158478.fb2 Sturmfahrt nach Amerika - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Sturmfahrt nach Amerika - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

»Ganz meine Meinung«, rief Martin, der hinter seinen Freund getreten war.

»Wie geht es Irene?« wollte Jacob sofort wissen.

»Sie ist wieder bei Bewußtsein. Die Frauen kümmern sich um sie und haben mich weggeschickt. Sie sagen, wenn das Neugeborene gleich nach der Geburt einen Kerl wie mich sieht, bekommt es einen Schreck fürs ganze Leben.« »Könnte schon stimmen«, sagte Jacob grinsend und wandte sich wieder dem Großmast zu.

Der Matrose baumelte etwa vierzig bis fünfzig Fuß über ihnen an der abgeknickten Spitze wie eine Vogelscheuche im Wind und wagte keine Bewegung zu machen. Die Mastspitze mit dem Seemann änderte ihre Position je nachdem, in welche Richtung die ALBANY auf den Wellen schwankte. Neigte sich das Schiff nach steuerbord, hing Braden über Deck, neigte es sich aber nach backbord, war nur das aufgewühlte Meer unter dem Mann. Seine einzige Wahl schien tatsächlich darin zu bestehen, zerschmettert zu werden oder zu ertrinken.

Jacobs Blick fiel auf einen vom Sturm abgerissenen Fetzen Segeltuch in der Größe von etwa zwölf mal fünfzehn Fuß, der sich um die Gangspill gewickelt hatte. Plötzlich kam ihm eine Idee.

»Wie reißfest ist das Segeltuch?« fragte er den Kapitän.

»Ziemlich. Der Sturm mußte mächtig wüten, um das Segel zu zerfetzen.«

»Dann könnte es gehen«, murmelte Jacob zu sich selbst und erläuterte laut seinen Plan.

Für einen Augenblick sahen ihn alle entgeistert an.

»Sie sind verrückt, Adler!« brach es aus Maxwell hervor. »Sie wollen Braden in den sicheren Tod schicken!«

»Der Tod hat ihn sicher, wenn wir nicht etwas unternehmen!« entgegnete Jacob. »Wenn keinem etwas Besseres einfällt, sollten wir es zumindest versuchen!«

Alle Blicke richteten sich auf Josiah Haskin.

»Also gut«, entschied der Kapitän nach kurzem Überlegen. »Versuchen wir es!«

Auf sein Geheiß trommelte Maxwell alle verfügbaren Männer zusammen. Sie zerrten das abgerissene Segelstück von der Gangspill und entwirrten es. Jacob stellte erleichtert fest, daß es nur an den Rändern ausgerissen war, aber in dem Segeltuch selbst klaffte kein Riß.

Die Männer nahmen an den Rändern des Segels Aufstellung und zogen es auf ein Kommando des Kapitäns auseinander, bis das Tuch spannte. Als die ALBANY sich erneut nach steuerbord neigte, liefen sie mit dem Tuch unter die Stelle, wo hoch über ihnen der Matrose hing.

»Springen Sie!« rief Haskin mehrmals zu ihm hinauf, aber Braden zeigte keine Reaktion.

Die Bark schwankte wieder nach backbord, und die Chance war vertan.

»Lange macht die Mastspitze das nicht mehr mit«, befürchtete Jacob. »Sie scheint sich immer mehr nach unten zu neigen.«

»Warum springt der Mann auch nicht!« sagte der Kapitän vorwurfsvoll.

»Vielleicht versteht er gar nicht, was wir von ihm wollen«, meinte Jacob.

»Aber er muß uns und das Tuch doch sehen!«

»Vielleicht hat Braden ganz einfach Angst. Von da oben muß unser Tuch lächerlich klein aussehen.«

»Womit Ihr Plan gescheitert wäre, Adler«, frohlockte Maxwell, dem das Schicksal des Seemannes nicht so wichtig zu sein schien wie sein Triumph über den Zimmermann.

»Noch nicht«, sagte Jacob, ließ das Tuch los und lief zu den Wanten des Großmastes.

»Wo wollen Sie hin, Mann?« rief der Erste Steuermann ihm hinterher.

