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Sie fielen in tiefen Schlamm, der sich sofort mit schmatzenden Geräuschen an ihnen festsog. Aber das störte sie nicht angesichts der Todesgefahr.
Wieder bellte Stanfords Waffe, und auch Bremers Pepperbox beteiligte sich an dem tödlichen Konzert. Rund um Jacob und Elihu spritzte der Schlamm auf, als er gierig das heiße Blei verschluckte.
Sie wälzten sich durch den Schlamm, auf der Suche nach Deckung, die sie schließlich hinter einer großen Kiste fanden. Was sie beinhaltete und was sie auf dem Hof zu suchen hatte, wußten die Freunde nicht. Sie waren einfach nur dankbar, daß die Kiste hier stand.
»Was machen die Mistkerle?« fragte der Harpunier, als die Schüsse verstummten.
Vorsichtig schob Jacob seinen Kopf bis zur Nasenwurzel über den oberen Kistenrand - und stieß einen Fluch aus, den selbst der in diesen Dingen erfahrene Seemann noch nicht gehört hatte.
»Sie sind weg!« schrie Jacob. »Als hätte der Regen sie verschluckt.«
Aus seiner vibrierenden Stimme sprachen Wut, Enttäuschung und Angst.
Die Angst um Shu-hsien.
Er sprang auf und lief auf die Stelle zu, wo eben noch die beiden Gangster mit ihrer Gefangenen gestanden hatten.
»Sei vorsichtig, Jake!«
Elihu folgte dem Freund mit einigem Abstand. Sein schmerzendes Bein behinderte ihn.
Jacob entdeckte die offene Tür, durch die Bremer, Stanford und Shu-hsien gekommen waren. Und er entdeckte, daß Elihus Warnung berechtigt gewesen war. Petrov und Frenchy stürzten durch die Tür nach draußen und blieben unter dem Vordach stehen, als sie den Auswanderer sahen. Frenchy, der als erster herausgekommen war, hob die rechte Hand mit dem Revolver.
Als Jacob das sah, ließ er sich abermals in den Schlamm fallen. Keine Sekunde zu früh. Der Maat schoß. Die Kugel flog dicht über den jungen Deutschen hinweg.
Dieser hörte einen Schrei aus der Richtung des Hauses und blickte überrascht auf.
Frenchy hatte den langgezogenen Schmerzensschrei ausgestoßen. Er stand mit dem Rücken zur hölzernen Hotelwand.
Elihus behelfsmäßige Harpune steckte in seiner Brust, gerade über dem sich vorwölbenden Bauch. Die Waffe des Harpuniers hatte den Maat regelrecht ans Haus genagelt.
Frenchy hatte den Revolver fallen gelassen und umklammerte mit beiden Händen den Harpunenschaft. Er wollte die Waffe aus seinem Körper ziehen. Er zerrte die Harpune soweit hervor, daß er von dem Haus loskam.
Dann taumelte er und stürzte mit einem Röcheln zu Boden. Dort blieb er liegen, rührte sich nicht mehr. Die Harpune steckte noch in seiner Brust.
»Fahr zur Hölle, du hast es verdient!« schrie Elihus rauhe Stimme hinter Jacob.
»Du auch, Bartgesicht!« erwiderte Petrov und legte seinen Remington-Revolver auf den Harpunier an.
Elihu stand aufrecht im Regen, zwei Schritte hinter Jacob, waffenlos.
»Neeeiiin!« schrie der Auswanderer und schleuderte seine Axt gegen Petrov.
Gleichzeitig zog der russischstämmige Seemann den Abzug seines Remingtons durch.
Der Schuß krachte, bevor die von Jacob geschleuderte Axt den Schützen traf.
Die breite Seite des Axtblattes prallte gegen Petrovs Kopf. Der Getroffene machte einen unsicheren Schritt nach hinten und stürzte auf den hölzernen Boden des Vorbaus.
Da Jacob nicht sicher war, den Russen längerfristig ausgeschaltet zu haben, sprang er auf und hetzte zum Vorbau. Dort sah er, daß er sich nicht so hätte zu beeilen brauchen. Das Axtblatt hatte eine tiefe, stark blutende Wunde in Petrovs Kopf geschlagen. Der Maat war bewußtlos.
Es konnten noch mehr Gangster aus dem Haus kommen. Zwar ertönten von vorn keine Schüsse mehr, was auf einen Sieg des Lieutenants hinwies, aber möglicherweise flohen einige Gangster durch das Hotel. Deshalb nahm Jacob die Revolver der beiden Seeleute an sich.
Dabei stellte er fest, daß Frenchy tot war.
Er kümmerte sich nicht weiter darum. Die Sorge um den Freund trieb ihn wieder hinaus in den Regen.
Petrovs Kugel mußte Elihu getroffen haben. Der Harpunier kniete im Schlamm und schwankte von einer Seite zur anderen, als er sich bemühte, nicht vollends umzukippen.
Es wirkte wie ein Todeskampf!
Und es war einer. Das sah Jacob sofort, als er bei Elihu anlangte. Die Kugel war in die Brust des Harpuniers gedrungen, dicht neben dem Herzen.
Zu dicht!
Elihu hob den Kopf, als Jacob vor ihm stand, und fragte mit brüchiger Stimme: »Haben wir. die beiden. erwischt?«
»Ja.«
Jacob konnte nicht mehr sagen. Seine Stimme machte da nicht mit.
Der Auswanderer wußte, daß sein Freund verloren war. Der starke Blutverlust ließ keinen anderen Schluß zu.
Und trotzdem wollte er es nicht wahrhaben. Er dachte daran, wie er Elihu aus dem Lagerhaus geholt hatte. Sollte das vergebens gewesen sein, nur ein kurzer Zeitaufschub, den Gevatter Tod dem Seemann gewährt hatte?
»Tut mir leid«, röchelte Elihu.
»Was denn?«
»Habe dir doch. versprochen. deine Freundin Irene. mit dir zu befreien.«
»Das wirst du auch«, versicherte Jacob gegen sein besseres Wissen.
Der Harpunier schüttelte schwach den Kopf.
»Nicht. etwas vormachen. Jake.«
Das waren seine letzten Wort. Das bärtige Gesicht sackte auf die Brust. Die starken Arme, auf die Elihu sich gestützt hatte, versagten ihren Dienst.
Jacob griff nach dem Freund, wollte ihn auffangen. Aber der nasse, glitschige Körper entglitt seinen Händen.
So wie Piet Hansens Leichnam nach dem Untergang der ALBANY Jacob entglitten und in den Tiefen des Pazifiks verschwunden war.
Wieder hatte Jacob einen guten Freund verloren. Auch wenn er Elihu erst seit kurzem kannte, er hatte sich dem rauhen, aufrichtigen Harpunier so nah gefühlt wie kaum einem Menschen sonst, den er in Amerika kennengelernt hatte.
Hufgetrappel riß den Auswanderer aus seiner Trauer. Eine ganze Herde stürmte aus einem Stall. Alles reiterlose Tiere, die, von irgend etwas aufgeschreckt, in die Gewitternacht hinausliefen.