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Zackig, wie es sich für einen Soldaten gehörte, verbeugte er sich.
»Grüß Gott, Graf«, meinte Charlotte und reichte ihm die Hand. Er bückte sich tief darauf nieder und küßte zärtlich die Fingerspitzen. Ihre Hand hielt er etwas länger fest, als es schicklich gewesen wäre.
Charlotte war weit davon entfernt, wie ein junger Backfisch zu erröten. Sie ließ ihm die Hand; aber ihre Finger lagen lasch und drucklos in den seinen. Er konnte auch nicht den geringsten Reflex aus ihrem Händedruck entnehmen.
Tief holte er Atem. Er wußte, daß er die Hand noch stundenlang so halten konnte, ohne daß auch nur der geringste Gefühlsausdruck in ihr zu spüren sein würde.
»Könnt Ihr nicht einmal aufhören, mich Graf zu nennen?« fragte er.
»Ein Titel, der Euch zukommt«, erwiderte sie schlagfertig.
»Ist er so wichtig?«
»Mir ist er gleichgültig«, erwiderte sie; es war weder Ironie noch Bissigkeit in ihrer Stimme.
»Nun also, warum sprecht Ihr ihn dann fortwährend aus?«
»Er ist kürzer und geläufiger als Euer Name.«
Andere Frauen würden sich danach reißen, dachte er, einen adligen Namen zu erheiraten, eine von Eberstein zu werden. Aber meinte sie überhaupt seinen Nachnamen? Meinte sie nicht vielleicht seinen Vornamen? Noch nie hatte sie Rudolf zu ihm gesagt.
Sein Schweigen dauerte ihr offensichtlich zu lange.
»Wollt Ihr mir vielleicht wieder einen Heiratsantrag machen, Graf?«
»Ich bin bereits ein permanenter Heiratsantrag in Person. Ihr braucht gar nicht erst zu warten, bis ich Euch frage, es genügt, wenn Ihr einfach ja sagt, nachdem Ihr mich gesehen habt. Kein Mensch auf der Welt wäre glücklicher als ich.«
»Ja, ja, ich weiß. Es ist eigentlich unfaßlich. Ich kenne allein etwa zwanzig adlige Mädchen aus den Euch am nächsten stehenden Kreisen. Sie alle sind hübscher als ich und jünger. Weshalb verschwendet Ihr Eure Mühe so unnütz?«
»Weil - weil ich Euch liebe.«
Sie konstatierte, daß seine Stimme während dieser Worte nichts Arrogantes, nichts Widerwärtiges, nichts Abstoßendes an sich gehabt hatte. Er blickte zu Boden, als er die oft gesagten Worte wiederholte — wie ein Primaner. Irgendwie schien es ihr recht. Etwas wie Rührung kam in ihr auf.
Sie trat einen Schritt näher und legte ihre Hand sacht auf seinen rechten Arm.
Er war wie elektrisiert. Die Berührung durchfuhr ihn wie ein Schlag. Seine Augen weiteten sich, die Erwartung stand in seinem Gesicht geschrieben.
Als Charlotte die Wirkung ihrer Handbewegung wahrnahm, zog sie die Finger rasch wieder zurück.
»Ihr seid mir«, sagte sie langsam, »in den letzten Jahren tatsächlich beinahe so etwas wie ein Freund geworden, Graf. Damals, als Ihr Michel davonjagtet, hätte ich es nie für möglich gehalten. Aber es ist so. Nun, ich habe nichts gegen Eure Freundschaft. Mein Freund dürft Ihr bleiben; denn Ihr seid zum Schluß auch Michels Freund gewesen. Aber verlangt nicht im Ernst, daß ich Euch liebe.«
Er zog seufzend die Schultern hoch.
»Was soll man dazu noch sagen?«
»Nichts«, meinte sie und lachte. »Grüß Gott.«
Sie verschwand im Eingang.
Eberstein ging, tief in Gedanken versunken, die Straße entlang.
Schon vor Jahren hatte der alte Eberstein ein großes, schönes Haus in Kassel erworben. Es war prächtig und gediegen eingerichtet. Die gräfliche Familie führte ein feudales Leben.
Der alte Graf war immer unterwegs. Und obwohl die Güter der Ebersteins nicht viel abwarfen, war immer reichlich Geld im Haus.
Den alten Grafen führten seine Reisen weit über Land. Wenn ihn Leute aus seinen Kreisen fragten, weshalb er sich in seinem Alter so wenig Ruhe gönne, antwortete er verschmitzt:
»Wer leben will, muß in Geschäften unterwegs sein. Überall liegt das Geld auf der Straße. Man muß nur verstehen, es aufzuheben.«
Rudolf von Eberstein hatte sich nie große Gedanken darüber gemacht, woher das viele Geld kam. Hätte er von seinem Majorsgehalt leben müssen, dann wäre er kärglich dran gewesen. Die Zuschüsse vom Vater waren beträchtlich. Rudolf Eberstein wußte auch, daß das Geld nicht immer auf ganz saubere Weise verdient war.
Pecunia non olet, hatte ein römischer Kaiser gesagt. Geld stinkt nicht. Nun, und was einem Kaiser recht war, das war einem Grafen Eberstein schon lange gut. Nein, Geld stank nicht. Man mußte es nur haben.
Als an diesem Abend der Gong im Hause die Familienmitglieder zu Tisch rief, hatte der alte Graf ein verkniffenes Gesicht. Während die Diener das Essen servierten, beugte er sich zu seinem Sohn hinüber und flüsterte :
»Komm nach dem Abendessen in die Bibliothek. Ich muß mit dir sprechen, Rudolf.«
Seine Stimme hatte ungewöhnlich sorgenvoll geklungen. Was mochte geschehen sein? Dem jungen Grafen schmeckte das Essen nicht mehr. Als er sah, wie sein Vater in dem Braten herumstocherte, verging auch ihm der Appetit. Er mußte ernste Sorgen haben.
Als sie dann eine Stunde später in der Bibliothek saßen, meinte der Graf:»Ich muß dir eine wenig schöne Eröffnung machen, Junge.«
»Was gibt«s?« fragte Rudolf trocken.
»Ich weiß, daß du dich nie dafür interessiert hast, woher das Geld kommt, das wir verbrauchen.
Diesen Standpunkt wirst du nun ändern müssen.«
»Und weshalb?«
»Nun, wenn wir unsere gesellschaftliche Stellung hier wahren wollen, so ist es unumgänglich notwendig, daß du dich dafür interessierst.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Der Alte lachte.
»Du willst nicht verstehen. Ich kann auch noch deutlicher werden. In Zukunft wird unsere gesellschaftliche Stellung ganz allein von dir abhängen. Zumindest so lange, bis ich mich erholt habe.«
Rudolf von Eberstein wurde blaß. Er zog die Stirn in Falten.
»Willst du dich nicht klarer ausdrücken, Vater?«
»Recht gern, mein Sohn. Sehr klar. Wir sind pleite. Ich habe leider eine größere Spekulation gemacht und — verloren.«
»Und meine Zuschüsse?«
»Die auch.«