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»Sie binden sie an einen Baum und schneiden sie in breite Streifen.«
Dem langen Neger traten vor Entsetzen die Augen aus dem Kopf.
»Du meinen, schneiden Ugawambi in breite Streifen, wenn Ugawambi noch leben?«
»Hm.«
»Das sein viel schrecklich, gräßlich, furchtbar!«
»Was du getan hast, ist noch furchtbarer! Wie konntest du dein Wort brechen? Wie konntest du die wilde Meute in diese Gegend führen? Hast du dir nicht denken können, daß damit Unglück über dieses friedliche Volk hereinbricht?«
»Ugawambi nichts denken. Ugawambi böse Schwiegermutter und habgierige Frau. Ugawambi viel Schnaps getrunken. Imi Bej sagen, Ugawambi Geschäftspartner von Imi Bej. Ein Viertel mein Anteil. Ein Viertel viel Whisky, sehr viel Whisky.«
»Du bist ein unverbesserlicher Säufer. Du verkaufst deine Seele, um dich mit dem berauschenden Zeug volllaufen zu lassen. Was hast du davon?«
»Was haben?« fragte Ugawambi erstaunt. »Viel schön, gute Bilder. Ganze Welt friedlich.
Schwarze Mann lieben weiße Mann, wenn Ugawambi hat getrunken viel Whisky.«
Michel berührten diese Worte in tiefster Seele, so komisch sie klangen. Ohne zu wollen, ja ohne es zu wissen, hatte ihm Ugawambi einen tiefen Einblick in sein Innerstes gewährt. Da war er, der arme, dürre, lange Neger. Einen Stolz hatte er, das war seine Perücke. Und eine Freude gab es für ihn, das war der Whisky. Nicht der Whisky, sondern der Rausch, den er sich antrinken konnte. Und weshalb wollte er den Rausch? Um in einer schönen Welt zu leben. In einer Welt, die keinen Haß, keine Rachsucht, keine Feindschaft kannte. Und wenn man bedachte, einen wie wachen Geist dieser Neger hatte, so waren die Umstände, unter denen er sein Leben fristen mußte, alles andere als schön. Vielleicht wäre er ein glücklicher Mensch, wenn sein Vater oder Großvater nicht von Sklavenjägern gefangen worden und mit den Weißen in Berührung gekommen wäre. Diese Eingeborenen waren wie Pflanzen, die erst eine gewisse Zeit brauchen, bis sie sich an den anderen Boden gewöhnt haben. In Ugawambi lebte bereits der Zwiespalt zwischen der schwarzen Haut und der weißen Umgebung. Und wem allein konnte man an solchen Zuständen die Schuld geben? Doch nur den Weißen, die die Araber dazu animierten, Sklaven für sie einzufangen. Für einen Menschen mit Gewissen war es wirklich schwer, sich seiner weißen Haut nicht zu schämen. Dieser Neger hatte im Rausch das Gute gesucht und war durch den Whisky, den er brauchte, um den Rausch zu erzeugen, auf die Bahn des Bösen gerutscht, ohne es selbst recht gemerkt zu haben. Man durfte ihn nicht strafen. Nein, die Schuld hatten andere.
»Massa Pfeifer?« unterbrach Ugawambi zaghaft das Schweigen.
Ja?«
»Du sagen zu König, daß Ugawambi erst erschießen, bevor in Streifen schneiden.« Michel zügelte sein Pferd.
»Der König der Wadschagga ist ein ungewöhnlicher Mann. Ich weiß zwar nicht, ob ich ihn davon überzeugen kann, daß du kein schlechter Kerl bist, aber ich werde es versuchen, wenn du mir bei allem, was dir heilig ist, schwörst, daß du nach deiner Rückkehr nach Sansibar nie wieder zu irgendeinem Menschen ein Wort über den Kilimandscharo sprechen wirst.«
Ugawambi antwortete nicht gleich. Er schien nachzudenken. Dann meinte er langsam:
»Ugawambi schwören und Schwur halten. Aber was können Ugawambi tun, wenn Schwiegermutter wieder Geld will?«
»Wirf die Alte hinaus.«
»Dann Frau zetern.«
»Bist du schon einmal auf einem Schiff gefahren?« fragte Michel.
»Nein. Aber Ugawambi gerne auf Schiff gehen. Hören daß auf Schiff viel gut Rum.«
»Nicht nur Rum. Auch sehr viel Arbeit.«
»Ugawambi viel arbeiten.«
»Würdest du auf einem Schiff fahren wollen, wenn ich dir einen Platz auf einem Schiff besorgte?«
»Ugawambi gerne auf Schiff fahren, auf große, große Wasser. Weit weg, weit weg von Schwiegermutter. Alle Jahre einmal Frau besuchen. Das genug.«
»Ich werde mir das überlegen. Versprich mir wenigstens, daß du alles, was in deinen Kräften steht, tun wirst, um in Zukunft solche Dinge zu vermeiden, die dazu führen, daß den Wadschagga ein Leid geschieht.«
»Ugawambi gern versprechen.«
Als der Morgen graute, hatten sie ein großes Stück Wegs zurückgelegt. Jetzt befanden sie sich im westlichen Seitental der Stadt. Sie erklommen den Hang. Als sie auf dem Kamm standen, lag die Stadt in der Morgensonne unter ihnen.
