158489.fb2 T?dliche Feindschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 70

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Eure Heimat spricht für Euch. Ich gehe mit.«

Der Oberst schüttelte den Kopf.

»Ich bewundere mich selbst«, sagte er nicht ohne Humor, »daß ich Euch noch nicht fortgejagt habe. Ihr seid ein reichlich anmaßender Bursche.«

»Das kommt Euch nur so vor«, erwiderte Michel im gleichen Ton. »Draußen, in der Welt, gewöhnt man es sich an, die Menschen, mit denen man umgeht, nach ihren Taten zu beurteilen und nicht nach ihrem Stand, Beruf oder Offizierspatent.«

Sie waren unterdessen weitergegangen. Von Sankt Martin verkündeten die Glocken das Ende der ersten halben Mitternachtsstunde. Hier und da lichtete sich der Himmel ein wenig. Die Wolken schoben sich zur Seite, und silberne Sterne blinzelten den beiden nächtlichen Spaziergängern zu.

Nach geraumer Zeit standen sie vor einem schönen Haus.

»So«, sagte Oberst Köcknitz, »hier wohne ich. Tretet ein.«

Ein Bursche, verschlafen, aber dennoch dienstbeflissen, sprang herzu, um seinem Herrn Degen und Wehrgehenk abzunehmen. Dann führte der Oberst seinen Gast in einen gemütlichen, aber ohne Luxus eingerichteten Raum.

»Nehmt Platz«, sagte er und deutete auf einen tiefen Sessel.

»Gestattet Ihr, daß ich rauche?« fragte Michel.

»Ach ja, Ihr seid ja der Sohn dieses erstklassigen Tabakmischers.« Er wandte sich zur Tür und rief: »Philipp, bring mir meine Pfeife.«

Bald kräuselte der Rauch in kleinen duftigen Wirbeln zur Decke. Die Fenster des Zimmers waren geöffnet und gewährten der milden, sommerlichen Nachtluft ungehindert Zutritt. Man hätte das nächtliche Beisammensein fast gemütlich nennen können.»Nun erzählt, was Ihr von Oberst Köcknitz wolltet.«

Michel nickte und begann:

»Ich habe einen Vetter. Der sitzt im Gefängnis in der Zelle neben der, aus der ich vorhin ausgebrochen bin. Und der größte Lump von ganz Hessen hat ihn dort hingebracht.«

»Na, na —, na, na! Ihr seid schnell mit Werturteilen bei der Hand. Ich weiß zum Beispiel, daß er auf Veranlassung des Grafen von Eberstein eingesperrt wurde.«

»Eben«, sagte Michel, »der.«

»Ihr müßt das schon etwas näher erklären.«

Michel nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife und lehnte sich im Sessel zurück. Dann fuhr er fort:

»Da ich einmal bei Euch bin, in der Höhle des Löwen sozusagen, will ich Euch alles der Reihe nach erzählen. Vor zehn Jahren fing es an. Damals war ich ein Opfer Ebersteins. Langweile ich Euch auch nicht?«

»Keineswegs. Ich bin nicht müde. Fangt an.«

Stunde um Stunde verrann. Die Pfeifen qualmten. Der Oberst unterbrach die Erzählung Michels nur einmal, um zu fragen, ob er Appetit auf ein Glas Wein habe. Philipp, der Bursche, brachte die Flasche. Er schien daran gewöhnt zu sein, daß sein Herr spät schlafen ging. Jedenfalls war er immer zur Hand, wenn der Oberst ihn brauchte.

Es wurde vier Uhr und fünf Uhr. Die lebhaften Augen des Grafen Köcknitz streiften immer wieder das Gesicht des Erzählers. Fast unglaublich klangen die vielen Abenteuer in den Ohren des alten Offiziers. Da saß ihm einer gegenüber, der all das verwirklicht hatte, was er, der Oberst, noch zu Zeiten, da er als junger Leutnant in die Armee Friedrich Wilhelms I. eingetreten war, erträumt hatte. Da lag die Welt offen vor seinem Auge, schillernd und faszinierend, wie er sie sich vorgestellt hatte. Seine Skepsis dem jungen Arzt gegenüber war längst gewichen. Und als die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen, hatte er die Überzeugung gewonnen, daß Eberstein wirklich der Lump war, für den ihn der Pfeifer hielt.

55

Ojo wartete Stunde um Stunde. Um halb vier war Michel weggegangen. Als es zehn Uhr abends war, wurde der treue Begleiter des Pfeifers unruhig. Er ging in die Wirtsstube hinunter und bestellte sich einen Krug Wein. Zuerst trank er nur langsam. Aber als es elf war, leerte er die Becher schneller.

