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Colonel de Crespigny saß steif in der Achterkajüte der Avenger und blickte sich mit einer Mischung aus Neugier und Widerwillen in dem engen Raum um.
Er sagte zu den beiden Fähnrichen:»Wie ich schon Ihrem — äh — Kommandanten erklärt habe, kann ich auf Grund einer so dürftigen Zeugenaussage keinerlei Risiko eingehen. «Als beide sofort zu protestieren begannen, fügte er hastig hinzu:»Ich sage ja nicht, daß ich nicht glaube, was Sie gehört haben oder meinen, gehört zu haben. Aber vor einem Gericht — und seien Sie sicher, ein Mann von Sir Henrys Position und Autorität würde sich den besten Anwalt nehmen — klänge es weniger überzeugend.»
Er beugte sich zu Dancer hinüber, wobei seine blankpolierten Stiefel auf den Decksplanken knarrten.
«Überlegen Sie selbst. Ein erstklassiger Advokat aus London, ein erfahrener Untersuchungsrichter und ein voreingenommenes Gremium von Geschworenen — Ihr Wort wäre bestimmt der einzige Protest im ganzen Gerichtssaal! Die Besatzung des Schoners kann man auf Verdacht festhalten, obgleich ihr bisher keinerlei üble Absicht oder gar eine Verbindung zu Sir Henry nachzuweisen war. Ich bin ziemlich sicher, daß neue Belastungen auftauchen werden, aber nur gegen sie und nicht gegen den Mann, den wir überführen wollen.»
Hugh Bolitho lehnte sich gegen die Bordwand, die Augen halb geschlossen.»Es scheint, wir sind an einem toten Punkt angelangt.»
Der Oberst nahm einen Pokal und füllte ihn sorgfältig, bevor er wieder das Wort ergriff.»Wenn Sie das Dorf finden und dazu ein paar klare, eindeutige Beweise, kann ein Fall daraus werden. Wenn nicht, dann sind Sie auf Sir Henrys Unterstützung angewiesen, und zwar vor jedem Untersuchungsrichter und Gerichtshof. So grausam und ungerecht dies auch erscheinen mag, es sind die Tatsachen, mit denen Sie sich abfinden müssen. «Bolitho betrachtete seinen Bruder und empfand wie dieser die Ungerechtigkeit ihrer Niederlage. Wenn Vyvyan erst hinter ihre Absicht kam, würde er möglicherweise einen weiteren Plan in Szene setzen, um sie in Mißkredit zu bringen und ihnen Hindernisse in den Weg zu räumen.
Gloag, den man wegen seiner Erfahrung zu der Besprechung hinzugezogen hatte, ließ sich vernehmen:»Es gibt Hunderte solcher Dörfer und Siedlungen im Umkreis von fünf Meilen, Sir. Die Suche könnte Monate dauern.»
Hugh Bolitho sagte bitter:»In welcher Frist die Kunde bis zum Admiral vorgedrungen und die Avenger sonstwohin unterwegs ist, zweifellos mit einem neuen Kommandanten. «De Crespigny nickte.»Höchstwahrscheinlich. Ich diene seit langem in der Armee, bin aber immer wieder erstaunt über die Entscheidungen meiner Vorgesetzten.»
Hugh griff nach einem Glas, überlegte es sich dann jedoch anders.
«Ich habe meinen Bericht für den Admiral und den obersten Zollbeamten in Penzance fertig. Whiffin, mein Sekretär, macht soeben die erforderlichen Abschriften. An die Verwandten der Gefallenen habe ich geschrieben und den Verkauf ihrer persönlichen Habe veranlaßt. «Er spreizte die Hände.»Ich we iß nicht, was sonst noch zu tun wäre.»
Richard Bolitho betrachtete ihn interessiert, sah er doch jetzt einen völlig anderen Mann vor sich als den selbstbewußten, zeitweilig sogar arroganten Bruder, den er gewohnt war.»Wir müssen das Dorf finden«, sagte er,»und zwar, bevor sie die Musketen und die andere Beute beiseite schaffen. Es muß doch irgendeinen Anhaltspunkt geben!»