»Ist diese Stadt nicht viel zu schade, um von den Sklavenjägern zerstört zu werden?« fragte Michel.
Ugawambi nickte.
»Sehr schöne Stadt. Viel gute Stadt. Ugawambi lieben Stadt.«
Sie ritten hinunter und verhielten den Schritt ihrer Pferde erst dann, als sie vor der Treppe standen, die zum Schloß hinaufführte.
»Diablo !« rief Ojo lachend, als er Ugawambis ansichtig wurde. Michel und der Schwarze traten in die Audienzhalle des Schlosses, wo die anderen schon versammelt waren. Der König saß im Hintergrund und winkte freundlich.
Zu seinen Füßen hockte ein Halbkreis dunkler Gestalten, die sich bei Michels Eintritt umdrehten.
Michel erkannte Baluba, Unogi und einige andere der Bantu-Neger. Es waren alle diejenigen Leute Balubas versammelt, die ein Gewehr besaßen.
Baluba sprengte den Rahmen der Würde. Ihn trieb die Freude auf die Füße, als er Michel erkannte. Mit schnellen Sätzen sprang er auf ihn zu und umarmte ihn.
Auch die anderen stießen Freudenrufe aus. Bald war von der Ordnung der Versammlung nichts mehr zu sehen. Alles schnatterte und gestikulierte wild durcheinander.
Aradman und Maradsche warfen sich einen lächelnden Blick zu. An der Herzlichkeit, mit der die Bantu-Neger ihren Retter begrüßten, erkannten sie, daß alle Skepsis gegen den »pfeifenden Geist« unbegründet war. Dieser Mann, der so viel für die Eingeborenen getan hatte, würde sich bestimmt nicht mit den Sklavenjägern einlassen.
Die Blicke des Königs und Maradsches wurden erst wieder hart, als sie Ugawambi entdeckten.
In ihren Augen und nach Michels Erzählung mußte dieser ja der Schuldige sein.
»Wie geht es Tscham?« war Michels erste Frage. Ojo zuckte die Schultern.
»Der Oberzauberer hier, der alte Mann, den Ihr gestern kennengelernt habt, will mich nicht zu ihm lassen. Er erzählt irgend etwas von Geistern, die nicht entweichen könnten, wenn jemand im Räume sei. Wenigstens habe ich seine Zeichensprache so verstanden.«
»Andere Länder, andere Bräuche«, lächelte Michel. »Wenn ich ehrlich sein soll, Señor Doktor, so muß ich Euch sagen, daß ich zu diesem Arzt kein Vertrauen habe. Seine ganze Art mutet mehr wie Hokuspokus an. Die Medizin, wie wir sie verstehen, scheint nicht gerade seine starke Seite zu sein.«
»Das ist nur zu natürlich«, entgegnete Michel. »Der Europäer in seiner Überheblichkeit ist allzu leicht geneigt, den Zauberer der Eingeborenen als Kurpfuscher zu bezeichnen. Ich glaube aber, daß man auch von diesen Menschen viel lernen kann. Sicher haben sie keine Ahnung von unserem Fortschritt. Aber sie werden Mittel kennen und Gegengifte, von denen wir auf den Universitäten noch nie etwas gehört haben. Ich habe die Hoffnung, daß dieser alte Zauberer es eher vermag, das Fieber zu bekämpfen, als ein ganzes Gremium hochgelehrter Mediziner aller Universitäten der Erde.«Ojo blieb skeptisch.
»Na, warten wir ab. — Wenn Tscham gerettet wird, so ist mir auch ein eingeborener Gesundbeter willkommen.«
Michel wollte noch etwas erwidern, wurde aber von einem Gewirr lauter Stimmen plötzlich unterbrochen.
Ein paar Schritte abseits standen Aradman und Maradsche und stießen zornige Worte gegen Ugawambi aus.
Der Schwarze, der sich seines Unrechts durchaus bewußt war, hatte die Augen starr auf den Boden gerichtet. Er glaubte nichts anderes, als daß er jetzt bald an einen Baum gebunden und in Streifen geschnitten würde.
Michel überlegte, was er tun konnte. Die Gesamtsituation, in der sich der Pfeifer befand, wurde von Minute zu Minute verteufelter. Er gab sich einen Ruck und trat an die beiden zornigen Männer heran. Sie verstummten augenblicklich, als sie ihn bemerkten.