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Als die Avenger durch die heranrollenden Brecher stampfte, konnte Bolitho seine Ängste nur noch schwer verbergen. Der Kutter schien einen unglaublichen Lärm zu machen, und obgleich er wußte, daß sie nicht weiter als eine halbe Kabellänge[8] zu hören waren, fand er darin keinen Trost. Das Klatschen des Wassers gegen den Rumpf, das Knallen der schweren Segel, das anhaltende Schlagen und Klappern der sonstigen Takelage, das alles vereinigte sich zu einem gewaltigen Crescendo. Toppsegel und Klüver waren geborgen, aber auch unter Großsegel und Fock mußte die Silhouette der Avenger für jeden wachsamen Schmuggler zu erkennen sein. Wie Gloag vorausgesagt hatte, war es eine klare Nacht mit guter Sicht. Jetzt, da sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schien alles nur noch heller zu sein. Keine einzige Wolke war zusehen, dazu glitzerten Myriaden von Sternen, reflektiert vom Wasser und leuchtendem Gischt. Die Segel über ihnen hoben sich wie riesige Schwingen vom helleren Himmel ab. Ein Mann beugte sich mit ausgestrecktem Arm weit über einen Sechspfünder.
«Dort, Sir, genau in Lee voraus!»
Gestalten eilten wie in einem gut einstudierten Reigen über Deck. Hier und da knirschte ein Teleskop beim Ausziehen, oder jemand flüsterte mit seinem Nebenmann, sei es in Erwartung des Kommenden, sei es voller Neid auf den Glücklichen, der das Goldstück erhalten würde.
Hugh Bolitho sagte:»Ein Schoner, ohne Lichter. Noch unter vollen Segeln. «Mit einem Klicken schob er sein Glas zusammen.»Wir haben Glück, der macht noch mehr Lärm als wir. «Dann fügte er knapp hinzu:»Gehen Sie einen Strich höher, Mr. Gloag. Wir wollen den Windvorteil behalten, so lange es geht. «Gedämpfte Stimmen gaben Befehle weiter, Tauwerk quietschte durch Blöcke, während das gewaltige Großsegel über ihren Köpfen killte, bis es sich auf dem neuen Kurs wieder füllte. Bolitho blickte auf den Kompaß, als der Rudergänger mit heiserer Stimme meldete:»Ost zu Süd, Sir.»
«An die Backbordgeschütze!«Hughs Stimme klang unbeteiligt.»Pforten auf!»
Bolitho beobachtete, wie die Verschlüsse der Stückpforten sich hoben und den Blick auf den vorbeischäumenden Gischt freigaben. Die Avenger holte so stark über, daß Wasser durch die Pforten hereinschoß und sich über die Sechspfünder und die leichteren Schwenkgeschütze ergoß.
Normalerweise hätte Bolitho dieselben Empfindungen gehabt wie alle anderen um ihn herum: angespannt, entschlossen und wild in Erwartung des bevorstehenden Kampfes. Aber diesmal konnte er sich nicht konzentrieren, konnte seine Gedanken nicht von den Lastwagen losreißen, von der zu kleinen Eskorte, den Schrecken eines plötzlichen Überfalls durch einen weit überlegenen Gegner.
Ein Licht blitzte in der Dunkelheit auf, er glaubte zunächst, ein unachtsamer Seemann habe auf dem anderen Schiff eine Lampe fallen lassen. Doch dann hörte er einen schwachen Knall, wie das Geräusch einer in der Hand zerberstenden Walnuß, und wußte, daß es ein Pistolenschuß gewesen war. Ein Signal oder eine Warnung. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, was es bedeuten mochte.
«Ruder hart über, Mr. Gloag!«Hugh rief es laut, da Vorsicht nicht mehr nötig war, aber die Männer erstarrten trotzdem.»Klar an Deck!»