De Crespigny seufzte.»Ich stimme zu. Aber auch wenn ich jeden Mann und jedes Pferd losschicke — finden würden sie nichts. Die Diebe ve rschwänden wie die Füchse in ihrem Bau, und Sir Henry käme dahinter, daß wir auf seiner Spur sind. Die >Gefangen-nahme< des Strandräubers und der gut arrangierte Austausch waren meisterhafte Schachzüge. Sie würden jedes Gericht überzeugen, vor allem in Cornwall.»
Dancer rief aus:»Sir Henry hat doch gesagt, er kenne den
Gefangenen und würde ihn früher oder später bestimmt wieder einfangen.»
De Crespigny schüttelte den Kopf.»Wenn Sie in bezug auf Sir Henry recht behalten, hat er den Mann längst umgebracht oder so weit weggeschickt, daß er keinen Schaden mehr anrichten kann. «Aber nun fuhr Hugh Bolitho auf:»Nein! Mr. Dancer hat heute die einzige Bemerkung gemacht, die Hand und Fuß hat. «Er blickte sich in der Kabine um, als suche er einen Ausweg.»Vyvyan ist zu schlau und zu skrupellos, um eine Spur zu legen, deren Unechtheit nachgewiesen werden könnte. Wenn wir herausfinden, wer der Mann war und wo er herkam, könnte uns das vielleicht weiterführen!«Er schien zu neuem Leben zu erwachen.»Es ist jedenfalls alles, was wir in der Hand haben. «Gloag nickte zustimmend.»Ich wette, er stammt von einem der Höfe, die Sir Henry gehören.»
Bolitho spürte förmlich das Aufflackern von Hoffnung in der Kabine. Zwar war sie schwach, aber doch stärker als noch vor wenigen Augenblicken.
Hugh sagte lebhaft:»Ich schicke jemanden nach Hause. Wir müssen Hardy fragen, der hat für Vyvyan gearbeitet, bevor er zu uns kam.»
De Crespigny starrte ihn an.»Ihr Obergärtner? Seine Aussage würde ich nicht ins Treffen führen, wenn für mich so viel auf dem Spiel stünde.»
Hugh lächelte.»Mit Verlaub, Sir, es ist meine Karriere, die auf dem Spiel steht, und der gute Name meiner Familie. «Die Avenger schwoite lässig an ihrer Ankertrosse, als wolle sie ihren Eifer bekunden, wieder auszulaufen und ihren Teil zum Erfolg beizutragen.
Richard Bolitho fragte:»Nun, sollen wir es versuchen?«Er kannte Bill Hardy als einen alten Mann, dessen Tastsinn ihm mehr über die seiner Obhut anvertrauten Pflanzen und Blumen vermittelte als sein nur noch schwaches Augenlicht. Aber er hatte sein ganzes Leben in einem Umkreis von zehn Quadratmeilen rund um Falmouth zugebracht und wußte eine ganze Menge über die Menschen. Allerdings war er schweigsam und behielt sein Wissen für sich. Bolitho vermutete, daß sein Vater ihn eingestellt hatte, weil er ihm leid tat.
Hugh sagte:»Sobald wir können, aber vorsichtig. Sie schon jetzt zu alarmieren, wäre eine Katastrophe.»
Überraschenderweise gestattete er seinem Bruder und Dancer, mit diesem Auftrag nach Hause zurückzukehren. Ob aus dem Grunde, weil diese beiden wenig Aufsehen erregen würden, oder weil er fürchtete, daß sein Temperament mit ihm durchgehen könnte, vermochte Bolitho nicht zu entscheiden.
Als sie über den mit Kopfsteinen gepflasterten Platz eilten, sagte Dancer noch etwas atemlos:»Allmählich fange ich an, mich wieder frei zu fühlen! Was auch kommen mag, ich bin dafür gewappnet!»
