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»So ist es bei jedem Treck«, sagte Jacob, ohne zu erwähnen, daß er selbst Captain eines vielfach größeren Trecks gewesen war und ihn durch die wilden Rocky Mountains geführt hatte.
Wenige Minuten später setzten sich die vier Wagen in Bewegung. Sie ließen ein Dutzend toter Indianer zurück.
Aber John Bradden hatte recht, als er auf eine entsprechende Bemerkung Irenes antwortete: »Wenn wir die alle zusammensuchen und begraben, ist der Tag vorbei.«
*
Riding Bear schien nur äußerlich unbewegt, als er das Ufer des Creeks erreichte, auf dem seine Stammesbrüder verstreut waren.
Tot und skalpiert, damit sie nicht als freie Krieger in die Ewigen Jagdgründe eingingen. Ihre Seelen würden die Sklaven der Männer sein, die ihre Skalpe geraubt hatten.
Aufgrund seiner Verwundung war der Kaminu zu sehr geschwächt, um seine Brüder zu bestatten.
Aber innerlich war er stark. Er schwor den Getöteten, sie zu rächen.
So wie er und seine Bruder es bei der Rückkehr in ihr Dorf geschworen hatten. Vielmehr bei der Rückkehr zu dem, was einmal ihr Dorf gewesen war.
Riding Bear ritt weiter, den tiefen Spuren nach, die Tiere und Wagen der Weißen in den aufgeweichten Boden gerissen hatten.
Sein Körper lag zusammengesunken auf dem Appaloosa, aber in seinen Augen brannte ein tödliches Feuer.
*
Der Lagerplatz, den John Bradden bei Einbruch der Abenddämmerung aussuchte, lag am Rand einer tiefen Schlucht, direkt an einem zerklüftete Steilhang. Auf der anderen Seite war er durch eine große Felsbarriere abgeschirmt.
»Ich weiß nicht recht, John«, meinte Ebenezer Owen zweifelnd. »Die Schlucht gefällt mir nicht. Kein Fluchtweg, wenn uns die Roten von der anderen Seite angreifen.«
»Sicher, kein Fluchtweg«, erwiderte der Mann mit der Narbe. »Aber dafür kann uns auch niemand von dieser Seite angreifen. Wir müssen nur die Hälfte des Geländes überwachen. Wenn wir die Wagen zu einem Halbkreis zusammenfahren, haben wir eine doppelte Verteidigungslinie: erst die Felsen, dann die Wagen.«
»Stimmt«, nickte Owen, nachdem er einen langen Blick über das Gelände geworfen hatte. »Right, du bist auf dieser Reise der Captain, John. Wir machen es, wie du sagst. Außerdem ist es eh zu spät, uns nach einem anderen Lagerplatz umzusehen.«
»So ist es«, grinste Bradden und rief dann laut seine Anweisungen zum Bilden der Wagenburg.
Als das geschehen war, spannten die Männer die Tiere aus. Sie wurden unter der Bewachung von Lewis Bradden zum Weiden auf einen nahen Hang getrieben, auf dem üppige Büschelgräser wuchsen.
Die anderen Männer hoben unter einer einsamen Eiche die Gräber für Bill und Robert Myers aus.
Alle, bis auf John Braddens Sohn, versammelten sich zur Beerdigung. Auch Carol Owen, obwohl sie von starken Schmerzen geplagt wurde.
Erst sollte Fred Myers die Leichenrede halten, aber ihm versagte die Stimme. Auch Ebenezer Owen lehnte ab.
Also übernahm der Treck-Captain die Aufgabe, lobte Kraft und Stärke der Toten, schlug dann eine alte, speckige Bibel auf und las: »Wahrlich, wahrlich, ich verkünde euch: Wer mein Reden hört und glaubt dem, der mich geschickt, dem ist das ewige Leben, und der kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgegangen.«
Bradden klappte die Heilige Schrift wieder zu, sah in die Runde und fuhr fort: »So spricht Jesus Christus, unser Messias, der Sohn des Allmächtigen. Beten wir zu ihm und seinem Vater für die Seelen von Bill und Robert!«
Sie beteten das Vater unser.
Dann nahm Fred Myers die Schaufel und warf den ersten Haufen Erde auf den Körper seines Sohns und dann auf den seines Bruders.
Die Gräber füllten sich und wurden anschließend mit zusammengesuchten Steinen beschwert, um sie vor Wölfen und Geiern zu schützen.
Nach der Erfüllung dieser Christenpflicht wartete eine sehr irdische Arbeit auf die Menschen. Sie trugen Feuerholz für das Abendessen zusammen.