Weitere Blitze kamen vom anderen Schiff, trugen mehr zum Erkennen von dessen Form und Größe bei, als daß sie den sich duckenden Seeleuten der Avenger Schaden zufügten. Die Entfernung nahm rapide ab; die großen Segel trieben den Kutter vor dem Wind wie einen Raubvogel dahin. Dann sahen sie plötzlich die Umrisse des Schoners aus der Dunkelheit auftauchen. Seine Segel standen wild durcheinander, da man im letzten Augenblick versucht hatte, über Stag zu gehen. Bolitho beobachtete seinen Bruder, der wie unbeteiligt an der Luvreling stand, ein Fuß auf einem Poller, als beobachtete er eine Regatta.
«Klar zum Feuern!»
Eine kurze, spannungsgeladene Pause; über das Wasser hinweg hörte Bolitho aufgeregte Stimmen und das Klirren von Metall, dann kam von Hugh das Kommando: «Feuer!«Auf eine Entfernung von weniger als siebzig Yards donnerte die Backbordbatterie ihre Ladung in den Feind. Die langen, organgefarbenen Feuerzungen blendeten die Augen ebenso, wie die Detonationen die Ohren betäubten. Anders als die schwere Artillerie eines Linienschiffes oder selbst noch einer Fregatte, hatten die kleinen Sechspfünder der Avenger einen unangenehm hohen Knall, der sich ins Gehirn zu bohren schien. Bolitho malte sich die Wirkung von Schrot und Kartätschen auf das andere Schiff aus. Schon hörte er das Brechen und Fallen von Spieren, sah das Aufleuchten von Gischt neben dem abgedunkelten Schoner, als Takelage und mit dieser möglicherweise Menschen von den Masten ins Wasser stürzten wie Fallobst.»Auswischen! Laden!»
Hugh Bolitho hatte den Degen gezogen, er schimmerte im schwachen Sternenlicht wie ein dünner langer Eiszapfen. Es war derselbe Degen, mit dem er gerade erst diese Ehrenhändel bereinigt hatte, und vielleicht viele andere vorher.»Feuer»
Noch während die Breitseite herausdonnerte und den Schiffsrumpf wie eine Riesenfaust schüttelte, verriet vereinzeltes Blitzen und Knallen auf dem anderen Schiff, daß die Schmuggler noch nicht willens waren, sich zu ergeben.
Hugh Bolitho schrie gellend:»Klar zum Entern!«Er wandte sich nicht einmal um, als ein Mann dicht neben ihm zuckend zu Boden stürzte, eine Gewehrkugel in der Brust. Wie oft mochten sie dies wohl exerziert haben, dachte Bolitho, während er seinen Degen zog. Die Geschützbedienungen verließen ihre rauchenden Kanonen, ergriffen Entermesser, Piken, Äxte und Enterbeile, während der Rest der Besatzung an Fallen und Schoten stürzte. Einen Augenblick vor der Kollision verschwanden die Segel der Avenger wie von Zauberhand, so daß sie infolge der Restfahrt zwar mit einem immer noch gewaltigen Ruck längsseits schor, die Gefahr des Entmastens jedoch erheblich verringert war. Auch wurde sie nicht gleich wieder von ihrem Gegner weggetrieben.
Noch während die Enterhaken durch die Luft flogen und sich auf dem anderen Schiff verankerten, sprangen die Enterer bereits hinüber und schwärmten aus, begleitet von Schüssen und Kampfeslärm.
Da schrie Pyke:»Zurück, Jungs!»
