158489.fb2 T?dliche Feindschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

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Schon das gehämmerte Papier machte nicht den Eindruck eines Geschäftsbriefs. Ohne zu wissen, was darin stand, fühlte man doch die persönliche Note dieses Schreibens.

Abraham fingerte in seiner Westentasche nach seinem Lorgnon. Endlich hatte er es aufgeklappt und hielt es vor die Augen.

»Ist ja nicht möglich, ist ja nicht möglich«, stammelte er.

»So bist du mir wegen der Störung nicht mehr böse?« fragte Frau Judith.

»Aber, Herz, wie könnte ich! Mit so etwas hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.«

Wieder hielt er das Lorgnon vor die Augen. Dann schob er den Stuhl zurück und erhob sich. Die Freude, die eben noch auf seinem Gesicht gestanden hatte, verwandelte sich in Mißtrauen. Mit auf dem Rücken gefalteten Händen ging er im Zimmer auf und ab. Er faßte es noch immer nicht.

Da lag also eine Karte, eine Einladung für die ganze Familie zu einem Diner beim Grafen Eberstein am Sonnabend abend.

Dreißig Jahre hatte Abraham Hirschfelder vergebens gekämpft, um Zugang zu der höheren Kasseler Gesellschaft zu finden. Dreißig Jahre lang hatte man ihm die kalte Schulter gezeigt, soweit es sich um andere Dinge als um geschäftliche handelte. Nun, heute, jetzt in dieser Minute, an irgendeinem beliebigen Tage des Jahres also lag da vor ihm diese Einladung.

Und trotzdem konnte Abraham nicht recht froh werden. Die Ebersteins galten, seit sie in Kassel ansässig waren, als eine der arrogantesten Familien der höheren Gesellschaft. Und ausgerechnet sie ließen sich herab, ihn, Abraham Hirschfelder, einen der so grundlos verhaßten Israeliten einzuladen?

»Du scheinst dien gar nicht zu freuen!«

Abraham blieb vor seiner Frau stehen und blickte sie fest an.

»Es will mir nicht gelingen, mich zu freuen, Herz. Ich hatte mich in der Rolle des ewig Verachteten im Lauf eines langen Lebens abgefunden. Und beim gerechten Gott, es scheint mir wahrlich etwas seltsam, daß ausgerechnet Graf Eberstein auf den Gedanken kommt, die unsichtbare Schranke zu öffnen. Nein, Judith, ich traue dem Frieden nicht. Irgend etwas steckt dahinter. Wenn ich nur wüßte, wasl«

»Willst du die Einladung nicht annehmen?«

Der alte Mann mit dem weißen Haar und den klugen Augen stand etwas hilflos vor ihr. Dann hob er resigniert die hängenden Schultern.

»Was bleibt mir anderes übrig? Es käme einer Beleidigung gleich, diese Einladung auszuschlagen. Wenn es nur nicht die Ebersteins wären!«

»Denke an unsere Tochter, Abraham. Hier bietet sich endlich die Gelegenheit, sie in die Gesellschaft einzuführen. Ist es nicht genug, daß wir unser Leben lang Verstoßene waren? Sollte man nicht sogar ein Opfer auf sich nehmen, um unserer Rachel den Weg freizumachen, den Weg, den alle jungen Mädchen der Stadt gehen?«

»Du bist eine gute Mutter. Dein Herz ist von Gold. Es leuchtet schöner als diese Brillanten.

Sehen wir, was uns der Sonnabend bringt.«

Die beiden alten Leutchen blickten einander tief in die Augen. Auch heute war, wie in allen entscheidenden Fragen des Lebens, Einverständnis zwischen ihnen.

Als man beim Essen darauf zu sprechen kam, erfuhr auch Rachel davon. Ihre schwarzen Augen blickten erstaunt von Mutter zu Vater und von Vater zu Mutter.

»Graf Eberstein?« fragte sie. »Und ich soll auch mitgehen?«

»Ja, Kind«, sagte die Mutter. »Für dich ist es ganz besonders wichtig.«

»Wichtig für mich? - Weshalb?«

»Es kann das Ende deiner Isolierung bedeuten. Du bist jung und schön. Und du wirst junge Männer aus wirklich guten Kreisen kennenlernen.«

»Ich mag gar keine Männer aus diesen Kreisen«, erklärte Rachel kategorisch.

»Du bist unser einziges Kind«, erwiderte die Mutter. »Für dich hat der Vater sein Leben lang gearbeitet. Alles, was wir besitzen, wird einmal dir gehören. Was aber kann dir aller Reichtum nützen, wenn dich die Gesellschaft nicht anerkennt?«

»Oh, sie ist mir gleichgültig, diese Gesellschaft. Ich mag sie nicht, diese jungen Herrn, diese Offiziere, die glauben, der Wert eines Mannes werde durch Uniformen und Orden bestimmt.

