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»Eben. Das war es, was ich wollte.«
Maradsche wandte sich um, um das Schloß zu verlassen. Als er die Treppe hinunterschritt, stutzte er. Die Hauptstraße wimmelte von Menschen. Freudiges Geschrei stieg bis zu ihm herauf.
Er forschte nach der Ursache dieser, wie ihm schien, gar nicht zu seiner Stimmung passenden Ausgelassenheit. Da bemerkte er inmitten des Menschenknäuels zwei gezähmte Zebras. Er sah, wie sich zwei Männer mühsam durch die Menge den Weg zum Schloß bahnten.
Langsam schritt er die Stufen hinab.
Wer mochte das sein?
Er sollte nicht lange im unklaren darüber bleiben. Aus den sich beständig verstärkenden Jubelrufen konnte er einige Worte heraushören:
»Der »pfeifende Geist«! Der »pfeifende Geist«!«
Maradsche kniff die Augen zusammen. Das war eine große Überraschung. Kam der Pfeifer als Abgesandter der vierzig Eindringlinge?
Maradsche verzichtete darauf, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Bald würde er es erfahren.So blieb er auf der untersten Stufe der Treppe stehen und erwartete die Ankömmlinge.
Michel und Ojo hatten sich endlich durch die Menge hindurchgerungen.
»Maradsche!« rief Michel freudig, als er den Läufer erblickte. Er wankte auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die Schultern.
Wenn er erwartet hatte, daß Maradsche diese Begrüßung erwidern würde, so sah er sich getäuscht. Maradsches Gesicht war unbeweglich.
Die beiden Männer blickten einander starr in die Augen. Michel spürte die Abwehr in dem anderen.
»Was ist, was hast du?« radebrechte er auf Kisuaheli.
»Haben euch die vierzig Männer, die in unser Land eindringen, als Vorhut geschickt?« fragte Maradsche.
Er hatte so langsam gesprochen, daß Michel das meiste verstehen konnte.
»Nein!« erwiderte er hart. »Wenn wir mehr Zeit haben, will ich dir alles erklären. Nur eines sollst du jetzt schon wissen. Wir haben sie verfolgt, um sie davon abzuhalten, zu euch zu kommen.«
»Aber wie erhielten sie Kunde von unserem Land?«
»Ich kann dir das nicht in fünf Minuten sagen. Zuerst brauche ich deine schnelle Hilfe für unseren Freund, der, wie du siehst, krank auf dieser Bahre liegt.«
Jetzt erst bemerkte Maradsche den kranken Tscham.
»Ist es der junge Fürst?« fragte er.
»Ja«, erwiderte Michel. »Diesmal hat er die Reise nicht überstanden. Das Fieber hat ihn gepackt.
Kennst du irgendein Mittel gegen das Fieber?«
Maradsche verharrte einen Augenblick in Schweigen. Er schien mit sich zu kämpfen. Dann sagte er kurz:
»Komm.«
Er wandte sich um und stieg die Treppe wieder hinauf.
Michel und Ojo nahmen Tscham in die Arme und trugen ihn hinter ihm her.
Oben, in der kühlen Audienzhalle, kam Tscham zu sich.
»Wasser —, Wasser«, murmelten seine Lippen.
In diesem Augenblick trat auch Aradman wieder in die Halle. Er war nicht wenig erstaunt, den Pfeifer wiederzusehen.
Aber auch er war zurückhaltend, obwohl er den Gruß nicht verweigerte. Michel sah, daß er überall auf Mißtrauen stieß. Seine erste Aufgabe also mußte es sein, dieses zu zerstreuen.
Feindlich gesinnte Menschen würden kein Interesse daran haben, Tscham zu helfen.
Als der König ein paar Fragen an ihn richtete, hob er abwehrend die Hand.
»Höre, Aradman«, machte er sich in seinem mangelhaften Kisuaheli verständlich. »Ich will keine Zeit damit verlieren, dir Fragen zu beantworten. Erlaube, daß ich dir eine Erklärung für alles gebe, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat.«
Aradman nickte und wies auf einige Bastmatten, die auf dem Boden lagen.
Es war nicht einfach für Michel, alles das in der fremden Zunge wiederzugeben, was zum Verständnis der Situation nötig war. Aber an den Gesichtern der beiden Zuhörer bemerkte er bald, daß sie alles begriffen.
Als er geendet hatte, nickte Aradman. Dann erhob er sich, klatschte in die Hände, befahl einem eintretenden Diener, seinen Leibarzt zu holen, und wandte sich an Michel :
»Deinem Freund wird geholfen werden«, sagte er. »Ichschenke deinem Bericht Glauben. Es ist schlimm, was dieser lange Schwarze angerichtet hat.«
Damit meinte er Ugawambi.
Michel stimmte ihm zu.
»Was können wir tun, um ein Unglück zu verhindern?« fragte Aradman.
Michels Gesicht wurde starr. Diese Frage hatte ihn während des ganzen Weges gequält. Es war ihm nicht gelungen, einen unblutigen Ausweg zu finden. Würde es diesmal noch gelingen, die Sklavenhändler zu vertreiben, so konnte er sicher sein, daß es nicht lange dauern würde, bis sie wiederkamen. Das einzig Sichere war — — ihr Tod. Aber vierzig Menschen umzubringen, das war etwas, was nicht zu Michels Einstellung den Menschen gegenüber gehörte. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Tat. Und doch schien sie der einzig reale Ausweg zu sein.
So meinte er denn zu Aradman:
»Wir müssen eine List anwenden. Ich werde sofort wieder aufbrechen, um ihnen entgegen zu reiten. Bei passender Gelegenheit fange ich dann Ugawambi. Wenn dieser in unserer Gewalt ist, so haben sie keinen Führer mehr. Dann können wir sie in ein Seitental der Hauptstadt locken, um sie dort — — gefangenzunehmen.«
Aradman wiegte den Kopf.
»Und was dann? Was sollen wir mit ihnen tun?«
»Am einfachsten wäre es, sie sofort zu töten«, warf Maradsche ein.
Michel blickte starr zu Boden. Er wußte, daß es nicht nur das einfachste, sondern auch das einzigste war, was ähnliche Exkursionen für die Zukunft verhindern würde.
»Dir ist bei dem Gedanken nicht wohl?« fragte Aradman begreifend.