Auch dies funktionierte wie eine Szene aus einer gut einstudierten Tanzvorführung. Die eben noch hurraschreienden Enterer warfen sich wieder über die Reling und sprangen auf ihr eigenes Schiff zurück, während die beiden Schwenkgeschütze auf der Back ihre mörderische Ladung zwischen die schreienden Gestalten spien, die sich gerade den Eindringlingen entgegenwarfen, um den Angriff zurückzuschlagen. Reihenweise wurden sie von den Kartätschen niedergemäht. Hugh Bolitho wies den Weg zum Angriff mit seinem Degen.»Jetzt! Auf sie, Jungs!«Dann war er mit einem gewaltigen Satz drüben auf dem anderen Schiff, gleichzeitig einen der eigenen Leute mitreißend, der zu kurz gesprungen war und zwischen die knirschenden Schiffsrümpfe zu fallen drohte. Noch in der Luft schlug er einem Gegner die Klinge über den Kopf. Bolitho rannte zur Back, mit gezücktem Degen sprang er mit der letzten Gruppe der Enterer laut schreiend hinüber. Ein Mann neben ihm brach lautlos zusammen, ein anderer schlug schreiend die Hände vors Gesicht. Das Schreien endete in einem Röcheln, als eine Lanze aus dem Dunkel geflogen kam und ihn durchbohrte.
Schulter an Schulter drangen Bolithos Leute auf dem Deck des Schoners vor, während die auf dem Kutter zurückgebliebenen Seeleute ihnen Warnungen und Ratschläge zuriefen, begleitet von Pistolenschüssen und ein paar wohlgezielten Speerwürfen. Bolitho rutschte in der großen Blutlache aus, die durch das mörderische Kartätschenfeuer der Schwenkgeschütze entstanden war. Doch er verbannte alle anderen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf den Angriff, auf Gesichter, die vor ihm auftauchten und wieder verschwanden. Stahl klirrte auf Stahl, mühsam und mit schmerzendem Handgelenk parierte er, zugleich nach einer Lücke in der Deckung des Gegners spähend. Über die Köpfe und Schultern der schreienden und fluchenden Kämpfer hinweg sah er seines Bruders weiße Aufschläge schimmern, hörte seine Stimme, als er die Leute vorwärtstrieb, den Gegner in immer kleinere Gruppen aufspaltend. Jemand schrie:»Das ist für Jackie Trillo, du Schwein!«Ein Entermesser fuhr zischend wie eine Sense durch die Luft und trennte mit einem einzigen, gewaltigen Hieb fast des Gegners Kopf vom Rumpf.»Ergebt euch! Nieder die Waffen!»
Aber noch mußten ein paar von ihnen dran glauben, bevor die Entermesser und Piken auf die Decksplanken polterten, zwischen die Toten und die stöhnenden Verwundeten. Dann sah Bolitho, wie sein Bruder mit der Degenspitze auf einen Mann wies, der neben dem unbemannten Ruder stand.»Lassen Sie Ihre Leute ankern. Aber wenn Sie versuchen, das Schiff zu versenken, lasse ich Sie auspeitschen. «Er steckte den Degen in die Scheide.»Und nachher aufhängen. «Bolitho ging zu Hugh hinüber und stellte sich neben ihn.»Ganz Cornwall muß das gehört haben!»
Hugh schien nicht hinzuhören.»Es sind doch keine Franzmänner, wie ich zuerst dachte. Eher scheinen es Kolonisten zu sein. «Er wandte sich abrupt seinem Bruder zu und nickte:»Ja, das stimmt. Wir lassen die Prise hier unter Bewachung zurück. Laß zwei Schwenkgeschütze hinüberschaffen und auf die Gefangenen richten, dann teile einen Unteroffizier zur Bewachung ein. Er wird wissen, was er zu tun hat. Bestimmt würde er lieber sterben als mir zu melden, daß sie ihm entkommen konnten!«Bolitho folgte ihm, während sein Bruder Befehle erteilte, hier Fragen beantwortete, dort eine Anordnung mit energischer Handbewegung oder mit nachdrücklich erhobener Stimme unterstrich.
Pyke rief von vorn:»Anker hält, Sir!»