Stets, wenn Jehu Rachmann eine Pause in seinem Spiel einlegte, trat Ojo zu ihm ans Klavier.

Und obwohl sie sich nicht verständigen konnten, verstanden sie sich doch ausgezeichnet.

Auch Jehu packte die Unruhe. Es sah fast so aus, als sei es Eberstein gelungen, sich Michel Baums zu bemächtigen.

Um Mitternacht brachte der Wirt den zweiten Krug zu Ojo. Die Aufregung machte ihn durstig.

Die Becher waren ihm zu klein. So setzte er denn das schwere Tongefäß an die Lippen und leerte es zum Erstaunen des Krugwirts zur Hälfte in einem Zug.

Um halb ein Uhr saß nur noch ein einzelner verspäteter Gast in der Stube. Der aber gehörte nicht zur Stammkundschaft, und so hatte der Wirt ein Einsehen und entließ den Musikus.

Als Ojo auch den zweiten Krug geleert hatte, klappte der Deckel des Cembalos mit hörbarem Krach zu. Jehu setzte sich an den Tisch des Spaniers, und beide gestikulierten wild, obwohl keiner die Zeichen des anderen richtig deutete.

Um eins wurde es Ojo zu bunt. Er hieb mit der Faust auf den Tisch, beglich die Zeche und stand auf.

Der Wirt bekam einen ungeheuren Respekt, als er sah, wie der große Mann, ohne auch nur im geringsten zu schwanken, neben Jehu die Wirtsstube verließ.

Ojo machte keine Anstalten, die Treppe hinauf in sein Zimmer zu gehen. Jehu blieb neben ihm.

In des Spaniers Gehirn arbeitete es schwer. Er suchte nach Worten, nach deutschen Worten, mit denen er sich dem jungen Mann verständlich machen konnte. Endlich fand er ein paar französische Brocken. So machte er denn einen Versuch:

»Du — mir — zeigen — wo prison — Gefängnis.«

Und siehe da, Jehu hatte verstanden. Ein wenig Französisch konnte er auch.

»Voila«, meinte er, »gehen wir.«

Sie wanderten ins Stadtinnere, und auf der anderen Seite wieder hinaus, bis sie in jene Gasse kamen, an der das Wachlokal und die Arrestzellen lagen.

Jehu deutete darauf. Ojo nickte, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Er nahm Jehu beim Arm, führte ihn zu einem Baum, der nicht weit entfernt stand, und stellte den verblüfften jungen Mann dicht an den Stamm, so daß ihn das Licht der Sterne nicht erreichen konnte.

Jehu blieb stehen. Ojo wandte sich dem Eingang des Wachlokals zu und blickte, als er sah, daß dieses ein Fenster hatte, hinein. Auch er fand den Sergeanten am Tisch sitzen und schlafen. Da sah er, wie im Hintergrund des Wachzimmers ein Soldat von einer Pritsche aufstand.

Er gähnte, reckte und streckte sich, trat dann, ohne den Sergeanten zu wecken, an den Tisch, nahm die Kerze zur Hand und verschwand in dem Gang, an dem die Zellen lagen.

Ojo zuckte die Schultern. Was sollte er tun? Sollte er hineingehen? Was würde das nützen?

Niemand würde ihn verstehen. Das einzige, was ihm blühen konnte, war, daß man ihn selbst verhaftete. Eine verteufelte Situation. Ohne sich über das schlüssig zu werden, was er tun wollte, blieb er am Fenster stehen und beobachtete die Soldaten weiter.

Plötzlich sah er, wie derjenige, der soeben im Zellengang verschwunden war, wie der Blitz wieder hervorgeschossen kam und auf den Sergeanten zustürzte, diesen an den Schultern rüttelte und auf ihn einschrie:

Der Sergeant fuhr hoch.

»Was sagst du? Sag das noch mal!«

»Ja, Herr Sergeant, es stimmt. Die Zelle ist leer. Ich wollte austreten gehen, und da mich der Mann interessierte, weil er so laut gepfiffen hat vorher, habe ich durch das Guckfensterchen gesehen. Er ist nicht drin.«

Der Sergeant griff nach seinem Säbel und schnallte ihn um. Dann nahm er einen Schlüssel von dem Brett. Mit dem Soldaten als Lichtträger wandte er sich dem Gang zu, um sich selbst zu überzeugen.

Ein paar Sekunden später stand er wieder im Wachraum. Die anderen Mannschaften, es waren sechs an der Zahl, wurden ebenfalls geweckt.