Bolitho musterte ihn lächelnd. Sie hatten sich auf das gemeinsame Weihnachten und auf eins von Mrs. Tremaynes phantastischen Festessen gefreut. Aber nun sah die unmittelbare Zukunft genauso grau aus wie das trübe Wetter und keineswegs mehr so ermutigend, wie sie ihnen in der Kabine der Avenger erschienen war. Anstatt des erhofften, üppig gedeckten Tisches von Mrs. Tremayne würden sie wohl demnächst eher den Amtstisch eines Untersuchungsrichters vor sich haben. Bolitho fand seine Mutter in der Bibliothek, wo sie einen Brief schrieb, einen der vielen an ihren Mann. Es mußten wohl jeweils mehr als ein Dutzend unterwegs sein oder in der Obhut irgendeines Hafenkommandanten auf die Ankunft seines Schiffes warten.
Sie hörte sich an, was sie beabsichtigten, und erklärte sofort:»Ich werde mit ihm sprechen.»
Bolitho protestierte.»Hugh sagt, du sollst dich aus allem heraushalten. Keiner von uns möchte, daß du in diese Angelegenheit hineingezogen wirst.»
Sie lächelte.»Ich wurde bereits hineingezogen, als ich euren Vater heiratete. «Sie band sich einen Schal um und fügte ruhig hinzu:»Der alte Hardy sollte in die Strafkolonien abtransportiert werden, weil er Fisch und andere Lebensmittel für seine Familie gestohlen hatte. Es war ein schlechtes Jahr mit magerer Ernte und vielen Krankheiten. Allein in Falmouth starben mehr als fünfzig Menschen am Fieber. Der alte Hardy verlor später Frau und Kind. Sein Opfer — denn er war ein stolzer Mann — war umsonst gewesen.»
Bolitho nickte. Sir Henry Vyvyan hätte Hardy retten können, aber er hatte den Fehler begangen, von ihm zu stehlen. Die Angelegenheit eröffnete Bolitho einen weiteren Einblick in das Wesen seines Vaters: der strenge, disziplinierte Kapitän, der seiner Frau zuliebe mit dem kurzsichtigen Gärtner Mitleid hatte und ihn nach Falmouth holte.
Dancer nahm Platz und blickte ins Kaminfeuer.»Deine Mutter setzt mich immer wieder in Erstaunen, Dick. Ich habe das Gefühl, sie besser zu kennen als meine eigene. «Nach einer Viertelstunde erschien sie wieder und setzte sich an den Schreibtisch, als sei nichts gewesen.
«Der Zeuge heißt Blount, Arthur Blount. Er hatte schon früher Schwierigkeiten mit dem Zoll, aber jetzt wurde er zum erstenmal gefaßt. Er war niemals lange an einem Arbeitsplatz, meist befaßte er sich dort nur mit kleineren Ausbesserungsarbeiten auf den Farmen.»
Bolitho dachte an den toten Portlock. Wie Blount war auch dieser ein unsteter Mann ohne feste Arbeit gewesen und hatte alles angenommen, was er kriegen konnte.
Mrs. Bolitho fuhr fort:»Ich rate euch, an Bord zurückzukehren, ich schicke dann Nachricht, wenn ich etwas höre. «Damit legte sie ihrem Sohn die Hand auf die Schulter, blickte ihm in die Augen und sagte:»Aber seid vorsichtig. Vyvyan ist ein mächtiger Mann. Würde ein anderer als Martyn diese Vorwürfe erheben, ich hätte ihm nie geglaubt. «Sie lächelte dem blonden Fähnrich traurig zu.»Aber jetzt, da ich es auf diese Weise erfahren habe, bin ich überrascht, daß ich nicht schon früher darauf gekommen bin. Sir Henry hat Verbindungen nach Amerika und hegt wohl auch ehrgeizige Pläne drüben. Gewalt war von jeher seine Lebensweise, warum sollte er sich jetzt geändert haben? Aber es bedurfte eines Ortsfremden wie Martyn, ihn zu entlarven.»
Die Fähnriche gingen an Bord zurück. Der Wind hatte aufgefrischt, und sie stellten fest, daß mehrere der kleineren Fischerboote bereits in den Schutz der Bucht zurückgekehrt waren.
Hugh hörte sich die Geschichte von Blount an und sagte:»Ich habe die Nase voll vom Warten, aber es bleibt uns diesmal keine andere Wahl.»
