwie herausbekommen haben, daß das Hotel Reverend Humes Ziel war. Gerade schickten sie sich an, den überdachten Vorbau zu betreten.
»Halt, stehenbleiben!« schrie der vom Jagdfieber gepackte Corporal und legte seinen Karabiner auf Bremers Leute an.
Einer der Gangster erfaßte die Situation sehr schnell. Sein Mündungsfeuer zuckte durch die Finsternis.
Die Detonation des Schusses vermengte sich mit dem Aufschrei des Corporals.
Der Soldat ließ die Waffe fallen, faßte an seine Brust und sank zu Boden.
Ein anderer Mann beugte sich über ihn und schüttelte dann den Kopf.
»Herzschuß. Das ist nichts mehr zu machen.«
Ein wildes Feuergefecht entspann sich innerhalb von Sekunden.
Ebenso rasch zeichnete sich ab, daß die Männer des Hais diesmal auf der Verliererseite standen. Sie waren in der Minderzahl und standen auf dem Vorbau so dicht zusammengedrängt, daß auch ungezielte Schüsse leicht zu Treffern wurden. Ein Gangster nach dem anderen sank zu Boden.
Da Jacob und Elihu keine Feuerwaffen besaßen, waren sie zum Zuschauen verdammt.
Sie hatten Deckung hinter einer längst übergelaufenen Regentonne gesucht und beobachtete das Geschehen mit skeptischen Augen.
Ganz so hatten sie sich die Sache nicht vorgestellt. Sie hatten eher an einen überraschenden Zugriff gedacht, der Bremers Leute zur Aufgabe zwang.
Aber so, wie es jetzt lief, drohte das Ganze außer Kontrolle zugeraten. Besonders, als Jacob zu sehen glaubte, daß sich ein paar Gangster ins Hotel zurückzogen.
Er machte seinen Freund darauf aufmerksam und sagte: »Ich mache mir Sorgen um die Kinder und um Shu-hsien.«
Elihu nickte verständnisvoll, meinte dann aber: »Schätze, wir können kaum etwas tun, solange die Männer des Hais sich auf dem Vorbau halten.«
»Vielleicht doch«, erwiderte Jacob. »Das Hotel hat bestimmt ein Hintereingang!«
Die Augen des Harpuniers leuchteten auf.
»Yeah, verdammt, daß mir das nicht eingefallen ist!«
Die beiden Männer sprangen aus ihrer Deckung und liefen geduckt um den großen Kasten des dreistöckigen Hauses mit Nebengebäuden und Ställen herum. Hinter ihnen peitschten weiterhin die Schüsse durch den Regen.
Jacob beschlich das unangenehme Gefühl, daß die Schrecken dieser Nacht mit dem Verlöschen des Brandes noch längst kein Ende finden würden.
*
Die freudige Aufregung verwandelte sich in Angst, als die Menschen im Hotel Santa Rosa die Schüsse hörten.
Nur wenige hatten geschlafen. Personal und Hotelgäste so gut wie gar nicht. Sie starrten aus den Fenstern und warteten auf das Feuer. Sie hofften und beteten, die Flammen mögen nicht bis zum Hotel durchkommen. Doch sie wußten sehr wohl, daß die Chancen dafür eher schlecht standen. Also hielten sie sich zur Flucht bereit.
Ebenso Reverend Alister Hume, seine Mitarbeiterin und Köchin Mrs. Goldridge und die junge Chinesin Wang Shu-hsien, die als Kind selbst einige Jahre in Humes jetzt abgebranntem Waisenhaus gelebt hatte. Die drei Erwachsenen wachten über die fünfzig Waisenkinder.
Alle lagen im Hotel-Restaurant, das ausgeräumt und zum Schlafsaal umfunktioniert worden war. Einige der Kinder schliefen tatsächlich, zumeist die jüngeren. Die Erschöpfung und die beruhigenden Worte des Reverends taten ihre Wirkung. Die meisten aber lagen wach in den Decken und Schlafsäcken auf dem Parkettboden und lauschten den flüsternden Stimmen der Erwachsenen.
Dann folgte für alle Menschen im Hotel ein Wechselbad der Gefühle.
Erst die starken, rasch aufeinanderfolgenden Explosionen.
Die meisten der Schläfer wurden von ihnen aus dem Schlaf gerissen. Viele der Kinder begannen zu weinen. Die kleineren aus Angst vor der unbekannten Gefahr, die größeren aus Angst vor dem, was die Explosionen nur bedeuten konnten: eine noch schnellere Ausbreitung des Feuers.
Wang Shu-hsien, die auf einem Schemel hockte und aus einem großen Fenster in die Nacht starrte, schreckte bei den Explosionen zusammen.
Sie dachte an Jacob, den sie in dieser Nacht lieben gelernt hatte. An die kurze, aber unvergeßliche Zeit ihrer gemeinsamen Lust und ihres gemeinsamen Glücks.
Sie wußte, daß er half, das Armeemagazin zu räumen. Und sie wußte auch, daß die lauten Explosion nur vom Magazin stammen konnte.
Angst befiel sie, der Geliebte könne tot sein. Auch als Mrs. Goldridge neben sie trat und beruhigend über Shu-hsiens schwarzes Haar strich, nahm ihr das nicht die Angst.
Auf die Explosionen folgten der Donnerhall, die gleißenden Blitze, das Aufreißen der Wolken, der schwere Sturzregen.
Die Furcht der Kinder und Erwachsenen verwandelte sich in unbändige Freude über ihre Rettung. Alle drängten sich an die Fenster, drückten sich die Nasen daran platt und stießen neue Freudenschreie aus, wenn der rötliche Schein des Feuers schwächer wurde.
Mrs. Goldridge führte mit einigen Kindern einen Freudentanz auf.
Der Reverend schickte ein lautes Dankgebet an den Herrn.
Selbst Shu-hsien fühlte sich ein wenig erleichtert. Zwar wußte sie nichts über Jacobs Schicksal, aber der Regen war ein mächtiger Hoffnungsbringer. Die Hoffnung auf Leben, die die Menschen im Hotel und in der ganzen großen Stadt neu beseelte, ließ auch Shu-hsien nicht unberührt.
Doch dann ertönten die Schüsse, so nah, daß sie den lauten Donnerhall überlagerten.
Don Felipe Echado, der Besitzer des Hotels, stürmte in den Speisesaal und bahnte sich einen Weg durch die aufgeschreckte Menge zu Reverend Hume.
»Verriegeln Sie alle Türen, Reverend!« rief der kleine spanischstämmige Mann mit dem hochgezwirbelten Schnurrbart aufgeregt und fuchtelte dabei wie wild mit den Händen in der Luft. »Und sorgen Sie dafür, daß sich die Kinder von den Fenstern fernhalten!«