158477.fb2
Nach einer bewegten Fahrt zu der vor Anker liegenden Avenger stellte Bolitho überrascht fest, daß der Kutter für seine geringe Größe relativ stabil lag. Der steife Wind zwang ihn, seinen Hut festzuhalten; einen Augenblick blieb er vor dem engen Niedergang stehen, betrachtete interessiert den stämmigen Mast und das breite Deck, das in dem grauen Licht wie Metall glänzte. Das Schanzkleid hatte auf beiden Seiten Stückpforten für zehn Sechspfünder, während vorn im Bug und achtern im Heck zusätzliche Sockel für Schwenkgeschütze montiert waren. Klein mochte der Kutter sein, aber bestimmt kein Schwächling im Kampf, entschied er.
Eine Gestalt löste sich aus dem geschäftigen Gedränge arbeitender Seeleute und trat den beiden Fähnrichen entgegen. Es war ein Riese an Größe und Umfang, mit einem von Wind und Wetter gebräunten Gesicht, so daß er mehr wie ein Spanier wirkte als wie ein Brite.
Mit dröhnender Stimme sagte er:»Hab' schon von Ihnen gehört. «Er streckte eine große, narbenbedeckte Hand aus:»Andrew Gloag, kommissarischer Segelmeister und Steuermann.»
Bolitho stellte Dancer vor und verglich die beiden dabei: der schlanke, blonde Fähnrich und die gewaltige, unerschütterliche Gestalt Gloags im geflickten blauen Rock. Seinem Namen nach konnte er aus Schottland stammen, jetzt sprach er jedoch unverfälschten Devonshire-Dialekt.
«Die jungen Herren gehen wohl besser nach achtern. «Gloag schielte zur Küste hinüber.»Wir gehen bald Anker auf, wie ich den Kommandanten kenne. «Er grinste, wobei er mehrere Zahnlücken entblößte.»Hoffentlich sind Sie ihm nicht zu ähnlich. Noch ein paar von derselben Sorte könnte ich kaum verkraften!«Lachend schob er sie zum Niedergang.»Gehen Sie hinunter und sehen Sie nach Ihren Sachen. «Er fuhr herum und brüllte durch die hohlen Hände:»Lebhaft da, du fauler Schuft! Beleg' die Leine, oder ich zieh' dir das Fell über die Ohren!»
Bolitho und Dancer kletterten atemlos die kurze Niedergangstreppe hinunter und tasteten sich zu einer kleinen Kabine im Heck weiter, wobei sie mehrfach mit dem Kopf an die niedrigen Decksbalken stießen. Die Avenger schien sie mit ihren Geräuschen und Gerüchen zu umfangen, einige wohlvertraut, andere jedoch fremdartig anmutend. Sie wirkte mehr wie ein Lastprahm als ein Kriegsschiff. Offenbar war sie eine Klasse für sich, ebenso wie Andrew Gloag, dessen gewaltige Stimme mühelos durch Wind und Holz drang. Als Steuermannsmaat und kommissarischer Steuermann würde er vermutlich niemals auf dem Achterdeck eines Schiffes wie der Gorgon kommandieren, aber hier war er König.
Es fiel Bolitho schwer, sich Gloag bei der Zusammenarbeit mit Hugh vorzustellen. Plötzlich fiel ihm sein Bruder wieder ein, und er fragte sich wie schon so oft, weshalb er ihm im Grunde immer fremd blieb.
Hugh war irgendwie verändert, härter und selbstsicherer, falls dies überhaupt noch möglich war. Genauer gesagt, er wirkte nicht glücklich.
Dancer schob seine Seekiste in eine freie Ecke und setzte sich darauf. Sein Kopf reichte selbst jetzt noch bis fast zu den Decksbalken.
«Was hältst du von allen, Dick?»
Bolitho lauschte auf das Knarren und Ächzen des Holzes, das Klappern und Klatschen nassen Tauwerks in der Takelage über ihren Köpfen. Bald würde es noch lebhafter werden, wenn sie erst einmal den Schutz der Reede verlassen hatten.»Strandräuberei und Schmuggel, ich glaube, die beiden gehen immer Hand in Hand, Martyn. Der kommandierende Admiral in Plymouth muß jedoch mehr wissen als wir, wenn er so bereitwillig die Avenger schickt.»