Später, als es dunkel war und die Reede voller weißer Schaumkronen, hörte Bolitho, daß die Deckswache ein sich näherndes Boot anrief.
Dancer, im Augenblick wachhabender Offizier, kam den Niedergang heruntergepoltert und stieß mit dem Kopf gegen einen Decksbalken, anscheinend ohne es zu spüren. Er rief aufgeregt:»Es ist deine Mutter, Dick!«Dem Kommandanten meldete er in förmlichem Ton:»Mrs. Bolitho, Sir. «Sie betrat die Kabine; ihr Umhang und Haar glitzerten von den Gischtspritzern, was sie noch jünger erscheinen ließ. Sie setzte sich und berichtete:»Der alte Hardy kennt den Weiler, und ich selbst sollte ihn auch kennen. Ihr erinnert euch, daß ich von dem schrecklichen Fieber erzählt habe? Damals ging ein Gerücht um, es sei die Strafe für irgendeine Hexerei, die sich in der kleinen Siedlung südlich von hier zugetragen haben sollte. Eine wütende Menschenmenge zerrte zwei arme Frauen aus ihren Hütten und verbrannte sie als Hexen. Es war der Wind oder die in der Trunkenheit außer Rand und Band geratene Menge, niemand weiß genau, wer schuld hatte, jedenfalls erfaßten die Flammen der beiden Scheiterhaufen die Hütten, und bald war der ganze
Weiler eine einzige Feuersbrunst. Als das Militär anrückte, war alles schon vorüber. Die meisten Bewohner glaubten, daß die Zerstörung ihrer Häuser übernatürliche Rache gewesen sei, eine Bestrafung für das, was sie zwei Hexen angetan hatten. «Sie fröstelte.»Es war natürlich töricht, aber einfaches Volk lebt nach einfachen Gesetzen.»
Hugh stieß hörbar den Atem aus.»Aber Blount glaubte nicht an diesen Zauber und ließ sich dort nieder. Andere gesellten sich dann zu ihm und teilten seine Freistätte. «Er blickte Dancer an und rief:»Mein Sekretär soll kommen!«Zu den anderen sagte er:»Ich schreibe De Crespigny eine Nachricht. Wir müssen möglicherweise ein großes Gebiet durchsuchen. «Dancer starrte ihn an.»Wollen wir hin?«Hugh lächelte grimmig.»Aye. Wenn es eine falsche Spur ist, dann weiß ich es wenigstens vor Vyvyan. Wenn es aber stimmt, möchte ich beim Fangschuß dabei sein!«Er dämpfte die Stimme und sagte zu seiner Mutter:»Du hättest nicht selbst kommen sollen. Du hast schon genug getan.»
Whiffin trat gebückt durch die Tür und starrte die Frau an, als traue er seinen Augen nicht.
«Einen Brief an den Kommandanten in Truro, Whiffin. Dann brauchen wir Pferde und ein paar gute Leute, die sowohl reiten als auch kämpfen können.»
«Ich habe zum Teil schon vorgesorgt, Hugh. «Seine Mutter beobachtete amüsiert sein Erstaunen.»Pferde und drei von unseren eigenen Leuten warten am Anlegesteg. «Gloag meinte besorgt:»Gott segne Sie, Madam, aber ich habe nicht mehr im Sattel gesessen, seit ich ein kleiner Junge war. «Hugh schnallte bereits seinen Degen um.»Sie bleiben hier. Das ist eine Arbeit für junge Leute. «In einer halben Stunde hatte sich die kleine Gruppe auf dem Steg versammelt: drei Landarbeiter, Hugh und seine beiden Fähnriche und sechs Seeleute, die geschworen hatten, sie könnten so gut reiten wie jeder feine Herr. Zu den letzteren gehörte auch der findige Robins.
Hugh Bolitho musterte sie durch den immer heftiger werdenden Regen.
«Fertig, Leute! Bleibt dicht zusammen!«Er wandte sich um, als ein weiterer Reiter in der Dunkelheit davongaloppierte, der den Brief zu Oberst de Crespigny bringen sollte.