In einem großen Kessel bereiteten die Frauen einen kräftigen Eintopf aus Bohnen, Mais und Speck zu, der noch dampfte, als er in die Blechnäpfe gefüllt wurde. Dazu gab es Maisbrot und heißen Malzkaffee.
Ebenezer Owen stieg in seinen Wagen, um seine Frau zu füttern. Carol hatte sich nach dem Begräbnis kaum noch auf den Beinen halten können.
»Irgend etwas stimmt nicht mit Carol«, sagte John Bradden leise, als Owen unter der Plane seines Wagens verschwunden war. »Ich fürchte, sie hat Wundfieber. Ich habe so etwas schon öfter gesehen. Meistens geht es übel aus.«
»Können wir ihr nicht helfen?« fragte Irene.
»Wir kaum. Aber auf der anderen Seite der Mountains liegt eine Missionsstation an der Quelle des Molalla River: Molalla Spring. Simon Mercer, der Gründer der Mission, ist nicht nur ein Diener Gottes, sondern auch ein sehr guter Arzt. Wenn wir es schaffen, Carol lebend zu ihm zu bringen, hat sie eine Chance, durchzukommen.«
»Wie viele Tage wird es dauern?« fragte Jacob.
»Drei oder vier. Hängt davon ab, wie schnell wir mit unseren Wagen die Cascades durchqueren.« Braddens Blick verdüsterte sich. »Und natürlich auch davon, ob wir es mit weiteren Nez Perce zu tun bekommen.«
»Wo wollten Sie eigentlich hin?« erkundigte sich Jacob.
»Wir haben dasselbe Ziel, die Küste und ein Schiff nach Kalifornien. Das Gold lockt alle an, dort ihr Glück zu machen.«
»Wir suchen kein Gold«, wehrte der junge Zimmermann ab.
Bradden lachte rauh. »Das sagen alle. Aber wer erst einmal dort ist, den packt unweigerlich das Goldfieber. Wart es ab, Dutch!«
Jacob antwortete nicht darauf, sondern sagte: »Ich habe den Eindruck, Sie halten sich schon länger in Oregon auf.«
»Das ist richtig. Wir hatten eine Siedlung am Osthang der Cascades. Das Land war fruchtbar und die Ernte gut.«
»Weshalb wollen Sie dann nach Kalifornien? Ist die Aussicht auf schnellen Reichtum so verlockend? Sie ist doch auch sehr ungewiß.«
»Mag sein.« John Bradden füllte sich Kaffee nach und starrte in die Nacht hinaus. »Aber täusch dich nicht, Dutch. Das Leben hier ist genauso ungewiß, auch wenn das Land fruchtbar ist. Der heutige Tag hat es einmal mehr gezeigt. Unserer Siedlung hat der Winter den Rest gegeben.«
»Ja, der Winter war hart«, stimmte Jacob zu. »Die Leute in Abners Hope haben ihn trotzdem gut überstanden. Zwar entstand unsere Siedlung erst im Herbst, aber wir konnten genügend Vorräte anlegen. Sie nicht, Mr. Bradden?«
»An den Vorräten hat es nicht gelegen. Wie ich schon sagte, unsere Ernten waren gut. Wir sind auch jetzt mit allem versorgt. Nein, zu essen hatten wir wahrlich genug.« Er lachte böse. »Je mehr von uns starben, desto mehr hatten die anderen. Ein hübsche Rechnung, wie?«
»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Jacob.
»Erst schien es nur eine schlimme Erkältung zu sein, die Greenbush kurz vor Weihnachten heimsuchte. Greenbush hieß unser Ort, jetzt ist es eine Geisterstadt. Immer mehr wurden krank, ganze Familien. Am Weihnachtstag starben die ersten. Es war ein schlimmes Fieber. Sie schienen förmlich zu verglühen. Immer mehr. Wir schaufelten den Schnee beiseite, sammelten Stroh und machten ein großes Feuer, um die Erde aufzutauen. Dann hoben wir große Gräber aus. Einzelgräber hätten sich nicht gelohnt. Nicht für ganze Familien!«
John Bradden zeigte auf den unrasierten Mann an seiner Seite und fuhr fort: »Mein Bruder Frazer hat seine Frau und alle fünf Kinder begraben. Kinder schienen überhaupt sehr anfällig für das Fieber zu sein. Kein einziges hat überlebt. Ich hatte übrigens noch einen Bruder, Jack. Er war noch jung, hatte gerade erst geheiratet. Seine Frau Ruth erwartete das erste Kind. Sie hat es nie zur Welt gebracht. Jack starb einen Tag nach ihr.«
»Das tut mir leid«, sagte Jacob.
Auch Irene sah John und Frazer Bradden mitleidig an. Der Treck-Captain schien das gar nicht zu bemerken. Er zeigte auf den Wagen der Owens.