158478.fb2 Sturmfahrt nach Amerika - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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»Das ist noch lange kein Grund, ihn umzubringen.« Der Seebär mit dem dunklen, von vielen grauen Fäden durchzogenen Bart drehte sich um und zeigte auf die junge halbnackte Frau, die jetzt aufgestanden war und zitternd vor dem Eingang zum Zwischendeck stand. »Und was ist mit ihr? Kannst du das auch erklären, Bob?« »Das kann ich!« »Da bin ich aber gespannt.«

»Die Deutsche ist schwanger, und sie hat keinen Mann!« Für ein paar Sekunden klappte Hansens Kinnlade herunter, und er sah die Frau mit einer Spur von Mitleid an. »Schwanger«, wiederholte er nachdenklich und ließ dann seinen Blick über alle Beteiligten der nächtlichen Auseinandersetzung schweifen. »Ich glaube, wir sollten jetzt besser den Käpten benachrichtigen.«

*

Weitere Seeleute erschienen, von Piet Hansen alarmiert, auf Deck. Sie fesselten Jacobs Arme mit einem dicken Seil an den Oberkörper und brachten ihn tief unter Deck in den Laderaum. Auf dem Weg dorthin sah er zum erstenmal das

Zwischendeck, wo die Auswanderer wie Vieh zusammengepfercht waren. Es roch hier auch wie in einem Viehstall. Ein paar Augen blickten die kleine Gruppe neugierig an, aber die meisten der Schlafenden und Schlafsuchenden kümmerten sich nicht um die Unruhe. So etwas waren sie gewöhnt, wo Hunderte von Menschen auf engstem Raum zusammenhockten.

Jacob war fast erleichtert, als sie das Zwischendeck hinter sich ließen und über hohe Stufen hinabstiegen ins Dunkel des riesigen Frachtraums, der jetzt von der Laterne eines Seemanns erhellt wurde. Sie beleuchtete Kisten und Fässer verschiedener Größen sowie die unterschiedlichsten Gepäckstücke, in denen die Habseligkeiten der Auswanderer verstaut waren.

Im Zwischendeck war nicht genug Platz, um dort alles unterzubringen, weshalb das meiste Gepäck der Passagiere hier gelagert wurde. Wer etwas von den Sachen aus dem Frachtraum benötigte, mußte Geduld zeigen, wie Jacob später erfuhr. Der Frachtraum wurde nur an bestimmten Tagen für die Passagiere geöffnet, und auch dann immer nur für einen bestimmten Teil der Auswanderer, damit das Gedränge nicht zu groß wurde.

Einer seiner Bewacher versetzte Jacob einen groben Stoß, der ihn zu Boden warf, wo er hart mit dem Kopf gegen ein großes Faß stieß. Der Seemann sagte etwas auf englisch, und seine Begleiter brachen in Gelächter aus.

Die Männer stiegen die Treppe wieder hinauf ins Zwischendeck und verschlossen die Luke, die den Zugang zum Frachtraum von den Auswanderern trennte. Völlige Finsternis umgab Jacob, als er das Knarren der schweren Riegel über sich vernahm und dann das Quietschen des großen Schlüssels.

Die Schritte der das Zwischendeck verlassenden Seeleute entfernten sich. Bald hörte der Gefangene nur noch die Geräusche des Schiffes. Das Plätschern des Wassers klang hier unten viel lauter als oben an Deck, befand sich der Frachtraum doch zu einem guten Teil unterhalb der Wasserlinie. Auch das Knarren der Schiffsplanken hörte sich lauter an und vermischte sich mit dem leisen, beständigen Stöhnen der Fracht, die durch die Schiffsbewegungen um ein paar Zoll hin und her geschoben wurde.

Ab und zu hörte Jacob Geräusche von oben aus dem Zwischendeck. Wütende Flüche von Leuten, die im Schlaf gestört worden waren. Schritte, wenn es einer der Passagiere in dem stickigen Quartier nicht mehr aushielt und an Deck ging, um frische Luft zu schnappen, War auch die junge Frau, die von Maxwell und seinen Begleitern überfallen worden war, nach oben gegangen, um frischen Atem zu schöpfen?

Als ihn die Seeleute nach unten schafften, war Jacob an ihr vorbeigeführt worden. Er hatte in ihre grünblauen Augen gesehen, die Dankbarkeit und Erleichterung ausdrückten, aber auch Angst.

Angst um Jacob?

Oder hatte die Frau Angst um sich selbst?

Was hatte dieser narbengesichtige Maxwell noch gesagt? Die Frau war schwanger. Jacob hatte davon nichts bemerkt, als er an ihr vorbeiging. Aber es war nicht besonders hell dort oben, und er hatte sie nur für wenige Sekunden angesehen. Er hatte nicht auf ihren Leib geschaut, sondern in ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht, das von golden schimmernden Locken umrahmt wurde.

Weshalb war es so bedeutsam, daß sie schwanger war und keinen Mann hatte? So wichtig, daß Piet Hansen sich erst nach dieser Mitteilung entschloß, den Kapitän zu unterrichten.

Jacob grübelte noch darüber nach, als etwas heftig gegen sein rechtes Bein stieß. Er hörte ein lautes Quieken, dann erfolgte ein neuer Stoß gegen sein Bein, und etwas kroch an Jacob entlang.

Eine Ratte!

Es konnte nur einer jener unerwünschten Schiffspassagiere sein, die kaum eine Fahrt ausließen und nicht selten zur Plage wurden. Jacob, der noch immer am Boden lag, wälzte sich herum, um den ungebetenen Besucher zu vertreiben. Unter lautem Gequieke huschte etwas in der Dunkelheit davon.

