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»Und drüben wieder hinunter«, stimmte Michel zu.
Tscham war nur noch ein Schatten seiner selbst.
»Werdet Ihr ihn durchbringen, Señor Doktor?«
Michel wiegte bedenklich das Haupt. Dann meinte er:
»Im allgemeinen glaube ich nicht an Wunder. Doch hoffe ich sehr, daß diesmal eins geschieht.«
»Vielleicht kennen die Medizinmänner des Königs ein Mittel gegen das Fieber«, warf Ojo ein.
»Möglich.«
Die Pferde blieben plötzlich stehen. Ojos Gaul brach vorn in die Knie. »Absteigen«, befahl Michel.
Dann führten sie die Tiere am Zügel weiter. Es schien den beiden Gäulen schwerzufallen, die Bahre mit Tscham zu tragen.
»Das hätte uns noch gefehlt«, schimpfte Ojo, »daß ihr Biester kurz vor dem Ziel schlappmacht.«
»Es sind keine Esel«, sagte Michel. »Sie haben die Urwälder überwunden, sind uns über Sumpfpfade gefolgt, und haben uns in Gegenden getragen, die noch keines Weißen Fuß betrat.
Einmal müssen selbst die edelsten Pferde ausgepumpt sein. Und diese sind nicht einmal edel.«
Schritt für Schritt zogen sie dahin. Immer näher kamen sie dem Gipfel. Ohne daß sie es merkten, beschleunigten sie ihren Gang. Das Wissen um die jenseits liegende Stadt wirkte wie ein Magnet auf sie.
Nach zwei Stunden waren sie oben. Wieder wurden sie, wie beim erstenmal, durch den lieblichen Anblick, der sich ihnen bot, versöhnt. Dort lag sie, die Perle des Dschaggalandes, die Stadt des Königs Aradman. Geschäftig sah man die Bewohner in den Straßen hin und her eilen.
Das an den Fels geschmiegte Strohschloß beherrschte das Gesamtbild.
Auch die Tiere schienen alle Müdigkeit vergessen zu haben. Es war, als drängten sie zum Weitergehen. Michels Brauner jedenfalls stupste den Pfeifer mit der Schnauze an der Schulter.
Ja, dort unten gab es klares Quellwasser.
»Los, Diaz, wir werden auch das letzte Stück noch hinter uns bringen.«
8
Zur selben Zeit eilte der leichtfüßige Königsbote Maradsche über den westlichen Hang. Am Fuße angekommen, verschnaufte er einen Augenblick. Hätte er, wie es sonst seine Gewohnheit war, innegehalten, um die Schönheit der Gegend zu genießen, so wären ihm die zwei Reiter am jenseitigen Hang nicht entgangen. Aber heute bedrängte ihn zu viel, als daß er Zeit auf einen Blick in die Schönheit verschwendete.
Wenige Minuten später stand er vor dem Schloß.
Er brauchte nicht zu warten. Für ihn war der König immer zu sprechen. Er, der Mann, der die Nachrichten brachte, war eines der wichtigsten Glieder der Staatsmacht. Nachrichten, das heißt Neuigkeiten, gehörten in der Königsstadt zum Alltagsleben wie in jedem zivilisierten Land der Welt. Was dem König geeignet schien, daß es dem Volk mitgeteilt werde, wurde jeweils vor Einbruch der Dämmerung durch drei Ausrufer verkündet. Und es gab wohl keinen Bürger in dieser Stadt, der dem, was draußen in der anderen Welt vorging, nicht begierig lauschte.
Maradsche stand in der großen Audienzhalle. Aradman trat ein und begrüßte ihn herzlich.
»Deine Augen schauen ernst drein, Maradsche. Deine Stirn trägt viele Falten. Deine Lunge pfeift vom schnellen Lauf. Deine Nachricht scheint nicht gut zu sein.«
»Du hast recht, mein König. Vielleicht ist es die schlechteste Nachricht der letzten hundert Jahre.«
Aradmans Stirn umwölkte sich. Auch auf sein Antlitz trat der Ausdruck der Sorge.
