158478.fb2 Sturmfahrt nach Amerika - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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Der Seemann mit dem Messer sagte etwas und hielt die heiße Klinge hoch.

»Er ist soweit«, übersetzte Martin, obwohl Jacob das auch so verstanden hätte. »Es wird ziemlich weh tun. Sollen wir dich festhalten?«

»Nicht nötig. Ich werde die Zähne zusammenbeißen.«

Jacob krallte seine Hände in den Rand des Holzfasses, an dem er stand, als sich die Hand mit dem Messer näherte. Martin riß die Ärmel von Jacobs Jacke und Hemd über der Wunde noch etwas weiter auf, damit der Seemann nicht durch den Stoff behindert wurde. Dann brannte sich auch schon der heiße Stahl mit einem leisen Zischen in Jacobs Haut.

Er hatte zwar mit Schmerzen gerechnet, aber nicht damit, daß sie so höllisch sein würden. Er hatte das Gefühl, die Klinge würde tief in seinen Arm hineinfahren und darin mit Gewalt herumgedreht werden. Sein Arm zitterte stark, und das Zittern übertrug sich auf seinen ganzen Körper. Jacob stöhnte laut und merkte erst nach einer Weile, daß der Seemann die Klinge schon wieder fortgenommen hatte. Wo die Ratte Jacob gebissen hatte, prangte jetzt eine dunkelrote Brandwunde. Eine heftig schmerzende Wunde.

»Iß etwas«, sagte Martin. »Das wird dich von den Schmerzen ablenken.«

Jacob fuhr mit dem Ärmel des unversehrten Arms über seine Stirn, um den perlenden Schweiß abzuwischen. »Laß es gut sein, Martin. Ich habe keinen Hunger.«

»Es wird dir guttun. Außerdem - wer weiß, wann du wieder etwas bekommst.«

»Du hast recht«, sah Jacob ein, ließ sich auf einer Kiste nieder und löffelte die aufgewärmte, etwas angebrannt schmeckende Erbsensuppe in sich hinein. Wenigstens war sie warm, und das tat ihm tatsächlich gut.

»Was ist das für eine Verhandlung, die der Kapitän einberufen hat?« fragte er zwischendurch.

»Das Schiffsgericht entscheidet, was mit dir und Fräulein Sommer geschehen soll.«

»Fräulein Sommer«, echote Jacob. »Ich nehme an, so heißt die Frau, die von den drei Kerlen belästigt wurde.« »Ja, Irene Sommer. Sie ist allein hier an Bord, hat keinen Mann. Und sie erwartet ein Kind, ist schon im fünften oder sechsten Monat, obwohl man kaum etwas erkennt. Aber wenn man genau hinsieht, bemerkt man es doch. Diesem Maxwell und seinen Kumpanen muß es auch aufgefallen sein. So kamen sie auf die Idee, sich die Frau gefügig zu machen. Wahrscheinlich rechneten sie damit, sie würde schweigen, aus Angst, ihr Geheimnis könnte verraten werden.«

»Warum, zum Kuckuck, soll denn niemand wissen, daß sie ein Kind erwartet?«

»Weil sie keinen Mann hat.«

»Und?«

»Ich wußte es bisher auch nicht, aber es gibt in Preußen ein Gesetz, das alleinstehenden Frauen, die ein Kind erwarten, die Auswanderung verbietet. Danach ist der Kapitän wohl verpflichtet, den nächsten Hafen anzusteuern und Fräulein Sommer dort an Land zu setzen, damit sie den preußischen Behörden übergeben werden kann.«

»Was für ein blödes Gesetz. Wofür soll das gut sein?«

Martin zuckte mit den Schultern, und die blauen Augen in dem breiten, sommersprossigen Gesicht blickten ratlos. »Frag mich etwas Einfacheres. Ich habe das Gesetz nicht gemacht. Vielleicht soll dem Vater nicht gegen seinen Willen das Kind entzogen werden.«

»Wer ist denn der Vater?«

»Du stellst mir aber auch Fragen, Jacob. Ich kenne Fräulein Sommer nur vom Sehen, habe bis heute keine fünf Worte mit ihr gewechselt.«

»Woher kennst du dich dann so gut in der Sache aus?«

»Piet Hansen hat es mir erzählt. Als Zweiter Steuermann der ALBANY gehört er zum Schiffsgericht.«

»Und wer noch?«

»Natürlich der Kapitän und dann der Erste Steuermann, Bob Maxwell.«

»Maxwell, das Narbengesicht?« rief Jacob empört. »Aber er hat doch bei dieser Schweinerei mitgemischt! Er wird kaum in der Lage sein, ein unvoreingenommenes Urteil über Fräulein Sommer und mich zu sprechen.«

»Ganz meine Meinung. Aber ich entscheide leider ebensowenig über die Zusammensetzung des Gerichts wie du.«

Jacob reichte seinem Freund die leere Suppenschale zurück und erhob sich ächzend, von einem äußerst unguten Gefühl beherrscht. Er erwartete wenig Gutes von der Gerichtsverhandlung, zu der er von Martin und den drei Seeleuten eskortiert wurde.

