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Michel betrachtete ihn sich von oben bis unten.
»Deine Uniform ist schmuck und sauber«, sagte er. »Wenn man doch von dem Menschen, der darin steckt, dasselbe behaupten könnte !«
Richard Baum blickte zu Boden. Offensichtlich schämte er sich.
»Ich weiß, daß ich große Schlechtigkeiten begangen habe. Aber Eberstein war mein Freund. Und er war nicht zuletzt mein Freund, weil er mir immer von der Freundschaft zwischen ihm und Euch vorgeschwärmt hatte.«
»Er ist ein verdammter Seelenverkäufer.«
»Ja, ich habe es gemerkt. Und meine Freundschaft für ihn ist vorbei.«
»Nun, dann reich mir die Hand, Vetter. Vielleicht ent-wickelst du dich doch noch zu einem ganz vernünftigen Menschen. Fehler macht jeder einmal. Besonders, wenn er noch so jung ist wie du.«
»Ich danke Euch, Herr Vetter.« Michel schlug ihm auf die Schulter. »Du brauchst mich weder Herr noch Euch zu nennen. Ich hasse diese Konventionen. Du bist ein Baum, und ich bin ein Baum. Wir gehören doch zusammen. Also sag du zu mir und Michel.«
Richards junge Augen strahlten. Er war nur leichtsinnig, aber er war nicht schlecht. Gern schlug er in die ihm gebotene Hand ein.
»Wie bist du eigentlich zu dieser Uniform gekommen?« fragte Michel.
»Es war seit je mein Wunsch, Offizier zu werden.«
»Welch ein Wunsch für einen Baum!« rief Michel verwundert aus.
»Ist es schlecht, Offizier zu sein?«
»Nein, nein, aber was hat man davon? Man vertrödelt seine Zeit mit unnützen Dingen.«
»Unnütze Dinge? — Ist der Ruhm der Schlacht ein unnützes Ding?«
»Oh, gewiß, das unnützeste von allen.«
»Aber Heldentum? — Ist Heldentum nicht das Höchste auf der Welt?«
Michel lachte laut.
»Oh, mein Junge, glaubst du wirklich, daß es das Höchste sein kann, anderen Menschen das Leben zu nehmen und dafür belohnt zu werden?«
»Die anderen sind aber Feinde.«
»Feind ist nur, wer mich angreift. Wer greift euch schon an?«
»Das kommt darauf an. Wenn sie nicht angreifen, dann greifen wir sie an.«
»Siehst du, so ist das. Hauptsache, Krieg. Hauptsache, Leute wie du können Schlachten schlagen, Helden werden und Orden tragen. Warum und wozu das alles ist, darüber hast du dir wohl noch nie Gedanken gemacht, wie?«
»Offen gestanden, nein.«
»Na, dann fang mal langsam damit an. Vielleicht haben wir noch des öfteren Gelegenheit, uns zu unterhalten. Dann werde ich dir zeigen, daß es auf dem Schlachtfeld wohl Mut, aber niemals Heldentum gibt. Das Heldentum wächst woanders. Hast du schon mal etwas von Paracelsus gehört?«
»Ja, Ihr — du meinst den Arzt?«
»Ganz recht, den großen Pestarzt des Mittelalters.«
»Und was ist mit dem?«
»Das ist zum Beispiel ein Held, ein wahrer Held. Ein ganzes Dutzend tapferer Generale wiegen diesen Heldenmut nicht auf.«
»Es ist ein wenig schwer für mich, das zu verstehen.«
»Nicht nur für dich, leider für die meisten. Die Welt ist so verdreht, daß sie das Schlechte für groß hält. — Nun, gehen wir jetzt erst einmal nach Hause. Ich möchte nämlich gern heute noch zu deinen Eltern«, wandte er sich an Charlotte.
»Die werden Augen machen«, freute sich das Mädchen.
»Darf ich mich verabschieden?« fragte Richard höflich.
»Wenn du uns nicht begleiten willst?«
»Nein, es geht nicht. Ich bin heute abend Offizier vom Dienst.«
»Nun denn, auf Wiedersehen bei meinem Vater. Ich werde für ein paar Tage bei ihm wohnen.«
»Morgen vormittag um zehn Uhr habe ich dienstfrei. Dann schaue ich herein, wenn ich darf.«
»Du darfst.«
Mit einem Aufwiedersehen stob der junge Premierleutnant davon.
46
Der jungen Offizier war aufgerüttelt von dem Erlebnis des heutigen Nachmittags. In Gedanken malte er sich bereits aus, was er Eberstein alles an den Kopf werfen würde. Freilich, von dem Erlebten durfte er im Offizierkorps nichts preisgeben, um den Vetter nicht zu gefährden.
Er kannte das Delikt in allen Einzelheiten, um dessentwillen Michel damals desertiert war. Sein Oheim hatte es ihm oft erzählt. Ganz verstanden hatte er es jedoch nie; denn in seinen Augen war Soldat Soldat, gleichgültig ob freiwillig oder gezwungen.
Und sein Vetter Michel führte ja auch sonderbare Reden. Premierleutnant Baum mußte lachen, als er sich ins Gedächtnis zurückrief, wie Michel den Begriff des Heldentums definiert hatte.
Wie konnte ein Pestbeulen behandelnder Doktor mehr wert sein als ein General!
Nun, vielleicht würde er Gelegenheit haben, sich über dieses Thema noch ausführlich mit seinem Vetter zu unterhalten.
Wenn er allerdings bedachte, wie sich Eberstein benommen hatte, wenn er sich vorstellte, daß dieser vielleicht auch einmal General werden könnte, so mochte Michels Ansicht doch nicht ganz unbegründet sein. Nun, mit seinem ehemaligen Freund Eberstein hatte er noch zu reden.
Mit solchen Gedanken behaftet, erreichte er die Unterkunft.
Er übergab sein Pferd dem Burschen und betrat dann die Wachstube, um seinen Dienst anzutreten.
Er war gerade damit beschäftigt, die Eintragungen im Wachbuch zu überprüfen, als Eberstein an der Spitze eines halben Wachzugs das Lokal betrat.