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»Die Wette würdet Ihr gewinnen.«
»Dachte ich es doch, und ich glaubte, daß ich euch nicht zu viel verspreche, wenn ich euch sage, daß hier vielleicht schon neue Abenteuer auf euch warten.«
Michel runzelte die Stirn. Sein Bedarf an Abenteuern war gedeckt. Er konnte sich auch nicht gut vorstellen, was es so Weltbewegendes geben sollte. In bezug auf die diesmal mitgeführten Kostbarkeiten waren sie klüger gewesen als das erstemal. Sie hatten sich in Tanga Seesäcke gekauft, in denen all ihre Habe verstaut war. Es waren Reisesäcke, wie sie jeder Seemann mit sich führte. Niemand konnte ihnen von außen ansehen, daß sie je ein kleines Säckchen bargen, in dem ein gewaltiger Reichtum schlummerte.
»Nun, ich kann mich natürlich irren«, sagte der Empfangschef. »Aber laßt euch erklären, kurze Zeit, nachdem ihr abgereist wart, kam der Kapitän eines Schiffes zu mir. Er schien bestürzt, als ich ihm sagte, daß ihr nicht mehr zu erreichen seid. Da ließ er sich Tinte und Feder geben und schrieb einen Brief an Euch.«
»Kapitän Weber von der »Delphin«?«
»Ich glaube, so nannte er sich.«
»Gebt mir den Brief.«
Der Empfangschef nickte eifrig und entfernte sich. Kurz darauf kam er mit dem Brief wieder.
Als er ihn Michel überreichte, meinte er:
»Der Kapitän hat zwei Wochen lang immer wieder nach Euch gefragt. Er schien sehr enttäuscht, daß Ihr unauffindbar bliebt.«
Michel nickte. Er hatte inzwischen das Schreiben geöffnet. Jetzt las er:
Bester Doktor Baum !
Es fällt mir wahrlich nicht leicht, diese Zeilen an Euch zu verfassen. Erstens macht mir das Schreiben Mühe, und zweitens weiß ich nicht, was Ihr von mir denken werdet, wenn Ihr sie gelesen habt. Die Mitteilung, die ich Euch zu machen habe, ist sehr betrüblich. Ihr kennt den Matrosen Paulus Krämer. Der dumme Bursche hat sich in der nämlichen Nacht, da Ihr einen mit ihm gehoben habt, von einem schurkischen Araber überreden lassen, ihm die kostbare Fracht, die ich für Euch nach Hamburg befördern sollte, draußen auf hoher See heimlich zu übergeben.
Und obwohl Paulus ansonsten ein ungeschickter Bursche ist, so hatte er bei dieser Unternehmung doch Glück. Ihr könnt Euch vorstellen, daß mich fast der Schlag gerührt hätte, als ich am nächsten Morgen ganz zufällig den Laderaum besichtigte und sah, daß Euer Eigentum nicht mehr an Ort und Stelle war.
So, das wären die Tatsachen. Und nun kommt das Schwerste. Ja, ja, glaubt mir nur, es ist für einen alten Kapitän, der nie in seinem Leben einen Pfennig veruntreut hat, sehr sehr schwer, Euch zu bitten, daß Ihr ihm Glauben schenken sollt. Ich weiß, daß die Geschichte unglaubhaft klingt. Hoffentlich treffe ich Euch noch hier an, dann werde ich Euch mündlich alles das erklären, was mir schriftlich mühselig ist. Sollte ich Euch nicht mehr in Sansibar erreichen, so habt die Güte, wenn Ihr nach Hamburg kommt, bei meiner Reederei nachzufragen, ob ich vielleicht zufällig an Land bin. Es ist mir ein inneres Bedürfnis, Euch alle Einzelheiten, soweitich sie selbst kenne, Auge in Auge zu berichten. Zwei von den Säcken sind übriggeblieben. Diesenehme ich mit in die Heimat und liefere sie, wie besprochen, in jenem Hamburger Bankhaus ab.
Es sind Perlen darin.
Ich bete zu Gott, daß Ihr mir glauben mögt. Aber ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn ich weiß, daß Ihr mich nicht für den Dieb haltet. Mit der nochmaligen Bitte, nicht schlecht von mir zu denken, grüße ich Euch als
Euer getreuer
Philip Weber
Kapitän der »Delphin«
Michel faltete das Schreiben ungerührt zusammen. Es bedeutete keine Neuigkeit mehr für ihn; denn er wußte ja aus Imi Bejs eigenem Mund, was mit seinen Schätzen geschehen war. Er freute sich darüber, daß der alte Kapitän wenigstens zwei Säcke gerettet hatte.
»Nun«, fragte der Empfangschef, »hatte ich recht mit meiner Vermutung, daß euch neue Abenteuer erwarten?«
»Vielleicht«, lachte Michel, »das hängt allein von unserer Laune ab. — Sagt, Verehrtester, habt Ihr Zimmer für uns frei?«
»Aber Señor«, erwiderte der Empfangschef gekränkt, »wie könnte es in unserem Hotel keine Zimmer für euch geben?«
»Nun, nun«, antwortete Michel, »erinnert Ihr Euch noch an unseren ersten Besuch?«
Der Hotelgewaltige wurde blutrot. Verlegen starrte er vor sich auf den Boden.