*

Diesmal erregte ihr Auftauchen auf dem Zwischendeck erheblich mehr Aufsehen. Es ging auf den Morgen zu, und viele der Auswanderer waren bereits auf den Beinen, froh, ihren engen Schlafstätten zu entfliehen.

Bärtige Männergesichter starrten ihn teilnahmslos an, Frauen blickten mitfühlend und Kinder der unterschiedlichsten Altersstufen neugierig. Während die Erwachsenen nur leise miteinander tuschelten, stellten die Kinder laut Fragen, wer der abgerissene Mann sei und wo er herkomme.

Tatsächlich mußte Jacob einen äußerst fragwürdigen Eindruck bei den Auswanderern hervorrufen, hatte er doch seit fünf Tagen keine Gelegenheit mehr zum Waschen und Rasieren gehabt.

Allerdings machte er später die Erfahrung, daß es auf dem Zwischendeck eine Menge Passagiere gab, die es mit der Sauberkeit nicht sehr genau nahmen. Eine Einstellungsweise, die im Verlauf der langen Seereise noch bittere Folgen nach sich ziehen sollte.

Es ging hinauf aufs Deck, wo die dort arbeitenden Seeleute Jacob ablehnend bis feindselig anstarrten. Er hatte sich mit einigen der Ihren angelegt. In ihren Augen hatte er sich damit automatisch zum Feind gemacht. So dachte er jedenfalls. Später sollte er erfahren, daß ihm einige Mannschaftsangehörige insgeheim zustimmten, denn Bob Maxwell war nicht bei allen beliebt.

Die ersten blaßrosa Sonnenstrahlen wurden durch grauschwarze Wolken gefiltert, die schwer am Himmel hingen. Nur undeutlich war deshalb die Sonnenscheibe im Osten erkennbar, die sich über einer Linie am Horizont erhob, wo Himmel und Meer miteinander verschmolzen. Oder war es gar das Festland, die Niederlande oder Frankreich, das sich dort kaum wahrnehmbar abzeichnete? Jacob konnte es nicht sagen.

Das Wetter schien weniger gut zu sein als an den bisherigen Tagen, und die See war aufgewühlter. Die ALBANY schlingerte im mächtigen Wellengang.

Schon drangen die ersten Auswanderer an Deck, der kleinen Gruppe um Jacob hinterher, um an die Reling zu stürzen und dort dem Übel freien Lauf zu lassen. Ein paar schafften es nicht einmal so weit.

Der Seemann, der Jacob losgeschnitten und seine Wunde ausgebrannt hatte, machte eine Bemerkung, und seine Gefährten lachten laut.

»Was hat er gesagt?« fragte der junge Zimmermann.

»Daß sie sich, wenn es richtig losgeht, die Seele aus dem Leib kotzen werden«, übersetzte Martin. »Dann wird es an der Reling so voll werden, daß sie sich gegenseitig anspucken. Jedenfalls habe ich ihn so verstanden.«

Die Seeleute drängten sie weiter, dem Heck der ALBANY zu.

Jacob drehte sich im Gehen um und sah nach dem Ruderboot, unter dem er so lange gelegen hatte. Sollte alles umsonst gewesen sein? Noch waren sie im Ärmelkanal, und es mußte dem Kapitän ein leichtes sein, eine der Küsten anzusteuern, um Jacob den Behörden zu übergeben und das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Er hängte seine Hoffnung an dem Gedanken auf, daß der Kapitän nicht wußte, wer er war und daß hundert Taler auf seine Ergreifung ausgelobt waren.

Dann fiel ihm etwas anderes ein. »Meine Tasche, Martin! Wo sind meine Sachen?«

»Ich wollte sie holen, aber da kamen vom Kapitän gesandte Männer und haben sie konfisziert.«

»Dann kennt der Kapitän jetzt meine Papiere und meinen wahren Namen.«

Martin nickte betrübt. »Ja, leider.«

Aber vielleicht weiß er trotzdem nichts von der Belohnung, machte sich Jacob Mut.

Die Bark schlingerte so stark, daß Jacob stolperte und hingestürzt wäre, hätte er sich nicht im letzten Augenblick an dem Luftzugrohr, das hinter dem Großmast aus den Planken ragte und das Zwischendeck mit Frischluft versorgte, festgehalten. Jetzt ahmte er den breitbeinigen Gang der Seeleute nach und beugte sich gleichzeitig, wie sie, leicht nach vorn, um sich der steifen Brise entgegenzustemmen, die von achtern kam. Mit diesem typischen Seemannsgang stakste er seiner Verhandlung entgegen.

*

Am Heck, noch hinter dem Platz des Steuermanns, ging es wieder unter Deck zur Kapitänskajüte, vor der zwei mit Karabinern bewaffnete Seeleute Posten bezogen hatte. Offenbar wollte Kapitän Haskin kein Risiko eingehen und einer Flucht seines Gefangenen vorbeugen.

Aber wohin hätte er fliehen sollen, mitten auf See? Jacob, an der Elbe geboren und gleichsam mit Elbewasser getauft, konnte recht gut schwimmen, aber bis zum Festland hätte er es nie und nimmer geschafft. Er wäre abgesoffen wie ein Stein,