Herr Rachmann hat mir oft genug erzählt, wie sie sich beim Krugwirt benehmen, wenn sie unter sich sind. Sie sind nicht besser als wir. Sie bilden sich das nur ein. Dabei führen sie sich auf, als sei es selbstverständlich, daß alle Welt nur nach ihrem Munde blickt.«

»Du sprichst viel zu viel von diesem jungen Musiker. Ich will nicht, daß du dich mit ihm verzettelst. Er ist ein Habenichts. Und die Musik ist eine brotlose Kunst. Er wird es niemals zu etwas bringen.«

»Aber er ist ein guter Mensch.«

»Das sei unbestritten. Aber Güte allein reicht noch nicht, um ein Leben zu meistern. Du wirst sehen, es gibt viel mehr Männer, die weit ansprechender sind als er. Dein Vater ist ebenfalls dieser Meinung.«

Abraham Hirschfelder sah geflissentlich auf seinen Teller. Er wollte seiner Frau nicht widersprechen. Er wußte ja, daß diese seit eh und je einen Baron oder einen Grafen als Mann für ihre Tochter ersehnte. Er selbst, Abraham, kannte das Leben zu gut, um nicht zu wissen, was eine große gesellschaftliche Stellung für Vorteile brachte. Andererseits gefiel ihm der junge Rachmann. Die Besessenheit, mit der er an seiner Musik hing, deutete auf eine große Seele hin.

Wenn er sich jedoch recht überlegte, was sollte ein Juwelier mit einem Schwiegersohn, der voraussichtlich mit einem goldenen Geschmeide ebenso wenig anzufangen wußte wie er, Abraham, mit einem Notenbuch von Bach!

»Ich habe bereits die Schneiderin bestellt«, sagte Frau Judith zu ihrer Tochter. »Sie wird Tag und Nacht an einem Kleid arbeiten, in dem du alle anderen ausstechen wirst.«

»Darf ich auch Schmuck tragen?« fragte Rachel.

Sie war in dieser Beziehung so wie alle echten Evastöchter.

Der Vater lächelte und nickte zustimmend. Da war das Mädchen wieder versöhnt. Denn daß keine andere so reichen Schmuck anlegen konnte wie sie, das war selbstverständlich.

25

Nun war es soweit. Im Hause Eberstein war alles zum festlichen Empfang gerüstet. Eine ganze Reihe hochangesehener Familien war geladen. Der alte Graf hatte nicht verfehlt, sie darauf vorzubereiten, was ihrer warten würde. Er wußte es so geschickt vorzubringen, daß die meisten es als eine Sensation auffaßten, die man auf keinen Fall versäumen durfte. Wie würde sich das ungeschickte israelitische Männchen mit seiner dürren Frau unter den hochadligen und würdigen Gästen bewegen?

Die so sehr von sich selbst eingenommenen Gäste versprachen sich einen Hauptspaß von diesem Abend. Keiner dachte auch nur im entferntesten an die Tochter Rachel.

Dann kamen die Kutschen vorgefahren.

Um nicht wie seltene Stücke einer Ausstellung bestaunt zu werden, hatte sich Abraham Hirschfelder dafür entschieden, pünktlich zu sein. Und so geschah es, daß er mit Frau und Tochter zu den ersten gehörte, die ankamen. Als die Gäste vollzählig versammelt waren, hatte man kaum noch einen Blick für die beiden alten Leute. Sie waren da, man nahm keine Notiz von ihnen, sie waren gut gekleidet, sie hatten sich nicht daneben benommen, es war nichts Besonderes an ihnen.

Die ungeteilte Aufmerksamkeit aller galt einzig und allein Rachel. Und so wenig sie es auch wahrhaben wollten, sie mußten vor sich selbst zugeben, daß sie selten ein so schönes, so geschmackvoll gekleidetes Mädchen gesehen hatten wie diese kleine Jüdin. Rachel hatte die kostbarsten Schmuckstücke ihres Vaters angelegt. Ihre Garderobe war das Eleganteste, was an diesem Abend gebotenwurde. Sie bewegte sich mit einer Sicherheit, als habe sie seit eh und je in Palästen der Gesellschaft verkehrt. Die jüngeren Herren waren wie aus dem Häuschen. Im Handumdrehen waren alle Standesunterschiede vergessen. Beim Tanz flog Rachel von einem Arm in den anderen. Die jungen Mädchen standen beisammen und warfen wutentbrannte Blicke auf ihre erfolgreiche Konkurrentin. Niemand kümmerte sich um sie.

Seltsamerweise war gerade Rudolf von Eberstein sehr zurückhaltend. Aber das war kluge Berechnung. Er verschwendete keinen Gedanken an Charlotte Eck. Dieses Mädchen war tatsächlich eine Schönheit. Sie schritt königlich daher. In ihrem Tanz lag graziler Schwung. Für Rudolf stand es fest, daß es kein schlechtes Geschäft wäre, sie zur Frau zu bekommen. Da sich seine Kameraden aber wie verliebte Jünglinge benahmen, wollte gerade er den kühlen Helden herauskehren.

Er sah es Rachel an, daß sie ihn scharf beobachtete. Er mochte wohl auch spüren, daß sie sich innerlich über die Narren lustig machte. Zu den Narren aber wollte er nicht gehören. Ein Narr hatte keine Aussicht, sie zu gewinnen. Das war klar.

Auch der alte Graf war Menschenkenner. Er trat zu seinem Sohn und nickte.

»Recht so, Rudolf«, flüsterte er. »Du bist der einzige, der es richtig anfängt. Diese kleine, schwarze Krabbe ist intelligent. Sie würde niemals auf einen dieser Laffen hereinfallen. Du mußt ihr gegenüber den vollendeten Kavalier spielen. — Die Brillanten übrigens, die sie angelegt hat, sind gut und gern zehntausend Dukaten wert. Ich sage dir, der Alte hat's. Wenn uns dieser Schachzug gelingt, dann sind wir alle Sorgen los.«

Rudolf nickte.

»Man scheint sie ja zu akzeptieren, obwohl sie Juden sind.«

»Man wird zumindest das Mädchen akzeptieren müssen; denn die anderen sind Gänse gegen sie.