»Hinauf! Von allein kommt Braden ja nicht runter.«

»Nicht, Jacob!« entfuhr es Martin. »Du bist im Klettern nicht so geübt wie die Matrosen. Bei dem Seegang und dem Sturm wird es dich aus den Wanten fegen, noch ehe du Braden erreichst!«

»Die Zeit läuft uns davon«, antwortete Jacob nur und hing bereits in den Tauen, kletterte immer weiter nach oben, ohne auch nur einmal nach unten zu schauen.

»Soll er doch«, brummte Maxwell zufrieden und sah den verhaßten Deutschen schon zerschmettert vor seinen Füßen liegen.

*

Eine Hand vor die andere, einen Fuß vor den anderen, aber immer eine Hand fest im Tauwerk, so arbeitete sich Jacob nach oben. Je höher er kam, desto heftiger zerrte der Sturm an ihm.

Er sah über sich schon die Großbramsaling, als ihn eine tosende Bö erfaßte und einfach fortriß, obwohl seine linke Hand fest um ein Tau geklammert war. Aber die Hand wurde gewaltsam gelöst, und nur große Streifen Haut blieb zurück.

Jacob stürzte dem Deck, den größer werdenden Männern entgegen, als seine Hände etwas zu fassen bekamen und sich darin verkrampften. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als sein Fall aufgehalten wurde.

Er hing mit den Händen an der Großuntermarsrah und zog sich mit einer gewaltigen Anstrengung auf die hölzerne Querstange, an der zu weniger stürmischen Zeiten das Großuntermarssegel aufgespannt war.

Rittlings arbeitete er sich auf der Rah vorwärts, bis er den Mast erreichte. Dort verschnaufte er einige Sekunden und sah zu, wie die Mastspitze mit Braden aufs offene Meer hinaus-und wieder zurückschwenkte. Es kam ihm so vor, als sei die Spitze bei diesem Schwenk wieder ein Stück weiter nach unten geknickt.

Hastig kletterte er am Mast aufwärts, ohne auf seine blutende, schmerzende Hand zu achten. Auf der Großbramsaling hielt er an, weil kurz darüber der Mast abgeknickt war.

Als sich die ALBANY wieder nach steuerbord neigte und Braden dadurch in seine Nähe getragen wurde, rief er dem Matrosen zu, er möge in das Tuch springen.

Bradens Gesicht war noch bleicher als Haskins Totenschädel. Er klammerte sich an der Mastspitze fest wie ein kleines Kind am Rockzipfel seiner Mutter, schien zu keiner Bewegung fähig zu sein.

»Spring endlich!« brüllte Jacob aus Leibeskräften.

»Ich. ich kann nicht«, sagte der Seemann so leise, daß Jacob ihn kaum verstand. Vielleicht war es aber auch der Sturm, der seine Worte forttrug, bevor sie den Zimmermann ganz erreichten.

Die Bark kippte wieder in die andere Richtung, und die Mastspitze nahm Braden mit hinaus aufs Meer. Lange ging das Spiel nicht mehr so weiter, das erkannte Jacob an der Bruchstelle, die mehr und mehr splitterte.

Er konnte nicht anders, er mußte einfach nach unten aufs Deck schauen. Als er die kleinen Gestalten der Männer sah und den winzigen Fleck des Segeltuches, konnte er Braden verstehen. Ein Mann benötigte viel Gottvertrauen und Selbstüberwindung, um solch einen Sprung zu wagen.

Oder fürchterliche Todesangst! kam es Jacob in den Sinn, als die Mastspitze wieder in seine Richtung schwenkte.

»Spring!« forderte er den knochigen Seemann noch einmal auf, ohne Erfolg.

Da öffnete Jacob das große Klappmesser, das er bereits aus seiner Jackentasche geholt hatte, und kletterte noch ein kurzes Stück höher.

»Was. tust. du?« fragte Braden ängstlich.

»Ich kappe die Verbindungen der Mastspitze«, rief Jacob und setzte die Klinge an das brüchige Holz. »Wenn du nicht freiwillig springst, muß ich eben nachhelfen!«

»Nein! Nicht!«

Todesangst stand auf Bradens Gesicht geschrieben, noch stärker als zuvor. Aber genau das hatte der Zimmermann beabsichtigt.

»Dann spring jetzt endlich! Schnell!«