»Sprich, Maradsche. Wir wollen uns nicht aufhalten.« »Es ist Gefahr im Verzüge. Ein Heer wildaussehender, bärtiger Männer hat den Fluß der Krokodile überschritten. Sie sind dabei, in unser Land einzudringen.«
»Wie viele?« fragte Aradman kurz. »Vier mal zehn, mein König.« Aradmans Züge hellten sich auf.
»Vierzig Männer? Und deswegen hast du so große Sorge? Was sind vierzig Männer gegen unsere Armee? Wir können sie in Minuten zermalmen, wenn sie nicht friedlich wieder abziehen.«
Maradsche schüttelte den Kopf.
»Erinnerst du dich, daß vor Monaten viel weniger als vierzig Männer kamen? Haben wir diese in die Flucht schlagen können? Haben sie nicht vielmehr uns in Angst und Schrecken versetzt?«
»Der eine von ihnen war ein Gott. Gegen Götter kämpfen die Wadschagga nicht. Er führte den Blitz und den Donner mit sich. Und nicht nur den einfachen, wie ihn die Bantu auch besitzen, sondern den vielfachen.« Maradsche nickte ernst.
»Von diesen vierzig Männern, die zur Zeit noch durch das Gebiet der Kirua ziehen, hat jeder Blitz und Donner bei sich. Aber es scheinen keine Götter, sondern Teufel zu sein.«
Aradman erbleichte.
»Soll das heißen, daß die vierzig gleicher Art sind wie der »pfeifende Geist«?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie nicht gesehen. Ich hatte keine Zeit, sie mir anzusehen, weil ich glaubte, daß es wichtiger sei, dir schnell Kunde von ihnen zu bringen.«
»Wie mögen sie den Weg hierher gefunden haben?«
»Nun, ich denke, der »pfeifende Geist« war kein Engel, sondern ebenfalls ein Teufel, der ihnen den Weg gewiesen hat.«
»Glaubst du selbst, was du sagst?« Die Augen des Königs ruhten forschend auf seinem Läufer.
Maradsche schlug den Blick nieder. »Du hast recht, mein König. Auch ich traue dem guten Fremden eine solche Schandtat nicht zu, zumal er uns versicherte, daß er alles tun werde, um keinem Menschen Kunde werden zu lassen von unserem Land.«
»Vielleicht hat sie der böse Geist hergeführt. Vielleicht aber kommen sie gar nicht in feindlicher Absicht. Du solltest ihnen entgegenziehen, um sie zu fragen, was sie hier wollen.«
»Meinst du, daß wir sie willkommen heißen sollen?«
»Vielleicht. Wir sind niemandem feindlich gesinnt. Friedliche Menschen sind in unserem Lande immer willkommen. Könnte es nicht sein, daß sie ebenso wie die Bantu-Neger eine neue Heimat suchen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Maradsche zögernd, »es könnte natürlich so sein. Aber ich habe ein Gefühl in mir, das mich warnt, ihnen zu trauen. Du hast von Baluba, dem Häuptling des bei uns lebenden Volkes der Bantu gehört, daß es ebensolche bärtigen Männer waren, die sie aus ihrer Heimat vertrieben, weil sie sie fangen wollten, um sie dann zu verkaufen.«
Aradman nickte.
»Ja, ich habe es gehört. Aber je länger ich darüber nachdachte, um so größere Zweifel kamen mir an der Wahrheit dieser Behauptung. Es ist zu schwer für mich, mir vorzustellen, daß man Menschen fangen kann, um sie zu verkaufen.«
»Weshalb sollte ich daran zweifeln? Ich habe es nicht nur von Baluba, sondern auch von Unogi und vielen anderen gehört.«
Der König war zu nervös, um sitzen zu bleiben. Er erhob sich, verschränkte die Hände und ging gedankenvoll auf und ab.
»Schicke einen Läufer zu Baluba. Ich lasse ihn bitten, sofort zu mir zu kommen.«