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»Was willst du dann tun?«
»Gib — gib mir tausend Dukaten, und in einer Stunde habe ich Kassel hinter mir.«
»Desertieren? — Ohne Abschied desertieren? Du bist des Teufels. Willst du denn auch noch das letzte gute Tüpfelchen von unserem Namen nehmen?«
»Es ist mir alles so gleichgültig.«
»Ach, und was wird nun aus deinem Haß gegen diesen Herrn Baum?«
Rudolf starrte auf den Boden, als suche er dort Antwort, Hilfe, einen Rat.
»Hättest du gestern auch nur ein kleines bißchen von dieser Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, dann wären wir morgen um zweitausend Dukaten reicher gewesen. Kein Hahn hätte nach den Hirschfelders gekräht. Und du stündest nach wie vor im Ansehen.«
»Also gut, ich gehe zum Regiment.«
59
Oberst von Köcknitz sah kopfschüttelnd seinen Adjutanten an, als dieser eintrat und meldete, daß Eberstein nirgends zu finden sei.
»Aber irgendwo muß er doch sein! Er kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Schließlich hat seine Abteilung doch Dienst. Schickt nochmals jemanden nach Hause zu ihm. Vielleicht ist er mittlerweile dort angekommen.«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
Der Adjutant wandte sich um und wollte hinaus. Da öffnete sich die Tür, und der Gesuchte trat ein.
Er nahm den Dreispitz ab und meldete sich zur Stelle. »Guten Morgen, Graf. Ich lasse schon zwei Stunden nach Euch suchen. Wo habt Ihr Euch aufgehalten?«
Die Stimme des Obersten klang wenig freundlich. Die Jovalität, mit der er ansonsten seine untergebenen Offiziere zu behandeln pflegte, war Eberstein gegenüber wie weggewischt.
»Ich habe eine wichtige Meldung zu machen. Herr Oberst«, sagte Rudolf von Eberstein mit schneeweißem Gesicht.
»Bitte?«
»Ich bin in der Nacht überfallen worden. Man hat mich in das Haus des Krugwirts geschleppt und gefesselt dort festgehalten.«
Der Oberst runzelte die Stirn. »Wer hat Euch überfallen? Der Krugwirt?«
»Nein. Es war einer von den Komplizen Baums. Er wollte sich wahrscheinlich für die Verhaftung seines Räuberhauptmanns rächen«, meinte Eberstein gehässig.
Der Oberst winkte dem Adjutanten hinauszugehen. Der Rittmeister verließ das Zimmer.
»Wie viele waren es, die Euch überwältigten?«
»Ich kann mich daran nicht mehr erinnern. Als ich erwachte, bekam ich nur einen zu Gesicht.
Wenn wir Baum vorführen lassen, so wird er Auskunft geben können.«
»Ah, Ihr wißt noch gar nicht, daß Doktor Baum wieder in Freiheit ist?«
Eberstein stellte sich überrascht.
»Davon ist mir nichts bekannt, Herr Oberst.«
»Nun, so nehmt es zur Kenntnis. Er ist heute nacht aus dem Arrestlokal ausgebrochen. Dann begab er sich sofort zu mir, um mich über verschiedene Dinge zu informieren, von denen ich bis heute keine Ahnung hatte.« Köcknitz stand langsam auf und blickte seinen Major durchbohrend an. »Ihr, Graf, habt bei seiner ausführlichen Schilderung nicht gerade rühmlich abgeschnitten.«
Eberstein wich dem Blick aus. Hier erhielt er die Bestätigung dafür, daß sich das Blatt gewendet hatte. Dennoch gab er nicht auf.
»Ich finde es befremdlich, daß Ihr, Herr Oberst, einem hergelaufenen Landstreicher Glauben schenkt. Es ist doch klar, daß er kein gutes Haar an mir gelassen hat, nachdem ich den Deserteur gestern verhaftet habe.«
»Herr«, rief Köcknitz aufgebracht und hieb mit der Faust auf den Tisch, »ich verbitte mir Eure Kritik! Ich weiß, was ich weiß. Ich kenne die Menschen ein wenig besser als Ihr. Eure Lügen sind eines Offiziers unwürdig.«
»Ich lüge nicht«, behauptete Eberstein frech.
Köcknitz ging um den Tisch herum, bis er dicht vor Eberstein stand.
»Ich habe nie sonderlich viel von Euch gehalten, Graf, aber ich dachte, Ihr seid nur leichtsinnig.