«Ich hörte deinen Bruder sagen, er habe seinen Ersten Offizier verloren, weil er ihn auf eine Prise überstellen mußte, Dick. Da möchte ich bloß wissen, was aus dem letzten Kommandanten des Kutters geworden ist. «Er lächelte.»Dein Bruder scheint ein besonderes Geschick zu haben, die Leute loszuwerden. «Das Lächeln verschwand.»Tut mir leid, Dick. Das war taktlos von mir!»
Bolitho berührte Dancers Arm.»Nein. Du hast recht, das ist so seine Art.»
Riemen klatschten längsseits ins Wasser, begleitet von weiteren Flüchen und Drohungen Gloags.
«Die Jolle legt wieder ab. «Bolitho zog eine Grimasse.»Hugh kommt an Bord.»
Es dauerte länger als erwartet, bis Hugh völlig durchnäßt vom sprühenden Gischt, grimmigen Gesichts und in unverkennbar schlechter Laune eintraf.
In der Kabine warf er sich auf eine Bank und schnauzte:»Wenn ich an Bord komme, erwarte ich, von meinen Offizieren empfangen zu werden. «Er starrte die Fähnriche wütend an.»Dies ist kein Linienschiff, wo für jede nebensächliche Aufgabe zehn Mann zur Verfügung stehen. Dies ist. «Er fuhr herum, als ein verängstigter Seemann zu ihnen hereinblickte.»Wo, zum Teufel, haben Sie gesteckt, Warwick?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Bringen Sie Brandy und heißes Wasser dazu. «Der Mann verschwand blitzartig.
In etwas ruhigerem Ton fuhr Hugh fort:»Ihr müßt auf jedem Kriegsschiff, auch wenn es noch so klein ist, immer ein gutes Beispiel geben.»
Bolitho sagte:»Tut mir leid. Ich dachte, da wir deinem Kommando nur attachiert sind.»
Hugh lächelte.»Attachiert, gepreßt, freiwillig, ist mir alles gleich. Ihr seid meine Offiziere, bis etwas anderes befohlen wird. Hier wartet Arbeit auf euch!»
Er blickte auf, als Gloag durch die Tür trat, den gewaltigen Körper vornübergebeugt, als wäre er bucklig.»Setzen Sie sich, Mr. Gloag. Wir trinken noch ein Glas, bevor wir Anker auf gehen. Alles in Ordnung an Deck?«Der Steuermann nahm seinen verbeulten Hut ab, und Bolitho sah zu seiner Überraschung, daß Gloags Schädel völlig kahl war. Er sah aus wie ein braunes Ei, während das Haar im Nacken und auf den Wangen so dick wuchs wie ein Pelz, als wolle es das Manko wettmachen. Hugh fuhr fort:»Du wirst die Pflichten des stellvertretenden Kommandanten übernehmen, Richard. Mr. Dancer wird dir dabei helfen. Zwei Hälften ergeben ein Ganzes. «Er lächelte über seinen Witz.
Gloag schien die gespannte Atmosphäre zu spüren und polterte dazwischen:»Ich habe gehört, daß Sie beide das Kommando auf einer Brigg übernommen haben, als Ihre dienstältesten Offiziere krank oder verwundet waren?»
Dancer nickte mit leuchtenden Augen.»Aye, Sir. Auf der Sandpiper. Dick kommandierte sie wie ein altgedienter Offizier.«Hugh unterbrach:»Hier ist Brandy. «Halb zu sich selbst fügte er hinzu:»Wir brauchen hier an Bord keine Heldenversammlung, besten Dank!»
Bolitho blinzelte seinem Freund zu. Sie hatten immerhin einen kleinen Sieg über Hughs Sarkasmus davongetragen. Er fragte:»Was Neues von den Schmugglern, Mr. Gloag?«»Oh, allerhand. Sie transportieren Spirituosen und Gewürze, Seide und mehr solchen Blödsinn für Leute mit zuviel Geld. Mr.
