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Sie ließen die Pferde Trab gehen. Die Spur war gut zu sehen. Es kostete keine Mühe, ihr zu folgen. Von Zeit zu Zeit verfielen die Reiter in Galopp. Aber da sie auf ihre Tiere angewiesen waren, mußten sie sie schonen. Daskalte Grauen überlief Imi Bej, wenn er daran dachte, wie er unter Umständen seinen ganzen Haufen allein und ohne die Hilfe eines landeskundigen Führers an die Küste zurückbringen mußte. Würden sie Sansibar je wiedersehen?
Gegen Mittag hörte es auf zu regnen. Und plötzlich, so, als brauche der Prophet eine Straße, um zu ihnen hinunterzusteigen, zerriß der Dunstschleier über dem Land mit einem Schlag.
Die vorderen Reiter zügelten die Pferde zuerst. Erstaunte Ausrufe entflohen ihrem Mund.
Da! — Was war das?
Vor ihnen lag der Kilimandscharo in strahlender Herrlichkeit. Die Lichtfinger der Sonne liebkosten sein stolzes Haupt. Der »Berg der bösen Geister« war also kein Märchen der Eingeborenen. Er existierte wirklich.
»Wir sind am Ziel!« rief einer voreilig.
Niemand erwiderte etwas darauf.
Am Ziel, dachte Imi Bej grimmig. Dicht vor dem Ziel, das stimmte. Was hatte doch der Schwarze gestern noch behauptet? Drei bis vier Tage hätten sie noch zu reiten. Da, vor ihm lag der Beweis, daß diese Behauptung eine glatte Lüge war.
Imi Bej konnte sich das alles nicht recht zusammenreimen. Sollte Ugawambi doch geflohen sein? Wenn dem so war, warum hatte er dann sein Pferd nicht mitgenommen? Weshalb hatte er auf alles verzichtet, was ihm gehörte? Wo kam die zweite Hufspur her?
Als der Abend hereinbrach, befahl Imi Bej, haltzumachen. Zu einem der neben ihm Reitenden meinte er:
»Glaubst du, daß wir der Spur auch bei Nacht folgen könnten, wenn wir Fackeln entzünden würden?«
Der andere wiegte bedenklich den Kopf. Er entgegnete :
»Wir können es versuchen; aber ich verspreche mir nicht viel davon, weil das zu langsam gehen wird. Wir könnten nur Meter um Meter vorrücken. Das, wozu wir die ganze Nacht brauchen, schaffen wir bei Tageslicht in zwei bis drei Stunden.«
Diesem Argument konnte sich Imi Bej nicht verschließen. Er mußte dem Jäger recht geben.
So befahl er dann, das Lager aufzuschlagen.
Durch die Ereignisse der letzten Nacht vorsichtig geworden, stellten sie diesmal Wachen aus. Sie hätten sie sich sparen können; denn nicht einem einzigen Posten fiel auf, daß geübte Späher das Lager die ganze Nacht umkreisten.
Man wunderte sich zwar am nächsten Morgen über die Spuren von nackten Füßen, die kreuz und quer durch die Gegend liefen, nahm aber nicht weiter Notiz davon, da man sich auf Grund der besseren Bewaffnung allen Feinden hier bei weitem überlegen fühlte.
Als sich der Zug erneut formiert hatte, gab Imi Bej das Zeichen zum Aufbruch.
Sie hatten jetzt beständig ansteigendes Gelände vor sich. Michels und Ugawambis Spuren waren schlechter geworden. Dennoch konnte man sie erkennen. Imi Bej konnte sich, wie er dachte, gar keinen besseren Wegweiser wünschen.
Immer höher ging es hinauf. Hier gab es weder Regen noch Dunst. Es herrschte strahlender Sonnenschein. Keine Wolke verdeckte den Gipfel des hohen Berges. Er stand da wie in die Natur gemalt, ein herrlicher, majestätischer Anblick. Imi Bej fühlte etwas wie Triumph in sich aufsteigen. Sein Gefühl sagte ihm, daß dieser Berg das Geheimnis des märchenhaften Reichtums des Weißen enthalten mußte. Nur hier konnten die Schätze liegen. Er hatte zwar keinen Grund zu dieser Annahme; aber der Gedanke war einfach zwingend. Und er spann ihn unermüdlich aus.
Ganze Haufen von Edelsteinen und Perlen wollte er dem Imam von Maskat zu Füßen legen.
Dann winkte der Gouverneursposten. Daran gab es keinen Zweifel. Ein Sack voll würde für Harun ál Walan abfallen, wenn dieser sein Versprechen einlöste.
Und dann war er, der Gouverneur, praktisch der Herrscher von Sansibar.
Er hätte die Steine auch für sich behalten können. Reichtum war nicht zu verachten. Aber was war Reichtum? Nur ein Mittel zur Macht.
Und Macht —, Macht, Macht, das war es, wonach Imi Bej dürstete, wonach er gestrebt hatte sein Leben lang. Er fühlte sich zum Herrscher geboren. Er wollte, daß die Menschen wie Marionetten tanzten, wenn er nur den kleinen Finger bewegte. Eine geheime Armee würde er sich schaffen. Es würde ihm genug Geld bleiben, um sie auszurüsten. Und dann —, dann würde er etwas unternehmen, was noch niemand vor ihm gewagt hatte. Er würde Stück für Stück in das Innere Afrikas eindringen, bis hierher, bis zu diesem Berg. Das ganze Gebiet mußte unter seine Herrschaft kommen. Ein Reich wollte er erobern, größer als das des Imam.