Da mußte erst, wie Ihr so schön sagtet, ein hergelaufener Landstreicher kommen, um mir zu sagen, daß ich unter meinen Abteilungskommandeuren einen — einen — Verbrecher habe.«
Eberstein fuhr einen Schritt zurück. Seine Hand flog zum Degenknauf. In seinen Augen stand Wildheit.
»Zieht blank, Graf Köcknitz«, rief er.
Köcknitz stand wie eine Statue. Seine Züge waren verschlossener denn je.
»Ich schlage mich nur mit Ehrenmännern, Graf Eberstein. Im übrigen mache ich Euch darauf aufmerksam, daß Ihr Euch noch im Dienst befindet.«
Das ist das Ende, dachte Eberstein. Ich habe verspielt. Dieser Baum mußte auf Köcknitz einen guten Eindruck gemacht haben.
»Setzt Euch«, fuhr ihn der Oberst an. »Ich möchte in meinem Regiment keinen Skandal. Kalt und nüchtern will ich jetzt mit Euch besprechen, was zu tun ist.«
In Eberstein kehrte der Schimmer einer leisen Hoffnung zurück. Er ließ sich auf einen harten Stuhl nieder. Der Oberst setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Ihr habt Euch benommen wie ein Schuft. Und Ihr wißt das ganz genau. Ihr erhaltet jetzt von mir in Form dieses Gesprächs einen dienstlichen Befehl. Erstens habt Ihr Euern Vater dahingehend zu beeinflussen, daß er die von der Familie Hirschfelder unrechtmäßig erworbenen Dukaten sofort zurückzuerstatten hat. Ebenfalls muß Herr Doktor Baum seine zweitausend Dukaten wiederbekommen. Die ideellen Schäden, die Ihr angerichtet habt, könnt Ihr ohnehin nicht mehr gutmachen. Ich entlasse jetzt auf meine eigene Verantwortung hin den Premierleutnant Richard Baum aus der Haft. Ihr könnt die Klage gegen ihn natürlich erzwingen; aber in diesem Fall werde ich Vortrag beim Landgrafen halten. Ihr wißt, daß mich Seine Hoheit schätzt. Bis zu Euerm Abschied, den Ihr unverzüglich einreichen werdet, dispensiere ich Euch vom Dienst. Ihr werdet das Gelände des Regiments nicht mehr betreten und ab sofort Zivil tragen. Das wäre, was ich Euch zu sagen hätte ! Wenn Ihr glaubt, daß das zu hart ist, so lasse ich es auf ein Verfahren gegen Euch ankommen. Dann ist der Skandal unvermeidlich; aber er wird eher auf Euch und Eure Familie zurückfallen als auf das Regiment.«
Eberstein saß mit aufgerissenen Augen im Stuhl. Alles Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen.
Seine Hände zitterten. Um seine Lippen zuckte es. Nun war geschehen, was er befürchtet hatte.
Der Oberst hatte ihn fest in der Hand. Wohl konnte er sich weigern, dem Befehl seines Regimentskommandeurs zu folgen; aber er wußte, daß dann auch die letzte Möglichkeit zu einem neuen Anfang verspielt wäre. Oberst von Köcknitz war ein nicht zu unterschätzendes Gewicht in dieser Waagschale der letzten Chancen.
Wortlos erhob sich Eberstein. Der alte Oberst, von jeher eine Seele von Mensch, fühlte plötzlich Mitleid mit dem jungen Offizier.
»Hört, Eberstein, seid vernünftig und tut, was ich gesagt habe. Es ist das einzige, um Euch vor Schlimmerem zu bewahren. Meine Offiziere sollen Vorbilder ihrer Soldaten sein. Ihr wart kein Vorbild. Ich gebe Euch den Rat, nach Preußen zu gehen und zu versuchen, dort in die Armee einzutreten. Friedrich freut sich, wenn er ausgebildete Offiziere bekommt. Man forscht dort nicht viel nach der Vergangenheit. Allerdings dürftet Ihr Euch solcheDinge nicht mehr zuschulden kommen lassen. Ihr müßtet Euch gewaltig ändern, um in der preußischen Armee bestehen zu können. Aber es wäre ein Ausweg. — Es tut mir leid. — Ihr könnt jetzt gehen.«
Ebersteins Mund blieb verschlossen. Es hatte keinen Zweck, etwas zu erwidern. Der Oberst war kein Unmensch und ließ ihm den Degen, so daß er seinen letzten Gang in Uniform nicht ohne diesen antreten mußte. Da hatte Eberstein noch einmal einen Gedanken. »Ich bitte noch etwas vorbringen zu dürfen, Herr Oberst.«