Pyke sagt, wir werden sie bald an den Hammelbeinen fassen. «Dancer sah ihn an.»Pyke?»
Hugh schob Becher über den niedrigen Tisch.»Pyke ist mein Bootsmann. War früher beim Zoll, bevor er vernünftig wurde und des Königs Rock anzog. «Er hob sein Glas.»Willkommen an Bord, meine Herren!»
Der verängstigte Seemann namens Warwick, der zugleich Messesteward war, brachte eine Lampe herein und hängte sie vorsichtig an einen Decksbalken.
Bolitho setzte gerade sein Glas an die Lippen, als er sah, daß Dancer ihm einen Wink mit den Augen gab. Er blickte in die angezeigte Richtung und sah einen dunklen Fleck auf Hughes weißem Strumpf. Solche Flecken hatte er während des letzten Jahres zu oft gesehen, um ihn nicht sofort als Blut zu erkennen. Im ersten Augenblick glaubte er, Hugh sei verwundet oder hätte sich beim Anbordkommen das Schienbein gestoßen. Dann merkte er jedoch, daß dieser seinem Blick mit einem Gemisch aus Trotz und Beschwörung begegnete.
Getrappel von Füßen war über ihnen zu hören, und Hugh stellte sein Glas vorsichtig auf den Tisch.
«Ihr werdet Wache um Wache gehen. Sobald wir aus der Bucht sind, segeln wir südwärts und gewinnen Seeraum. Ich habe ein paar Informationen, aber noch nicht genügend. Wir setzen keine Lichter, unnötiger Lärm ist zu vermeiden. Meine Leute kennen ihre Arbeit, die meisten von ihnen sind ehemalige Fischer oder Berufsseeleute, gewandt wie die Katzen. Ich will diese Schmuggler oder Strandräuber so schnell wie möglich und gleich mit Stumpf und Stiel ausrotten, bevor ihr Beispiel Schule macht. Ähnliches hat es in dieser Gegend schon früher gegeben, sogar in Kriegszeiten. Der Schwarzhandel blühte in beiden Richtungen, hat man mir erzählt!»
Gloag griff nach seinem Hut und ging gebückt aus der Tür.»Ich mache alles klar zum Auslaufen, Sir.»
Hugh blickte Dancer an.»Gehen Sie mit. Lernen Sie von ihm. Die Avenger ist keine Gorgon.«Als Dancer zur Tür ging, während sein Schatten im Licht der schwankenden Laterne hin und her huschte, fügte Hugh halblaut hinzu:»Und auch keine Sandpiper, um das gleich klarzustellen. «Zum erstenmal allein miteinander, musterten sich die Brüder prüfend.
Bolitho schien es, als könne er durch Hughs Maske der verächtlichen Abwehr hindurchsehen. Es war nicht nur die krampfhafte Wahrung seiner Autorität, was beim ersten, wenn auch vielleicht nur vorübergehenden eigenen Kommando des Einundzwanzigjährigen verständlich gewesen wäre. Da war noch etwas anderes, eine deutlich spürbare Unruhe und abwehrende Härte in seinen Augen. Er brauchte nicht lange zu warten.
Hugh begann zu sprechen, beiläufig zunächst:»Du hast den Fleck gesehen? Schade, aber es ließ sich nicht vermeiden. Ich kann mich darauf verlassen, daß du dichthältst?«Bolitho paßte seinen Ton dem seines Bruders an und sagte mit gleichgültigem Gesicht:»Mußt du das erst fragen?«»Nein. Tut mir leid. «Hugh griff zum Brandy und schenkte sich geistesabwesend nochmals ein.»Es war eben eine Angelegenheit, die ich unbedingt noch erledigen mußte.«»Hier in Falmouth?«Bolitho beugte sich vor, fast wäre er aufgesprungen.»Denkst du denn gar nicht an Mutter?«Hugh seufzte.»Es war zum Teil ihretwegen. Ein Narr, der sich wegen einer anderen Affäre rächen wollte.«»Dieselbe Affäre, deretwegen du die Laertes verlassen mußtest?«»Ja. «Sein Blick schweifte in die Ferne.»Er wollte Geld. Also beantwortete ich seine Beleidigungen auf die einzig ehrenhafte Weise.»
