158478.fb2 Sturmfahrt nach Amerika - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

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Von anderen Auswanderern umringt, erschien eine von Weinkrämpfen geschüttelte Frau auf Deck, gefolgt von ihrem Mann, dessen Gesicht wie versteinert war und der in seinen Armen einen kleinen Jungen von höchstens fünf Jahren trug. Der Junge bewegte sich nicht, und seine Augen waren geschlossen. Jacob wußte sofort, daß er nicht schlief, sondern tot war.

Zu den nach oben drängenden Passagieren gehörte auch Martin. Jacob nahm ihn beiseite und fragte ihn, was geschehen sei.

»Genau weiß ich es auch nicht. Du weißt ja, daß ich in der Junggesellenabteilung schlafe und nicht bei den Familien. Soweit ich es mitbekommen habe, ist der Junge heute früh einfach nicht mehr aufgewacht. Seine Eltern fanden ihn tot im Bett.«

Bob Maxwells furchteinflößende Gestalt teilte die Menge. Der Erste Steuermann blieb vor dem Mann mit dem toten Kind auf den Armen stehen und fragte barsch, was der Aufstand zu bedeuten habe.

»Mein Sohn ist tot«, sagte der Vater mit erstickter Stimme und streckte das Kind dem Seemann entgegen.

»Wie ist er gestorben?« fragte unbeeindruckt der Mann mit dem Narbengesicht.

»Ich weiß es nicht. Heute morgen war er einfach tot.«

»Ging es ihm gestern schlecht?«

»Er hatte etwas Durchfall und mußte sich mehrmals übergeben. Aber, das haben wir alle schon auf diesem Kahn.«

»Hatte er Fieber, oder klagte er über Leibschmerzen?«

Der Vater sah seine Frau an und schüttelte dann den Kopf. »Nichts von beidem. Deshalb haben wir uns auch keine größeren Sorgen gemacht.« Jetzt konnte auch er die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Wolfgang war unser einziges Kind!«

Während sich Jacob und Martin, wie die meisten Passagiere, noch darüber wunderten, was die Fragerei bedeuten sollte, befahl Maxwell dem Vater, sein totes Kind neben den Großmast zu legen.

»Warum?« fragte der Auswanderer nur und sah den Ersten Steuermann verwirrt an.

»Ich muß meine Befehle nicht erklären. Tun Sie einfach, was ich sage!«

Zögernd machte der Deutsche ein paar Schritte auf den Großmast zu, als ihm seine Frau in die Arme fiel und sich schluchzend über den kleinen Leichnam beugte. Maxwell sprang hinzu und riß sie so grob beiseite, daß sie zu Boden stürzte.

»Lassen Sie das!« zischte der Schiffsoffizier.

»Und Sie lassen gefälligst die Frau in Frieden!« rief Martin laut und trat mit geballten Fäusten auf Maxwell zu.

Jacob, der sah, wie die Rechte des Steuermanns unter seine Jacke griff, wo vermutlich sein Messer steckte, faßte seinen Freund am Arm und hielt ihn zurück. Nicht so sehr aus Angst um Martin, sondern weil er spürte, daß Maxwell einen guten Grund für sein seltsames Benehmen hatte.

Für ein paar Sekunden stand Martin unschlüssig da, bis seine Vernunft und sein Vertrauen in den Freund die Oberhand gewannen und er in den Kreis der Auswanderer zurücktrat.

Jacob wandte sich an den trauernden Vater. »Tun Sie, was der Steuermann sagt, Herr. Es ist bestimmt besser so.«

Er hatte sich durch seine Stellung als Schiffszimmermann nicht nur bei der Besatzung, sondern auch bei den Passagieren Respekt erworben. Dieser wurde durch seine bescheidenen, aber ständig wachsenden Englischkenntnisse noch erhöht. Wann immer einer der des Englischen nicht mächtigen Auswanderer ein Problem mit einem Besatzungsmitglied zu besprechen hatte, wandte er sich vertrauensvoll an Jacob.

Dieser Respekt war es vielleicht, der den Vater jetzt dazu veranlaßte, langsam zum Großmast zu gehen und seinen toten Sohn in den Schatten des Takelwerks zu legen. Vielleicht hielt das Vertrauen in Jacob auch die übrigen Auswanderer davon ab, gegen den verhaßten Steuermann aufzubegehren; nicht nur Martin hatte seine Fäuste geballt, als die Mutter des toten Kindes zu Boden stürzte.

Die kleine, magere Frau stand mit Hilfe ihres Mannes auf und achtete nicht weiter auf Maxwell. Ihre Augen blieben auf ihr Kind fixiert, und Tränen rannen über ihre Wangen.

Maxwell kam an Jacobs Seite und sagte leise: »Sorgen Sie dafür, daß niemand der Leiche zu nahe kommt. Ich benachrichtige den Kapitän.«

Jacob nickte, und der Steuermann ging schnellen Schrittes nach achtern.

