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»Guten Morgen, Señor Doktor, endlich seid Ihr da. Wir haben Euch die halbe Nacht gesucht.«
»Was ist hier vorgegangen?« fragte Michel.
»Wieso? — Ach so«, lachte Ojo, »Ihr meint den da.«
Ausführlich berichtete er, was er mit Jehu unternommen hatte, um ihn zu suchen, und wie ihm Eberstein dabei in die Hände geraten war.
War Michel zuerst erschrocken, so lachte er jetzt.
»Ein seltsames Wiedersehen, Eberstein, wie?«
»Ihr werdet hängen«, zischte dieser.
»Langsam, langsam! — Ihr kommt zuerst dran.«
»Hund, verdammter, man wird mich finden. Ihr seid hier nicht bei den Hottentotten. Ihr habt einen ganzen Staat gegen Euch.«
»Langsam, langsam«, wiederholte Michel. »Den hatte ich gegen mich. Heute nacht hat sich das geändert. Ich binde Euch jetzt los. Beeilt Euch, daß Ihr zum Dienst kommt. Oberst Köcknitz läßt schon nach Euch suchen.«
»Um so besser«, meinte Eberstein hämisch, »mit den ersten Leuten, die ich treffe, werde ich wiederkommen und diese Bude hier ausräuchern. Es wird mein größtes Vergnügen sein, Euch, den Räuberhauptmann, am Galgen hängen zu sehen.«
»Daraus wird nichts werden«, entgegnete Michel freundlich, »Ihr müßt wissen, ich komme soeben vonOberst Köcknitz. Ich habe mich mit dem alten Herrn die ganze Nacht über angeregt unterhalten, und Ihr werdet Euch vorstellen können, daß wir nicht gerade über die neuen Bauwerke Kassels gesprochen haben.«
Eberstein erbleichte. Er sagte nichts mehr. Der Schreck saß ihm in den Gliedern.
»So ein kleines Gerichtsverfahren werdet Ihr wohl über Euch ergehen lassen müssen«, versuchte ihn Michel aufzumuntern. »Mit mir als Zeugen übrigens.«
Eberstein ermannte sich.
»Pah, man wird einem Deserteur nicht mehr Glauben schenken als einem Edelmann.«
»Immer der alte, immer der gleiche«, nickte Michel. »Diesmal wird es Euch nichts helfen. Eure Geschichte, die Ihr über mich verbreitet habt, Euer Spiel mit der Jungfer Hirschfelder, Eure Skrupellosigkeit gegenüber Charlotte Eck, all das wird Euch diesmal das Genick brechen. Das hättet Ihr Euch sparen können. Viertausend Dukaten wollte ich Euch für die Freilassung meines Vetters geben. Viertausend Dukaten für Eure Schlechtigkeit. Daß es anders gekommen ist, habt Ihr ganz allein Euch selbst zu verdanken.«
Michel knotete ihm die Fesseln auf und meinte dann:
»Geht, es steht Euch nichts im Weg. Auf Wiedersehen vor dem Landesgerichtshof.«
Eberstein verließ grußlos das Zimmer.
»Wie konntet Ihr ihn so einfach laufen lassen?« empörte sich Ojo. »Er wird uns allen das Genick brechen.«
»Hübsch ruhig, amigo, er wird keinem mehr das Genick brechen, es sei denn sich selbst.«
Michel berichtete Ojo, was in der vergangenen Nacht geschehen war.
58
Der alte Eberstein wunderte sich, als sein Sohn um diese Stunde in den Salon trat.
»Da bist du ja«, sagte er. »Wo hast du dich herumgetrieben? Das halbe Regiment sucht nach dir.
Oberst von Köcknitz will dich sprechen.«
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte Rudolf. Seine Züge wirkten in diesem Augenblick verfallen.
Sein ganzes Gesicht war verstört.