«Und wenn wir diese Teufel finden, möchte ich kein Rachegemetzel erleben. Gerechtigkeit ist es, was wir jetzt brauchen. «Er wendete sein Pferd auf den nassen Pflastersteinen.»Los!»
Außerhalb der Stadt mußten sie wegen des dichten Regens und des schlechten Straßenzustands die Gangart der Pferde verlangsamen. Nach kurzer Zeit stieß ein einsamer Reiter zu ihnen, der eine lange Muskete quer vor sich über dem Sattel hielt. Er sah aus wie das Bild eines alten Kriegers.»Hier entlang, Mr. Hugh, Sir!«Es war Pendrith, der Jagdaufseher.»Ich habe von Ihrem Plan Wind bekommen, Sir. «Es klang, als grinste er.»Dachte, Sie könnten einen alten Waldläufer dabei gebrauchen.»
Schweigend ritten sie weiter, nichts war zu hören als das Trommeln der Hufe auf dem nassen Boden, das Keuchen von Mensch und Tier und das gelegentliche Klirren eines Steigbügels oder Entermessers.
Bolitho dachte an seinen Ritt mit Dancer, als sie zu dem schwach-sinnigen Jungen in der kleinen Bucht geritten waren, wo Tom Morgans Leichnam lag. War es erst wenige Tage her? Es kam ihm vor, als seien es Monate gewesen. Als sie näher an das abgebrannte Dorf kamen, erinnerte sich Bolitho, wie seine Mutter ihn gescholten hatte, weil er als Junge einmal auf einem geliehenen Pony allein dorthin geritten war, nur von einem Hund begleitet. Jetzt hatte sie den Aberglauben als töricht bezeichnet, doch damals hatte sie anders gesprochen. Die Pferde drängten sich zusammen, als Pendrith abstieg und sagte:»Höchstens noch eine halbe Meile, Sir. Es ist wohl besser, von hier aus zu Fuß zu gehen.»
Hugh sprang aus dem Sattel.»Fesselt die Pferde. Zwei Leute bleiben hier als Wache. «Er zog die Pistole und wischte mit dem Ärmel das Regenwasser davon ab.»Führen Sie uns, Pendrith! Ich bin mehr auf See zu Hause als im Wald. «Bolitho merkte, daß einige Leute über diese Bemerkung lachten. Er lernte immer noch dazu.
Pendrith und ein Knecht führten sie. Es war kein Mond zu sehen, aber eine Lücke im jagenden Gewölk gab kurz den Blick frei auf ein kleines spitzes Dach.
Bolitho flüsterte seinem Freund zu:»Noch heute bauen sie in manchen Dörfern diese kleinen Hexenhäuser. Sie sollen am Dorfeingang die bösen Geister vertreiben. «Dancer bewegte sich unbehaglich in seinen geborgten Sachen und zischte:»Hier haben sie wohl nicht viel Erfolg damit gehabt.»
Pendriths massige Gestalt kam zu ihnen zurückgerannt, Bolitho schien es, als werde er von Gespenstern gejagt. Der Jagdaufseher stieß hervor:»Dort brennt irgendein Feuer, Sir, auf der anderen Seite des Dorfes!»
Er wandte sich wieder um, und jetzt leuchtete sein Gesicht rot auf, als eine gewaltige Feuerzunge himmelwärts stieg und eine Wolke von Funken in die Luft wirbelte.
Einige der Männer schrien entsetzt auf; selbst Bolitho, der an die alten Hexengeschichten gewöhnt war, lief es eiskalt über den Rücken.
Hugh brach durch die Büsche, alle Vorsicht beiseite lassend, und schrie:»Lebhaft, Jungs, sie haben eine der Hütten in Brand gesetzt!»
Als sie die Kate erreichten, brannte sie bereits lichterloh. Ein dichter Funkenregen prasselte auf die geblendeten Leute herab und hinderte sie am Näherkommen.
«Mr. Dancer! Nehmen Sie zwei Mann, und gehen Sie auf die Rückseite!»
