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»Klar bin ich das. Ich muß doch auf dich und auf den kleinen Jacob-Martin aufpassen. Außerdem habe ich das meiste noch nicht gesehen von diesem Land.«
Er sprang vom Wagen und überprüfte erst den SharpsHinterlader und dann den 44er Army Colt, der in einem Lederholster an seiner Hüfte steckte.
Es war seltsam. Daheim in Deutschland hatte er stets eine Abscheu vor Feuerwaffen gehabt und sich ganz auf seine Fäuste verlassen.
Zumindest bis zu dem Tag, als der heimtückische Bertram Arning, der Jacob die Braut genommen und Jacobs Familie von ihrem Grundstück vertrieben hatte, dem jungen Zimmermann ein Pistolenduell geradezu aufgenötigt hatte. Damals hatte Jacob sich als Naturtalent im Schießen erwiesen und Arning schwer verwundet. Arning aber stellte es als Mordversuch dar und zwang so Jacob, aus Deutschland zu fliehen.
Hier, in der Neuen Welt, hatte sich Jacob schnell an das Tragen - und das Benutzen - von Schußwaffen gewöhnt. Es blieb einem Mann keine andere Wahl, wollte er überleben und die beschützen, die ihm am Herzen lagen.
Mit einem Blick zur Seite vergewisserte er sich, daß Irene und Jamie unter der Segeltuchplane verschwunden waren.
Der Hufschlag war jetzt so laut, daß die Reiter gleich aus dem Schatten der Gelbkiefern kommen mußten.
Jacob kauerte sich hinter den Wagen und zielte mit dem Sharps in die Richtung, aus der er die Fremden erwartete. Den 44er legte er griffbereit auf einen kleinen Stein.
Sein Blut pochte und sein Herz raste. Er wußte nicht, was er von der Sache halten sollte. Die Reiter hatten den Wagen fast erreicht, aber das immer wieder aufflackernde Gewehrfeuer schien noch genauso fern. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Zwei Reiter tauchten in seinem Blickfeld auf, ein bärtiger Mann und eine Frau. Der Braune des Mannes war ungesattelt.
Sie ritten einen scharfen Galopp, wirkten gehetzt.
Dann bemerkte Jacob den Pfeil im Arm der Frau.
Die Fremden hielten fünfzehn Yards vor dem Wagen an und blickten sich suchend um.
»Ist hier niemand?« rief der bärtige Mann. Und lauter: »Verdammt, warum antwortet keiner? Wo steckt ihr?«
»Hier!«
Jacob stand auf. Er steckte den Colt zurück ins Holster, hielt den Sharps aber auf den Mann gerichtet.
Die dunklen Augen des Bärtigen flackerten, als er seine Seitenhammer-Flinte auf Jacob richtete.
»Lassen Sie das bleiben, Mister!« warnte der Deutsche. »Ich bin schneller.«
»Vermutlich«, seufzte der Reiter und senkte den langen Doppellauf seiner Waffe. »Außerdem ist die Clabrough leer. Ich habe beide Kugeln verschossen, um diese heimtückische Rothaut zur Hölle zu schicken.«
»Ein Indianerüberfall?« fragte Jacob und sah dabei auf den Pfeil im Arm der Frau.
»Und was für einer!« erwiderte der Bärtige. »Diese hinterhältigen Nez Perce haben uns kalt erwischt. Unser Wagen steckte in einem Creek fest, als sie angriffen. Mein Schwager ist vermutlich tot, und meine Frau. Sie sehen es ja selbst!«
Wieder ertönten Schüsse in der Ferne.
»Wie viele von Ihnen sind noch da drüben?« wollte Jacob wissen.
»Wir waren zwölf Leute, drei Wagen. Ich weiß nicht, wie viele noch am Leben sind.«
»Und wie viele Indianer?«
»Keine Ahnung. Es ging alles so schnell. Vielleicht sind sie nicht mehr als wir, vielleicht aber auch doppelt oder dreimal so viele. Diese Teufel sind verflucht schnell. Man denkt, sie seien überall zugleich.« »Ich wußte gar nicht, daß Nez Perce in dieser Gegend sind«, wunderte sich Jacob. »Und auch nicht, daß sie auf dem Kriegspfad sind.«
»Indianern kann man niemals trauen«, brummte der Mann. »Übrigens, ich heiße Ebenezer Owen, und das ist meine Frau Carol. Helfen Sie uns, Mister.?«
»Adler, Jacob Adler.« Jacob nickte. »Natürlich helfen wir Ihnen.«
»Dieser Name«, meinte Owen. »Ihre Aussprache kam mir gleich so seltsam vor. Sind Sie Deutscher?«
»Ja. Was dagegen?«
»Nein, warum? Die Vorfahren meine Frau kommen aus Ihrem Land. Sollen fleißige Menschen sein.«
»Das stimmt«, sagte Irene, die mit Jamie unter der Plane hervorkam. Der Junge war aufgewacht und begann zu plärren. Seine Mutter beruhigte ihn mit sanften Worten und sanftem Streicheln.
»Ihre Familie?« fragte Ebenezer Owen.
»Nein. Miß Sommer ist eine Freundin. Ich bringe sie zu. ihrem Mann.«
Jacob zögerte. Irene und Carl Dilger waren nicht verheiratet - noch nicht. Aber das ging Fremde nichts an.
»Ah, so ist das.« Der Bärtige rutschte von seinem Pferd und half seiner Frau aus dem Sattel. Sie stöhnte auf, als ihr verletzter Arm an der Flanke des Pferds entlangstrich.
»Das sieht übel aus«, sagte Jacob. »Wir müssen uns um die Wunde kümmern.«
»Ich mache das schon«, beschied ihn Irene. »Reite du mit Mr. Owen zurück, um den anderen Menschen beizustehen.«
Jacob blickte sie zweifelnd an.
»Ich weiß nicht, ob das gut ist, Irene. Ich möchte dich und Jamie nicht ohne Schutz hier lassen. Vielleicht streifen Nez Perce hier herum.«
»Ich kann Sie natürlich nicht zwingen, meinen Freunden zu helfen, Mr. Adler«, sagte Owen. »Aber bei den anderen Wagen sind noch zwei Frauen.«
»Und Kinder, nehme ich an«, meinte Irene.
»Nein, Kinder nicht«, erwiderte der bärtige Mann knapp, und für Sekunden verdüsterte sich sein Gesicht.
»Du mußt reiten, Jacob!« drängte Irene. »Stell dir vor, die Nez Perce hätten uns angegriffen. Wir wären dann auch über jede Hilfe dankbar.«
»Und wir hätten Ihnen geholfen!« stieß Owen im Brustton der Überzeugung hervor.
»Ja.«, meinte Jacob nachdenklich. »Es muß wohl sein.« Er zog den 44er aus dem Holster und reichte ihn Irene. »Nimm das, damit ihr nicht ganz schutzlos seid.«
Irene zögerte, die Waffe zu nehmen. »Und was ist mit dir?« fragte sie.
»Ich habe den hier«, antwortete Jacob und hielt den Sharps hoch. »Der Karabiner muß genügen.«
»Hoffen wir es«, seufzte Irene und nahm den schweren Revolver zur Hand. »Und jetzt los, sonst ist es zu spät!«