«Du hast ihn provoziert und dann umgebracht?«Richard wartete auf ein Zeichen von Schuldbewußtsein. Doch Hugh zog nur seine Uhr und hielt sie unter die Lampe.»Der zweite Teil deiner Frage ist richtig. Dieser verdammte
Schuft!»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Eines Tages wirst du's zu weit treiben.»
Hugh lächelte zum erstenmal. Er schien erleichtert, wie befreit, daß er jetzt das Geheimnis mit jemandem teilte.»Aber bis zu diesem traurigen Tag, mein Junge, ist noch allerhand Arbeit zu verrichten. Somit begib dich also an Deck und scheuch' die Leute auf. Wir wollen Anker lichten, bevor es dunkel wird. Sonst landen wir noch deinetwegen als zersplittertes Wrack auf dem St. Anthony Head!»
Das Wetter hatte sich erheblich verschlechtert. Als Bolitho durch die Niedergangsluke an Deck stieg, schüttelte der Wind ihn wie mit Fäusten. Gestalten hasteten geschäftig hin und her, das Platschen ihrer nackten Füße auf den nassen Decksplanken erinnerte an eine Herde von Seehunden. Trotz des scharfen Windes und des sprühenden Gischtes trugen die Männer nur ihre karierten Hemden und weite weiße Hosen. Kälte und Nässe schienen ihnen nichts anzuhaben.
Bolitho duckte sich und sprang zur Seite, als die Jolle eingeschwenkt wurde und die Männer an den Davits noch zusätzlich mit eisigem Wasser begoß. Er sah den Bootsmann Pyke, der das Einsetzen leitete, bis das Boot an seinen Klampen festgezurrt war. Man konnte ihn sich gut als Zöllner vorstellen. Er hatte einen verschlagenen, listigen Blick und war völlig anders als jeder Bootsmann, den Bolitho bisher kennengelernt hatte. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich hier eingelebt hatte, dachte er. Überall prüften die Männer das Tauwerk auf den Belegnägeln, nahmen es ab, als erwarteten sie, es gefroren zu finden.
Es würde frühzeitig dunkel werden. Bereits jetzt war das nächstliegende Land undeutlich und verschwommen, die Mauern von Pendennis und St. Mawes formlos und kaum zu erkennen. Gloag rief:»Drei Mann an die Pinne! Sie wird tanzen wie 'ne Pastorentochter, sobald wir freikommen, Jungs!«Jemand lachte; das war ein gutes Zeichen. Gloag mochte gefürchtet sein, wurde aber offensichtlich auch geachtet. Dancer sagte rasch:»Hier kommt unser Kommandant, Dick. «Bolitho wandte sich um, als sein Bruder an Deck erschien. Trotz des Wetters trug er weder Überzieher noch Ölzeug. Die Aufschläge seines Offiziersrocks leuchteten sehr weiß in dem trüben Halbdunkel, und der Dreispitz saß verwegen schief. Bolitho legte grüßend die Hand an den Hut.»Der Master sagt, wir sind klar zum Ankerlichten, Sir. «Er war selbst überrascht, wie leicht ihm der förmliche Ton fiel. Aber es war die Marine, die jetzt sprach, nicht der Bruder zum Bruder.»Danke. Lassen Sie kurzstag hieven und schicken Sie die Leute auf Station. Wir setzen Großsegel und Fock, sobald der Anker freigekommen ist; mal sehen, wie sie das verträgt. Sobald wir frei vom Land sind, will ich Fock und Toppsegel setzen.»
«Gerefft, Sir?»
Die Augen Hughs ruhten einen Augenblick auf ihm.»Abwarten.»
Bolitho lief nach vorn in den plumpen Bug. Es schien unglaublich, daß die Avenger so viel Zeug fahren konnte, und das an einem einzigen Mast und bei diesem Wind! Er lauschte auf das metallische Klicken der Fallen, als die Männer ihr ganzes Gewicht in die Spillspaken legten. Er stellte sich vor, wie der Anker, mit seinen Flunken im Boden eingegraben, darauf wartete, herausgebrochen zu werden. In Augenblicken wie diesen malte er sich das oft aus. Er schreckte aus seinen Gedanken, als sein Bruder mit scharfer Stimme rief:»Mr. Bolitho! Mehr Leute ans Großsegel! Das wird harte Arbeit!»