«Gut. «Hugh ging zur Bordwand.»Der Rest von euch kommt mit mir. Mr. Gloag, lassen Sie ablegen und Segel setzen, bitte!«Blöcke quietschten, wie Geisterschwingen erhoben sich die Segel und trieben die Avenger von dem Schoner frei, der narbenbedeckt und mit schwerer Schlagseite zurückblieb.»Wohin, Sir?«Gloag blickte hinauf und musterte die Stellung der Segel.»Es ist verdammt gefährlich hier.«»Schicken Sie einen guten Lotgasten nach vorn ins Netz, bitte. Lassen Sie ständig loten. Bei vier Faden Tiefe werden wir ankern und sofort die Boote aussetzen. «Er warf einen Blick auf seinen Bruder.»Wir dringen in zwei Gruppen landeinwärts vor, bis wir die Straße kreuzen.«»Aye, Sir!»
Überraschend klopfte Hugh seinem Bruder auf die Schulter.»Kopf hoch, Junge! Eine hübsche Prise, sicherlich voller Schmuggelgut, und lediglich ein paar Mann verloren! Wir können immer nur einen Schritt nach dem anderen tun!«Als der Kutter sich dichter ans Land herantastete, verkündete des Lotgasten eintöniges Aussingen die wachsende Gefahr. Endlich, als bereits bedrohlich nahe Brandung und dahinter sich dunkel abzeichnendes Land an Steuerbord zu sehen waren, warfen sie Anker. Ohne Gloags wiederholte eindringliche Warnungen wäre Hugh sicher noch dichter unter Land gegangen, vermutete Bolitho.
Auch so beneidete er Gloag nicht um seine Verantwortung. Zwischen Sandbänken und schroffen Felsen, ohne ausreichende Besatzung vor Anker zu liegen, war schlimm genug. Aber wenn der Wind wieder auffrischen sollte, konnte er kaum verhindern, daß die Avenger abdriftete und schließlich auf die Klippen getrieben wurde.
Falls Hugh sich dessen ebenfalls bewußt war, gelang es ihm gut, seine Befürchtungen zu verbergen.
Die beiden Boote wurden zu Wasser gelassen, und mit Ausnahme einer verschwindend kleinen Gruppe von Leuten stieg alles ein, bis an die Zähne bewaffnet. Die tief im Wasser liegenden Boote steuerten die nächstgelegene Küste an. Noch während die Riemen sich im Takt hoben und senkten und das Land sie allmählich auf beiden Seiten umfing, empfand Bolitho die Leere und Stille. Schon das Geräusch von Gewehrfeuer hätte genügt. Die Leute, mit denen vorhin die Signale ausgetauscht worden waren, befanden sich bestimmt längst in ihren Hütten, oder sie rannten, so schnell sie konnten, zu irgendwelchen Verstecken.
Als sie endlich auf einem kleinen Sandstrand versammelt waren, auf den die See mit voller Wucht anbrandete, um dann geräuschvoll durch die Felslücken zurückzuströmen, sagte Hugh:»Wir teilen uns in zwei Gruppen auf, Richard. Ich nehme die rechte, du die linke Seite. Wer auf Anruf nicht stehen bleibt, wird unter Feuer genommen. «Dann nickte er seinen Leuten zu:»Vorwärts!»
In zwei langen Reihen stiegen sie den steilen Küstenhang hinauf. Zunächst erwarteten sie, beschossen zu werden, fanden sich aber allmählich damit ab, daß sie allein auf weiter Flur waren. Bolitho überquerte die schmale Küstenstraße, während seine Leute auf beiden Seiten ausschwärmten. Der Wind peitschte ihnen die flatternden Hosen um die Beine. Die Lastwagen waren wohl schon vorbeigefahren und jetzt in Sicherheit. Vielleicht konnte man die Radspuren der schwer beladenen Fahrzeuge entdecken, sofern sie auf dem felsigen Boden überhaupt welche hinterlassen hatten.