Im Licht der sich rasch ausbreitenden Flammen hoben sich die Gestalten der Seeleute und Landarbeiter klar vom Hintergrund der Bäume und Regenschleier ab. Richard Bolitho wickelte sich sein Halstuch um Mund und Nase und trat dann mit voller Wucht gegen die Tür. In diesem Augenblick stürzte polternd das strohgedeckte Dach ein, so daß Funken seine Beine versengten. Pendrith brüllte:»Zurück, Master Richard! Es ist zwecklos!«Bolitho wandte sich ab und sah seinen Bruder in die Flammen starren, unempfindlich gegen Hitze und Funken. Im selben Augenblick wurde ihm alles klar. Hugh sah mit der Hütte all seine Hoffnungen, seine ganze Zukunft in Flammen aufgehen. Die Hütte mußte angezündet worden sein, denn kein normales Feuer hätte sich bei diesem starken Regen so rasch ausbreiten können. Rasch faßte er einen Entschluß. Er warf sich nochmals mit ganzer Kraft gegen die Tür, von dem eisernen Willen getrieben, noch rechtzeitig in die Hütte zu gelangen.
Die Tür gab nach und stürzte wie eine verkohlte Zugbrücke nach innen, und als der Rauch sich hob, sah er den sich windenden Körper eines Mannes zwischen brennenden Möbeln und glühenden Dachsparren am Boden liegen. Blitzartig registrierte er diese Einzelheiten, während er hineinrannte, sich über den Liegenden beugte und ihn an den Schultern zur Tür zerrte. Der Mann war an Händen und Füßen gefesselt und half verzweifelt mit den Beinen nach. Über dem Knebel quollen seine in Todesangst geweiteten Augen hervor. Der Gestank verbrannten Fleisches und der Gedanke an die ungeheure Grausamkeit, mit der ein Mensch hier bei lebendigem Leibe hätte verbrannt werden sollen, verursachten Bolitho Übelkeit.
Schreie drangen durch das Brausen der Flammen an sein Ohr wie das Kreischen sterbender Hexen, die einen letzten Fluch ausstießen.
Nun griffen andere zu und zerrten Bolitho samt seiner Last ins Freie, in den herrlichen, kühlenden Regen. Dancer kam durch den Feuerschein gerannt und schrie aufgeregt:»Das ist das Dorf, Dick! Ich bin ganz sicher! Diese Hütten wand…«Er brach ab und starrte auf den halb verbrannten Mann am Boden, der offensichtlich mit dem Tode rang. Pendrith kniete in Schlamm und Funkenflug neben ihm und fragte heiser:»Wer hat dir das angetan?»
Der Mann, in dem Pendrith bereits den vermißten Blount erkannt hatte, keuchte:»Sie haben mich gefesselt, damit ich verbrenne!«Er krümmte sich vor Schmerzen, die Zähne im Todeskampf entblößt.»Sie wollten mir nicht glauben!«Er schien erst jetzt zu merken, daß ihn Seeleute umstanden, und fügte mit brechender Stimme hinzu:»Nach allem, was ich für ihn getan habe!«Hugh beugte sich über ihn, das Gesicht wie zu Stein erstarrt, und drängte:»Wer? Wer hat es getan, Blount? Wir müssen es wissen!«Er versteifte sich, als eine der geschwärzten Hände des Verbrannten nach seinen weißen Aufschlägen griff.»Du stirbst! Sag's uns, bevor es zu spät ist!»
Der Kopf des Mannes sank zur Seite; Bolitho konnte fast fühlen, wie seine Schmerzen beim Nahen des erlösenden Todes verebbten.
«Vyvyan!«Noch einen Augenblick gaben ihm Haß oder Lebenswille Kraft. Blount schrie den Namen: «Vyvyan!«Hugh Bolitho stand auf und nahm den Hut ab, stand entblößten Hauptes, als sollte der Regen wegwaschen, was er gesehen hatte. Robins flüsterte:»Dieser Schrei hat ihm den Rest gegeben, Sir. «Hugh wandte sich ab.»Ihm und manchen anderen. «Als Richard Bolitho sich zum Gehen anschickte, sah er den Fleck an seines Bruders weißem Aufschlag, den der sterbende Blount hinterlassen hatte. Im flackernden Licht der Flammen kam er ihm vor wie ein Abdruck der Klaue Satans.