Martin sah seinen Freund mit gerunzelter Stirn an. »Was hat diese Geheimniskrämerei nur zu bedeuten?«

»Ich fürchte, etwas, das für uns alle sehr unangenehm werden kann.«

»Was denn, zum Teufel?«

Jacob schüttelte den Kopf. »Genau weiß ich es auch nicht. Man soll keine unnötigen Gerüchte in die Welt setzen, hat meine Mutter immer gesagt. Daraus ist noch nie etwas Gutes entstanden.«

Maxwell kehrte sehr schnell zurück, in seiner Begleitung Kapitän Haskin, Piet Hansen und der grobschlächtige Ire Paddy O'Rourke, der auf der ALBANY als Segelmacher fuhr. Die Männer beugten sich kurz über die Leiche, untersuchten sie aber nur sehr oberflächlich. Dann begann O'Rourke, den Jungen in ein mitgebrachtes Leinentuch zu wickeln und ihn darin einzunähen.

»Was soll das?« fragte der Vater erregt. »Wir haben noch nicht Abschied genommen von unserem Sohn!«

»Dann tun Sie es jetzt«, sagte Haskin ohne eine Spur von Mitleid. »Sobald der Segelmacher mit seiner Arbeit fertig ist, werden wir den Leichnam der See übergeben.«

»Warum?« fragte der Deutsche abermals.

»Weil es besser so ist«, lautete Haskins ausweichende Antwort. Dann besann er sich und fügte hinzu: »Wenn man einen Toten zu lange an Bord aufbewahrt, können Seuchen entstehen. Das will ich vermeiden.«

Jacob hatte das ungute Gefühl, daß dies nicht die ganze Wahrheit war.

Zwei Matrosen erschienen an Deck. Jeder schleppte schwer an einer der großen Eisenplatten, die ganz unten im Frachtraum der ALBANY als Ballast mitgeführt wurden. Sie legten die Platten in den Leinensack, der unter den flinken Stichen des Segelmachers entstand.

Die Kunde von der bevorstehenden Seebestattung machte schnell die Runde, und das Deck füllte sich zusehends mit Auswanderern. Einer der Matrosen, welche die Eisenplatten gebracht hatten, wurde von Haskin in die Kapitänskajüte geschickt und kehrte mit der großen Schiffsbibel zurück.

Als O'Rourke seine Arbeit beendet hatte, erkundigte sich der Kapitän nach dem Namen des Verstorbenen und hielt dann eine kurze Bestattungsrede, die er mit ein paar Bibelzitaten schmückte. Er schien die Stellen, an denen er das Buch der Bücher aufzuschlagen hatte, genau zu kennen. Haskins dürre Gestalt mit dem bleichen Totenschädel wirkte wie der personifizierte Todesengel.

Als er mit seiner Ansprache fertig war, rief er alle Versammelten zu einem stillen Gebet auf. Dann gab er zwei

Matrosen ein Zeichen, und sie hoben den kleinen Sack mit der Leiche hoch. Die Mutter des toten Jungen wollte noch etwa sagen, aber schon klatschte das Bündel ins Meer und versank in der Tiefe.

In diesem Moment riß ein gewaltiger Blitz den Himmel auf, schien ihn geradewegs spalten zu wollen, und wenige Sekunden später folgte ein ohrenbetäubendes Donnergrollen. Die meisten Seeleute erbleichten und bekreuzigten sich,

während strömender Regen einsetzte.

*

Es gewitterte und regnete den ganzen Tag über, und die See schlug heftige Wellen, als habe der Leichnam ihr die Ruhe geraubt.

Schlagartig war die gute Stimmung, die seit Wochen an Bord geherrscht hatte, verflogen. Allerlei Gerüchte über den Tod des Jungen machten die Runde, und der starke Aberglaube der Seeleute tat ein übriges.

Abends nach dem Sprachunterricht, als die meisten der Schüler gegangen waren und sich nur noch Jacob, Martin und Irene bei Piet Hansen in der Segelkammer aufhielten, sagte der junge Zimmermann: »Nun einmal heraus mit der Sprache, Piet! Was geht plötzlich vor auf der ALBANY? Man hat bei all den düsteren Gesichtern ja das Gefühl, daß auf dem Schiff plötzlich Satan persönlich mitfährt.«

»So ist es auch«, antwortete der Zweite Steuermann, während er seine Pfeife in Gang setzte. »Bisher haben wir außerordentliches Glück gehabt, daß der Tod - mit Slocums Ausnahme - der ALBANY ferngeblieben ist. Auf früheren Reisen sind die ersten Passagiere schon erheblich eher gestorben, weil sie nicht recht bei Kräften waren und die Anstrengungen der Seereise nicht verkrafteten. Aber was uns auf dieser Fahrt heimsucht, ist eine der schlimmsten

Todesarten überhaupt!«

»Eine Seuche?« fragte Jacob ahnungsvoll.

»Ja. Es ist die Cholera. Alle Anzeichen deuten darauf hin. Das Erbrechen des Jungen und der Durchfall, andererseits aber kein Fieber, keine Krämpfe. Die typischen Zeichen der Cholera!«