Ojo lachte dröhnend und schlug ihm so kräftig auf die Schulter, daß er zusammenzuckte.
»He, hombre, nun fangt nicht gleich an zu weinen. Werdet doch wohl mal einen derben Scherz vertragen können?«
Der also Angesprochene blickte auf und wollte gerade etwas erwidern, als er hinter sich zwei kreischende Frauenstimmen vernahm.
»Unerhört, solch eine Behandlung ! Komm, Isabella, wir werden dem Vater Bescheid sagen, daß er sich um ein anderes Hotel kümmert.«
Ojo grinste. Der Empfangschef bekam einen gewaltigen Schreck, entschuldigte sich und wandte sich rasch wieder seinen Pflichten zu. Aber trotz aller Befllissenheit, die er jetzt an den Tag legte, waren die Damen nicht mehr zufriedenzustellen. Die jüngere, sie mochte die Tochter der anderen sein, zeterte :
»Wie könnt Ihr es wagen, uns wegen dieser drei Landstreicher hier stehenzulassen?«
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, meine Gnädigste, aber...«
»So etwas kann man nicht verzeihen«, mischte sich die ältere ein. »Werft diese Männer aus dem Haus. Sie sehen so schmutzig aus, daß man sich schämen muß, sie anzublicken.«
Jetzt wurde es dem Empfangschef zu dumm. Wieder lief er rot an. Aber diesmal vor Zorn. In diesem Augenblick war ihm alles gleichgültig. Und wenn man ihn hinauswerfen würde, nun gut, so würde er eben gehen. In wenig höflichem Tone erwiderte er :
»Ihr dürft euch einen solchen Ton nicht erlauben, meine Damen. Die drei Caballeros dort sind Forschungsreisende, die soeben aus Afrika kommen. Sie belieben stets, in diesem Hotel zu wohnen, und daran wird auch eure Anwesenheit nichts ändern. Im übrigen ist die Vergabe von Zimmern meine Angelegenheit und nicht die eure.«
»Unverschämtheit!« rief die jüngere.
»Ihr flegeliger Kerl«, schloß sich die ältere an. »Ihr scheint zu verkennen, wen Ihr vor Euch habt. Und ich versichere Euch, daß Ihr den letzten Tag in diesem Hotel bedienstet seid. Mein Mann ist ein Freund des Besitzers.«
Ojo hatte bisher still zugehört. Es bereitete ihm Vergnügen, wie der Empfangschef die brillantenbehängten Weiber abkanzelte. Aber als er vernahm, daß dem Guten mit Entlassung gedroht wurde, ging sein gutes Herz mit ihm durch. Er wollte etwas für ihn tun. Aber in seiner Ungeschicklichkeit tat er gerade das Verkehrte.
Er trat auf die Frauen zu, stemmte die Hände in die Hüften und meinte so laut, daß es jeder hören konnte :
»Ihr Vogelscheuchen, ihr Nichtstuerinnen, wie kommt ihr dazu, euren Einfluß dazu zu benutzen, einen braven Mann brotlos zu machen? Wenn ihr das nicht sein laßt, so werdet ihr Sansibar nicht lebend verlassen. Hier, seht euch meine Fäuste an. Mit diesen werde ich eure Köpfe zusammenstauchen, bis sie platzen.«
Die Damen rissen die Augen auf. Ojo hatte seinen letzten Satz noch nicht ganz beendet, als die Alte in Ohnmacht fiel. Die jüngere stand ihr in Empfindlichkeit nicht nach und legte sich daneben.
Die Hotelgäste waren dem ganzen Auftritt interessiert gefolgt. Manche schüttelten sich innerlich vor Lachen, andere standen auf der Seite der beiden Frauen.
Der Empfangschef sprang hinzu, rief seine Pikkolos und befahl ihnen, einen Arzt zu holen.
Bisher war alles ruhig geblieben. Aber gerade in diesem Augenblick öffnete sich das Hotelportal. Ein älterer, sehr vornehm wirkender Herr in der Uniform eines portugiesischen Generals betrat die Halle. Als er die beiden in Ohnmacht gefallenen Frauen sah, stieß er einen Ruf des Schrecks aus und eilte auf sie zu.
»Josephina!« rief er, »Isabella! — Was ist mit ihnen?« wandte er sich an den Empfangschef.
Der stotterte irgend etwas, aus dem man nichts entnehmen konnte.
»So sprecht doch«, drängte der General. »Wie konnte das geschehen?«
Michel war bis jetzt stumm geblieben. Aber als er sah, daß einer von den Gästen Miene machte aufzustehen, sich dem General zu nähern und diesen aufzuklären, kam erjenem zuvor. Er trat auf den General zu und verneigte sich verbindlich.