Der Seemann mit Namen Robins hob die Hand.»Sir!«Bolitho lief zu ihm hinüber.»Da kommt jemand!«Die Seeleute schwärmten aus und verschwanden auf beiden Seiten im Unterholz. Bolitho hörte das leise metallische Klicken, als sie die Hähne ihrer Gewehre spannten. Robins und Bolitho verharrten lautlos hinter einem sturmzerzausten Busch.
Der Seemann flüsterte plötzlich:»Da ist er wieder — betrunken, soviel ich hören kann. «Er grinste.»War offensichtlich nicht so beschäftigt wie wir!«Sein Grinsen erstarrte zur Grimasse, als sie hörten, daß der Mann schluchzte und vor Schmerzen stöhnte. Dann sahen sie ihn hin und her schwankend die Straße überqueren, beinahe fallend in seinen bemitleidenswerten Bemühungen um Eile. Kein Wunder, daß Robins ihn für einen Betrunkenen gehalten hatte. Plötzlich jedoch rief er:»O Gott, Sir! Das ist einer von unseren Leuten! Billy Snow!«Bevor Bolitho Robins zurückhalten konnte, lief er auf den Schwankenden zu und fing ihn in seinen Armen auf.»Was ist passiert, Billy?»
Der Mann keuchte:»Wo wart ihr, Tom? Wo wart ihr bloß?«Bolitho und ein paar andere Seeleute halfen Robins, den Mann vorsichtig auf den Boden zu legen. Wie er es geschafft hatte, bis hierher zu kommen, war ein Rätsel. Er blutete aus mehreren Hieb- und Stichwunden, und seine Kleidung war völlig blutdurchtränkt.
Als sie versuchten, seine Wunden zu versorgen, sagte Snow mit schwacher Stimme:»Erst ging alles gut, Sir, aber dann sahen wir die Soldaten. Sie kamen herangebraust wie eine Kavallerieschwadron bei der Attacke!»
Er winselte, und jemand sagte ärgerlich:»Vorsichtig mit der Wunde, Tom!»
Snow fuhr undeutlich fort:»Einige der Unsrigen riefen hurra, nur so zum Spaß, und der junge Mr. Dancer lief ihnen entgegen, um sie zu begrüßen.»
Bolitho beugte sich tief hinunter zu ihm, er fühlte des Mannes Verzweiflung, das Herannahen des Todes.»Dann, dann…«Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ruhig, Mann, lassen Sie sich Zeit.»
«Aye, Sir. «Im fahlen Sternenlicht schimmerte sein Gesicht wie Wachs, die Augen waren fest geschlossen. Er versuchte es wieder.»Sie ritten in uns hinein wie ein Sturmwind, hackend, schlagend, stechend. Sie ließen uns keine Chance, in einer Minute war alles vorüber.»
Er hustete, und Robins flüsterte heiser:»Er geht von uns, Sir!«Bolitho fragte rasch:»Was wurde aus den anderen?«Snow wandte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf.»Dort drüben, weiter oben, liegen sie. Alle tot, glaube ich, obwohl ein paar von ihnen in Richtung zur See geflüchtet sind. «Bolitho wandte sich ab, seine Augen brannten und schmerzten. Seeleute liefen immer in Richtung See, wenn sie sich verraten und verloren fühlten. Das war alles, was sie wußten, ihre letzte Hoffnung.»Er ist tot, Sir.»
Sie standen um Snow herum und starrten ihn an. Wohin hatte er in seinen letzten Augenblicken flüchten wollen?» Kommandant kommt, Sir.»
Hugh Bolitho trat, gefolgt von seinen Leuten, aus der Dunkelheit, so daß die Straße mit einem Male belebt erschien. Alle blickten auf den Leichnam nieder.