Aber es dauerte nicht lange, und das große Nagetier war wieder da, diesmal mit Verstärkung. Es mußte etwa ein halbes Dutzend Ratten sein, das plötzlich über den gefesselten Mann kam.

Erschienen sie in so großer Zahl, weil sie in ihm einen mächtigen Eindringling sahen, einen Feind? Oder eine willkommene Bereicherung ihres Speiseplans?

Jacob schrie auf, als er kleine scharfe Zähne an seinem Arm spürte. Er wälzte sich noch stärker hin und her und konnte die Angreifer dadurch für kurze Zeit auf Distanz bringen. Er nutzte die Verschnaufpause, um sich an einem der großen Fässer hochzuziehen. Als die Ratten zurückkehrten, stand er zum Glück auf seinen Füßen.

Er trampelte wild herum, führte einen verrückten Tanz in der Dunkelheit auf, um ein paar der kleinen Biester zu erwischen und wenigstens so schwer zu verletzen, daß sie ihren Angriffsplan aufgaben. Ein paarmal traf er wohl die Ratten, aber kaum so schwer, daß er ihnen weh tat. Die Dunkelheit erlaubte ihm nur ein blindwütiges Herumtrampeln, keine gezielte Verteidigung.

Aber dann hatte er Glück. Er erwischte eine Ratte mit vollem Tritt und schleuderte sie weit in den Frachtraum hinein. Erst nach ein paar Sekunden klatschte sie irgendwo gegen eine Holzwand oder einen Gepäckstapel. Sie schien sich nicht mehr zu rühren; jedenfalls hörte er nichts.

Das brachte die übrigen Tiere zur Räson. Sie zogen sich von Jacob zurück.

Hatten sie endgültig genug, oder gönnten sie sich nur eine Verschnaufpause?

Oder schmiedeten sie gar einen neuen Angriffsplan?

Jacob wußte nicht, ob ihr Verstand dazu ausreichte. Aber er wußte, daß er sich nach seinem engen Versteck unter dem Ruderboot zurücksehnte, das er in den langen einsamen Nächten so oft verflucht hatte.

Da hörte er ein lautes Quietschen...

*

Jacob fuhr unwillkürlich zusammen, als er an einen neuen Angriff der Schiffsratten dachte. Aber dann erkannte er, daß das Geräusch von oben kam, wo sich der Durchgang zum Zwischendeck befand. Jemand hatte offenbar das Schloß geöffnet. Jetzt wurden die Riegel zurückgezogen, und dann klappte jemand die schwere Luke auf.

Obwohl das einfallende Licht nicht besonders stark war, blendete es den an die Dunkelheit gewöhnten Mann, und er kniff die Augen zusammen. Er mußte länger hier unten gewesen sein, als er gedacht hatte.

Schritte auf der Treppe und die Umrisse von Männern, die zu ihm herunterstiegen. Ihre Gesichter blieben Jacob wegen der Blendwirkung des Lichtes verborgen. Einer der Besucher hielt seine Laterne hoch, und ihr heller Strahl stach geradezu in Jacobs Augen.

Aber allmählich gewöhnte er sich daran und erkannte schließlich zwischen den gleichgültigen bis ablehnenden Gesichtern dreier Seeleute seinen Freund Martin Bauer, der ihn besorgt anblickte.

»Jacob, was ist mit dir passiert?« fragte er und deutete auf die an mehreren Stellen zerrissene Kleidung des Gefangenen.

»Ratten«, sagte Jacob nur und bemerkte jetzt erst, daß er aus einer kleinen Wunde am linken Oberarm, über der Jacke und Hemd zerrissen waren, blutete.

»Gleich kommst du hier raus«, sagte Martin. »Der Kapitän hat eine Verhandlung einberufen.« Er hielt eine Schale hoch,

die er in den Händen trug. »Vorher bekommst du erst mal was zu essen.«

Einer der Seeleute zog ein großes Messer aus der Jackentasche, klappte es auf und zerschnitt damit Jacobs Fesseln.

»Wenn du Schwierigkeiten machst«, sagte er in kaum verständlichem Deutsch und machte mit dem Messer die Bewegung des Kehledurchschneidens.

Jacob nickte verstehend. Er fühlte sich ziemlich zerschlagen und hatte nicht vor, Schwierigkeiten zu machen.

Seine Arme schmerzten noch von den Fesseln. Er schlenkerte sie hin und her und rieb sie heftig, damit das Blut wieder zirkulierte.

Martin zeigte auf Jacobs Armwunde und sagte etwas auf englisch zu dem Seemann mit dem Messer.

Der nickte und begann seine Klinge über der Laternenflamme zu erhitzen.

»Was hast du zu ihm gesagt?« fragte Jacob.

»Daß er die Wunde ausbrennen soll, damit du dich nicht infizierst. Es gibt keinen Arzt auf dem Schiff. Wenn du Wundbrand oder etwas Ähnliches bekommst, gibt es nur noch eine Möglichkeit, nämlich weg mit dem Arm!«

Der Gedanke ließ Jacob erschauern.

»Woher kannst du überhaupt Englisch?« erkundigte er sich.

»Piet Hansen gibt mir und noch ein paar anderen Unterricht in jeder freien Stunde. Es ist sicher nicht schlecht, die Landessprache zu beherrschen, wenn wir drüben in New York sind.«

»Sicher nicht. Ich sollte mich euch anschließen. Falls der Kapitän das zuläßt.«