»Was ist los mit dir?«
»Aus«, murmelte Rudolf, »alles aus. Baum hat das Spiel gewonnen.«
Der Alte krauste die Stirn. Scharf blickte er seinen Sohn an. Dann meinte er unwillig :
»Drück dich gefälligst etwas deutlicher aus. Was ist aus? Und was für ein Spiel hat Baum gewonnen?«
»Ach, nichts.«
»Rede«, fuhr ihn der Alte an. »Wird Richard nun entlassen? Hast du dich dafür eingesetzt? Ich traue Baum. Er bringt auch die restlichen zweitausend Dukaten. Dessen sei sicher.«
Rudolf winkte müde ab. Endlich bequemte er sich dazu, seinem Vater zu erklären, was er durch seine Rachsucht aus der Geschichte gemacht, wie er den Pfeifer überrumpelt und in den Kerker gesteckt hatte, wie dieser dann des Nachts ausgebrochen war und mit dem Oberst gesprochen hatte.
Der alte Graf fiel aus allen Wolken.
»Bist du nicht bei Verstand, Kerl? Ist denn jedes vernünftige Denken in dir abgetötet? Mußtest du uns das ganze Spiel verderben? Wenn jetzt alles herauskommt, das mit dem alten Hirschfelder und seiner Tochter und das, daß uns dein Freund Baum schon zweitausend Dukaten für die Freiheit seines Vetters bezahlt hat, dann ist das mindeste, was man von uns verlangt, daß wir das Geld zurückgeben. Und wenn sie erst gegen uns vorgehen, dann werden die Betrogenen aus allen Ecken kommen wie die Aasgeier. Das ist die Pleite!« schrie er. »Das ist der vollkommene Ruin der Grafen von Eberstein!«
»Jaja, ja«, sagte Rudolf nur.
»Jeder Heller tut mir leid, den ich dir je gegeben habe!« tobte der Alte weiter. »Da müht man sich sein ganzes Leben lang ab, macht Geschäfte, spekuliert, spielt mit der Gefahr, alles, um einmal für seinen Sohn einen tüchtigen Batzen beisammen zu haben. Und dann kommt dieser Herr Sohn und schmeißt mit einem plumpen Fußtritt das ganze Gerüst unseres Lebens zusammen.«
»Ich mußte es tun.« Rudolf von Eberstein ballte die Fäuste. »Ich hasse ihn. Ich hasse ihn mehr, als ich dein Geld liebe.«
»Hihihi, vom Haß ist noch niemand satt geworden. Sie werden dich rausschmeißen aus der Armee. Vielleicht sind sie so gnädig, daß sie es dir überlassen, den Abschied einzureichen.
Parbleu, verflucht von Roßbach, dann ist alles hin. Unser Ansehen ist beim Teufel und unser Kredit auch. Und wenn du nicht einmal die paar Taler Sold bekommst, wovon willst du leben?«
»Ich konnte nicht anders.«
Der Alte explodierte.
»Du Dummkopf! Du engstirniger Landsknecht! Nur ein Beschränkter läßt sich von seinen Gefühlen leiten. Haß und Liebe sind Dinge für Trottel. Was allein wichtig ist, ist das Geld. Und wir hatten welches. Wir waren auf dem besten Weg, mit den hübschen Summen, die ich zuletzt verdient habe, neue, gewinnbringende Spekulationen zu betreiben.
Hihihihi, da kommt mein Herr Sohn, mein eigen Fleisch und Blut mit seinem Haß und haut alles zusammen, als wäre es gar nichts.«
»Ich werde dir nicht länger mehr zur Last fallen«, sagte Rudolf von Eberstein verbissen.
»Mach nicht so große Worte. Du warst schon einmal auf dem Weg nach Amerika und bist wie ein geprügelter Hund zurückgekommen. Noch dazu durch die Gnade einer Seeräubergräfin. Geh jetzt zum Regiment und hör dir an, was der Alte zu sagen hat.«