Gloag schlug seine riesigen Hände zusammen wie Bretter.»Wind hat einen Strich geschralt, Sir!«Er grinste in den peitschenden Gischt, von seinem Gesicht strömte das Wasser.»Soll uns nur recht sein.»
Bolitho kletterte über ungewohnte Geschütztaljen und dickes Tauwerk, vorbei an ihm fremden Seeleuten und Unteroffizieren, bis er ganz vorn am Steven war. Er sah die gespannte Ankertrosse, die durch die Klüse hereinpolterte, als sich jetzt mehr Leute in die Handspaken legten. Auf beiden Seiten des Vorderstevens schäumte der Gezeitenstrom vorbei, als sei die Avenger schon in voller Fahrt.
Der Bootsmann kam nach vorn und stellte sich neben ihn.»Die richtige Nacht für unsere Zwecke, Sir!«Er erklärte es nicht weiter, sondern beschrieb einen alles umfassenden Kreis mit seiner Faust. Dann schrie er:»Ist kurzstag,[6] Sir!«Nun schien alles auf einmal zu passieren, als der Anker allmählich auf und nieder[7] kam und die Leute sich auf das Großsegel warfen, als hinge von dessen gewaltigem Baum ihr Leben ab. Bolitho mußte zur Seite springen, als das Vorsegel plötzlich freibrach und sich donnernd aufbäumte, aber sofort wieder von den Männern zusammengeschlagen und unter Kontrolle gebracht wurde.
Pyke rief nach achtern:»Anker ist frei, Sir!«Die Wirkung war überraschend. Großsegel und Fock füllten sich knallend, die Avenger legte sich unter dem Druck von Wind und Strom ruckartig auf die Seite und schien seitwärts in ihr sicheres Verderben zu gleiten.
Gloag brüllte heiser:»Schoten dicht, Mr. Pyke, lebhaft!«Bolitho fühlte sich plötzlich überflüssig und im Wege, als die Männer jetzt hierhin und dorthin sprangen, blind gegenüber dem Spritzwasser, das gurgelnd und schäumend über die Leereling rauschte.
Und dann, ebenso plötzlich, war alles vorüber. Die Avenger lag höher am Wind als jedes Schiff, das er bisher gesehen hatte, nachdem das riesige Großsegel und die flossenförmige Fock dichtgeschotet waren, wie Gloag befohlen hatte, und war so dicht, daß sie beinahe mittschiffs standen. Bolitho suchte sich einen Weg durch das Getümmel der arbeitenden Seeleute nach achtern, bis er an die lange Ruderpinne kam, an der drei Männer breitbeinig standen, weder Segel noch Kompaß aus den Augen lassend. Schaum wirbelte unter dem Heck hervor, und Bolitho sah, daß Dancer ihm vom Vordeck aus zugrinste — wie ein Schuljunge mit einem neuen Spielzeug.
Hugh blickte ihn ebenfalls an, die Lippen zu einem Strich zusammengepreßt.
«Nun?«Hughs Frage war zugleich auch eine Drohung.
Bolitho nickte.»Ein Klasseschiff, Sir! Sie fliegt wie ein Vogel!»
Der Bootsmann stapfte an die Luvreling und starrte zu der verschwommenen Küstenlinie hinüber.
«Aye, Mr. Bolitho. Und ich wette, ein paar Teufel beobachten diesen Vogel jetzt ganz genau!»
Das Land schob sich rasch vorbei, und Bolitho sah, wie der Gischt von den Kämmen der Brecher gepeitscht wurde und in langen Streifen davonstob, als sie sich jetzt der gefährlichen Landzunge näherten.
Pyke schrie durch die trichterförmig gehaltenen Hände:»Klar zum Auf entern!«Er blickte in des Kommandanten starres Gesicht, als erwarte er einen Widerruf seiner Forderung nach noch mehr Tuch. Als dieser jedoch nichts sagte, fügte er herzhaft hinzu:»Und einen Extraschluck für denjenigen, der als erster wieder unten ist!»