«Also sind wir zu spät gekommen. «Hugh beugte sich über den Toten.»Snow, ein guter Mann. «Er richtete sich auf und fügte abrupt hinzu:»Beeilt euch, sucht die anderen. «In der Mitte der Straße schritt er weiter, aufrecht, vollkommen allein. Es dauerte nicht lange, bis sie die anderen fanden. Sie lagen auf der Straße oder am felsigen Abhang verstreut, und einige waren offensichtlich die Steilküste hinuntergeworfen worden. Überall war Blut, und als die Seeleute die mitgebrachten Laternen anzündeten, glitzerten die toten Augen böse auf, als wollten sie ihre Kameraden noch im Tode für ihren Verrat verfluchen.
Die Wagen und Waffen der Begleitmannschaft waren verschwunden, jedoch fehlten einige von den Leuten. Bolitho vermutete, daß sie entweder in der Dunkelheit entkommen oder aber gefangengenommen worden waren. Und dies in Cornwall, seiner eigenen Heimat, nicht mehr als fünfzehn Meilen von Falmouth entfernt!
Ein Mann, den Bolitho als den Bootsmannsmaaten Mumford erkannte, kam herbei, in der Hand einen Dreispitz; er sagte bedrückt:»Ich denke, dies ist Mr. Dancers Hut, Sir. «Bolitho nahm ihn entgegen. Er fühlte sich kalt und feucht an. Da brachte ein Ruf sie alle in Bewegung. Jemand hatte einen verwundeten Seemann gefunden. Er lag versteckt in einer Felsspalte oberhalb der Straße, kaum noch bei Bewußtsein. Bolitho lief ebenfalls hin, um zu sehen, ob noch Hilfe möglich sei. Plötzlich blieb er jedoch abrupt stehen, denn im Schein der Laterne, die Robins hochhielt, hatte er etwas Helles durch das nasse Gras schimmern sehen. Robins, rief schnell:»Moment, ich schaue nach, Sir!«Zusammen kletterten sie den schlüpfrigen Hang hinauf, bis die Laterne eine am Boden ausgestreckte Gestalt schwach beleuchtete. Was Bolitho hatte schimmern sehen, war blondes Haar, das sich jetzt beim Näherkommen als blutverschmiert erwies.
«Bleiben Sie zurück!»
Bolitho nahm Robins die Laterne aus der Hand und rannte das letzte Stück des Weges, dann kniete er bei dem Leichnam nieder, packte den blauen Rock und drehte den leblosen Körper auf den Rücken. Im schwachen Lampenlicht schienen ihn die toten Augen ärgerlich anzustarren.
Er lockerte seinen Griff, beschämt über seine Erleichterung. Es war nicht Dancer, sondern ein Zöllner, niedergemäht bei dem Versuch, dem Gemetzel zu entkommen. Er hörte Robins fragen:»Alles in Ordnung, Sir?«Bolitho unterdrückte die in ihm aufsteigende Übelkeit und sagte:»Helfen Sie mir, den armen Kerl hinunterzuschaffen!«Stunden später versammelten sie sich erschöpft und niedergeschlagen im ersten grauen Morgenlicht unten am Strand. Weitere sieben Überlebende waren gefunden worden oder beim Klang der Stimmen aus ihren Verstecken hervorgekommen. Doch Martyn Dancer war nicht darunter. Als Bolitho wieder an Bord des Kutters stieg, sagte Gloag mit rauher Stimme:»Solange er am Leben ist, besteht auch noch Hoffnung, Mr. Bolitho.»
Dieser sah der ablegenden Jolle zu, in der Peploe, der Segelmacher, und sein Maat mit ernsten Gesichtern an Land fuhren, die Toten für ihre Bestattung einzunähen. Sie hatten teuer bezahlen müssen für diese Nacht, dachte Bolitho unglücklich. Ihm kam der blonde Tote in den Sinn, seine eigene Verzweiflung, die sich in Hoffnung gewandelt hatte, als er feststellte, daß es nicht sein Freund war, der da vor ihm lag. Aber jetzt, als er die blasse Küstenlinie mit den kleinen Gestalten darauf betrachtete, hatte er das Gefühl, daß diese Hoffnung nicht sehr groß war.
ca. 92 m