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»Ihr werdet lernen, mich zu lieben. Haltet Ihr mich denn für einen gar so üblen Burschen?«
»Dann würde ich nicht mit Euch ausreiten.«
»Was habt Ihr also gegen mich?«
»Die Frage ist falsch. Ich habe nichts gegen Euch. Ich bin Euch vielmehr in gewisser Weise zugetan. Nur hat das mit Liebe nichts zu tun. Ihr wart der letzte, der bei Michel war, als er starb.
Ihr wart sein Freund. Seine Freunde aber sind auch meine Freunde. Und wenn ich Euch den Vorzug vor allen anderen Männern gebe, die sich um mich bemühen, so deshalb, weil immer ein Stück Vergangenheit mit Euch ist.«
Eberstein bekam schmale Lippen. Seine Kehle war plötzlich trocken, wie ausgebrannt. Er konnte keine Antwort auf diese offenen Worte finden. Ein Gefühl kam in ihm auf, das er längst erstorben wähnte.
Später, als er auf dem Hügel des Exerziergeländes stand, wo unter ihm die Schwadronen seiner Abteilung exerzierten, fühlte er, daß das neue und doch so alte Gefühl in ihm Haß war, Haß gegen den, der nach fast einem Jahrzehnt Abwesenheit noch stärker war als er. Haß gegen Michel Baum.
Und immer, wenn Charlotte von Michel Baum sprach, erfuhr dieser Haß eine Steigerung. Das Gesicht des Mannes, der ihm sein Unglück verdankte, verfolgte ihn in den Nächten.
Die Züge, die er schon vergessen wähnte, nahmen wieder scharfe Formen an.
Er malte sich aus, wie dieser Michel Baum irgendwo drunten im dunklen Afrika Sklavendienste für einen orientalischen Potentaten verrichtete, er malte sich aus, wie die Riemen der Nilpferdpeitsche Fetzen aus der weißen Haut des Geschundenen rissen. Nichts war ihm zu grausam, um den verhaßten Feind in Wunschträumen leiden zu sehen.
Tagelang hatte er keinen anderen Gedanken, bis ein neuer Plan seines Vaters ihn ablenkte.
Beim Abendessen fragte ihn der Alte:
»Sag mal, ist der Premierleutnant Baum, den ich oft in deiner Gesellschaft gesehen habe, ein zuverlässiger Mann?«
»Soweit es sich um seinen Dienst handelt, ja.«
»Ah, und sonst?«
»Weibergeschichten«, sagte Rudolf Eberstein.
»Und wie steht es mit dem Geld?«
»Er hat nie genug. Sein Onkel, der Tabakhändler, gibt ihm zwar hin und wieder welches; aber das reicht nie. Ich glaube, wenn der Alte wüßte, daß der Richard Schulden hätte, würde er ihn gehörig ins Gebet nehmen.«
»Hihihi, so was Ähnliches ahnte ich. Er scheint mir der richtige Bursche zu sein. Wir werden ihn eine Kleinigkeit verdienen lassen. Niemand ist so zuverlässig wie ein Premierleutnant, der Schulden hat.«
»Was soll das heißen?«
»Er muß uns helfen. In spätestens einer Woche haben wir zwanzigtausend Dukaten verdient.
Darauf kannst du dich verlassen.«
»So? Wie soll das vor sich gehen?«
»Das wirst du schon sehen. — Übrigens, Hirschfelders habe ich für morgen abend eingeladen.
Du kannst deinen Freund, den Premierleutnant auch zum Essen bitten.«
»Daraus werde ein anderer schlau.«
»Oh, zerbrich dir nicht den Kopf, mein Sohn. Wir werden den alten Hirschfelder schon in die Klemme kriegen.«
»Wer kommt noch?«
»Freiherr von Hasselmann mit Gattin und Baron von Rabenalt.«
»Mein Gott, wie bist du auf die gekommen? Hättest du nicht näherstehende Bekannte einladen können?«
»Kritisiere nicht, mein Lieber. Was ich tue, hat immer Sinn.«
»Schon gut«, resignierte Rudolf von Eberstein. »Hoffentlich wird was aus den zwanzigtausend Dukaten. Ich könnte dringend einen Zuschuß brauchen.«
32
Die Hirschfelders waren verblüfft, als sie die neuerliche Einladung zum Abendessen erhielten.
Abrahams Augen waren mißtrauisch zusammengezogen, als er durch das Lorgnon die Karte las.
Was mochte das bedeuten?
Hatte der junge Graf sein Werben noch immer nicht aufgegeben? Irgendein Gefühl warnte Abraham, die Einladung anzunehmen.
Aber als er seine Frau anblickte, ließ er den Gedanken fallen.
Judith hatte einen hochroten Kopf. Ihre Erregung, die in den letzten Tagen schon etwas abgeklungen war, kehrte mit doppelter Stärke wieder. Neue Hoffnung zog in ihr Herz. War das nicht ein Zeichen des Schicksals? Mußte bei so konstanter Beharrlichkeit des jungen Grafen Rachel nicht Vernunft annehmen? Alles, was an ihr lag, würde Judith tun, um ihren großen Wunsch doch noch erfüllt zu sehen.
Sie achtete darauf, daß Rachel besonders sorgfältig gekleidet war an diesem Abend. Reich glitzerten die Diamanten auf dem weißen Hals des Mädchens. Allein, ihr Schimmer wurde von dem unwilligen Blick Rachels getrübt.
Als die Kutsche vorgefahren war, die sie zu den Ebersteins bringen sollte, fröstelte Rachel. Es war als griffe eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen. In ihr war das gleiche Gefühl wie in Abraham. Doch weder sie noch ihr Vater verliehen ihrer Sorge Worte.
Mit ausgesuchtester Höflichkeit wurden sie empfangen. Wie ein jugendlicher Verehrer beugte sich der alte Graf von Eberstein über Racheis Hand und küßte sie hingebungsvoll.
Wieder waren sie die ersten; aber auch die Hasselmanns und die Rabenalts ließen nicht lange auf sich warten.
Als die Gäste vollzählig waren, lud der alte Graf zur reichlich gedeckten Tafel. Man hatte sich gerade niedergelassen, als auch der letzte Besucher, den man fast vergessen hatte, Richard Baum, eintraf. Er entschuldigte sich höflich für seine Verspätung.
Das Essen war vorzüglich. Der alte und der junge Eberstein kümmerten sich fast ausschließlich um Rachel. Der Alte redete sie fortgesetzt in väterlichem Ton mit »mein Kind« an. Wogegen ihr Rudolf alle die Aufmerksamkeiten erwies, die sich eine große Dame nur wünschen konnte.
So verlief das Essen in vollkommener Harmonie.
Später, als die Diener Champagner reichten, lockerte sich die Gesellschaft etwas auf. Und zu vorgerückter Stunde bat der alte Graf seine Gäste, ihm in die Bibliothek zu folgen.
Dort, auf dem mächtigen in der Mitte stehenden Eichentisch, lag ein kleines schwarzes Kästchen.
»Da wir heute einen Fachkenner unter uns haben«, begann der alte Graf, »möchte ich die Gelegenheit nicht versäumen, euch allen ein Stück unseres Familienschmucks zu zeigen, das kostbarste Stück. Und meine besondere Bitte richte ich an Herrn Hirschfelder, daß er das Stück einschätze. Ich habe nämlich einen Interessenten dafür, und eventuell werde ich es verkaufen.«