Bolitho versuchte, sich jeden Teil des jetzt rasch dunkler werdenden Decks einzuprägen, bis er glaubte, es auch bei völliger Dunkelheit den eifrigen Seeleuten gleichtun zu können in diesem Gewirr von Tauwerk und Blöcken, die dem Schiff erst das Leben verliehen.
Hugh und Master Gloag schienen zufrieden, als sie die arbeitenden Seeleute und die Segelstellung beobachteten und gelegentlich einen Blick auf den Kompaß warfen. Was für einen Riesenschritt ich doch noch vor mir habe, dachte Bolitho: vom Fähnrichslogis zu einem Platz auf dem Achterdeck. Sein Bruder war mit einundzwanzig Jahren schon auf einem ganz anderen Niveau. In wenigen Jahren hatte er dieses erste, winzige Kommando vielleicht schon vergessen und kommandierte wahrscheinlich seine eigene Fregatte. Die Avenger jedoch spielte für ihn trotzdem eine lebenswichtige Rolle, vorausgesetzt, daß er sich aus weiteren Affären heraushielt und seinen Degen privat in der Scheide ließ. »Mr. Bolitho!»
Hughs Stimme schreckte ihn auf.
«Ich habe vorhin gesagt, daß ich an Bord keine Passagiere brauche! Also bewegen Sie sich gefälligst und schicken Sie mehr Leute nach vorn. Wir setzen den Klüver, sobald die Toppsgasten oben sind.»
Als die Dämmerung allmählich tiefer Dunkelheit wich, warf sich die Avenger gegen die steiferen Kämme der offenen See. Stampfend schleuderte ihr Bug ganze Bretter aus Gischt beiseite, wenn er sich von der schwindelnden Höhe eines Wogenkammes in das tiefe Wellental stürzte. Schließlich ging sie über Stag und wies mit ihrem Steven nach Süden.
Stunde um Stunde trieb Hugh seine Besatzung an, bis sie zum Umfallen müde war. Das nasse, gefrierende Segeltuch, eisenhart und unnachgiebig, machte den Fäusten der vom Salzwasser geblendeten Männer schwer zu schaffen, und das ständige Donnern der prallen Segel übertönte sogar das Toben der See. Das Kreischen der Blöcke, wenn das aufgequollene Tauwerk durchgeholt wurde, das Stampfen der Füße an Deck, ein gelegentlicher Kommandoruf vom Achterdeck, alles zusammen vereinigte sich zu einem gewaltigen Chor der Anstrengung. Selbst der jugendliche Kommandant des Kutters mußte schließlich zugeben: zuviel war zuviel. Zögernd und widerstrebend befahl er, Toppsegel und Klüver für den Rest der Nacht zu bergen.
Schließlich kroch die Freiwache keuchend und zerschunden zu einer kurzen Atempause unter Deck. Manch einer von ihnen schwor, er werde nie wieder den Fuß an Bord setzen, sobald sie erst im Hafen waren. Doch das schworen sie immer. Und gewöhnlich kamen sie dann doch wieder zurück. Andere waren zu erschöpft, um überhaupt noch denken zu können, und ließen sich in ihrem Logis einfach fallen. Dort lagen sie dann inmitten des im Brackwasser hin und her schwappenden Gemisches aus nassen Kleidungsstücken und losem Tauwerk, bis der nächste Ruf ertönte:»Alle Mann an Deck zum Segelbergen!«Darauf brauchten sie nie lange zu warten.
Als Bolitho endlich in seiner Behelfskoje lag, hin und wieder hochgeschleudert vom wilden Stampfen des Schiffes, dachte er daran, wie sich der Urlaub wohl gestaltet hätte, wenn er Dancers Einladung nach London gefolgt wäre.
Ein Lächeln spielte um seine Lippen, bevor er in tiefen Schlaf fiel. Das wäre ein Unterschied wie Tag und Nacht gewesen.
mit straff gespannter Ankertrosse
mit senkrechter Ankertrosse