Seine Gedanken waren mit ihm durchgegangen. Und so hatte er nicht bemerkt, daß sie bereits in ein Tal eingeritten waren. Erst der Ruf eines seiner Jäger: »Dort —, dort oben sind Menschen!« hatte ihn aus seinen Betrachtungen aufgeschreckt.
Er folgte der angegebenen Blickrichtung. Tatsächlich!
Auf den Berghängen zu beiden Seiten des Tals zeigten sich große, braune, nackte Gestalten.
Die Leidenschaft ging mit Imi Bej durch. Gleich würde er einen Beweis seiner Macht, seiner Allmacht, antreten. Mit lässiger Handbewegung deutete er auf den Kamm.
»Schießt die braunen Halunken herunter«, befahl er.
Seine Burschen, ebenso skrupellos und gefühlsroh wie er, zögerten nicht, sondern kamen dem Befehl nur zu gerne nach. Für sie waren diese Eingeborenen ja keine Menschen. Es mußte ein Vergnügen sein, die nach ihrer Meinung Ahnungslosen wie tolle Hunde abzuknallen. Es war so gut wie sicher, daß sie noch nie den Schuß eines Gewehrs gehört hatten. Und wenn wirklich den von einem Gewehr, so hatten sie doch nicht die Wirkung der Flinten von vierzig geschulten Schützen erfahren.
Jeder von ihnen fühlte sich durch Imi Bejs Befehl angesprochen. Und so richteten sich vierzig Läufe auf die fünf, sechs, sieben Männer, die man von hier aus sehen konnte. Die morgendliche Stille wurde von dem unregelmäßigen Knattern der Schüsse unterbrochen.
Oben stürzten die Gestalten zu Boden.
In diesem Augenblick erlebte Imi Bej die größte Überraschung seines Lebens.
Die Schüsse waren kaum verklungen, da schien das ganze Tal zu erbeben. Ein Dröhnen und Brausen setzte ein, das die Luft erzittern machte. Von den Hängen zu beiden Seiten des Tales donnerten gewaltige Gesteinsmassen nieder. Auf den Kämmen wimmelte es von einer unübersehbaren Menge brauner Krieger. Noch ehe die Gesteinslawine über die Sklavenhändler hereinstürzte, verdunkelte für einen Augenblick eine Wolke von Speeren die Sonne.Danach folgten ein paar gewaltige Detonationen. Stichflammen schössen droben empor. Die Gewalt des Pulverdrucks setzte größere Gesteinsmassen in Bewegung. Als die ersten riesigen Brocken bereits die Talsohle erreichten, hatte die zweite durch die Explosion verursachte Lawine die Hälfte des Weges zurückgelegt, der den Kamm von den Sklavenjägern trennte.
Die Schreie entsetzter Menschen mischten sich in das ängstliche Wiehern der Pferde.
Aus Imi Bejs Gesicht war alles Blut gewichen. Seine starren Augen ließen den Eindruck aufkommen, daß man es bereits mit einer Leiche zu tun hatte.
Der Hagel der Speere hatte Tod und Verderben gesät. Etwa die Hälfte der Menschen und Tiere lag stöhnend am Boden.
Den Rest erledigten die Steinbrocken. Wie durch ein Wunder blieben acht Reiter unverletzt.
Einer davon war Imi Bej.
Obwohl im Augenblick des Überfalls all seine Träume von Macht, Herrlichkeit und Reichtum in ihm erstorben waren, gelang es ihm doch als erstem, die Fassung wiederzugewinnen.
Sein Gehirn arbeitete wie rasend. Das, was hier soeben geschehen war, war das Ende der Expedition. Nun galt es, das nackte Leben zu retten. Imi Bej gab so schnell nicht auf. Was diesmal mißlungen war, konnte das nächstemal gelingen. Es würde eine Kleinigkeit für ihn sein, in Sansibar schnellstens eine größere und noch stärkere Expedition auf die Beine zu bringen.
All das schoß ihm in Sekunden durch den Kopf. Als einen Augenblick Ruhe eintrat, wandte er sich um und rief mit lauter, aber klarer Stimme :
»Kehrt! Kehrt! Flieht! — Bis wir hier heraus sind, ist sich jeder selbst der Nächste! Allah schütze euch!«
Er wandte sein Pferd und jagte in rasendem Galopp zurück. Die wenigen Überlebenden folgten ihm.
Nach etwa fünf Minuten glaubten sie, die gefährliche Zone hinter sich zu haben. Auf den Bergkammen rechts und links war kein Mensch mehr zu sehen. Imi Bej verlangsamte sein Tempo. Wenige Sekunden später waren sie wieder acht Mann.
Ganz gegen seine Gewohnheit fragte Imi Bej :
»Wie sind eure Vorschläge? Was sollen wir jetzt tun?«
Seine Jäger sahen einander an. Niemand wußte eine Antwort. Imi Bej hatte damit gerechnet. Er fuhr fort: