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Alle sahen ihn an.
Der Indianer erhob sich ganz und blickte in die Prairie hinaus. Dann deutete er mit dem Arme vor sich hin, durch einen Blick die andern auffordernd, in dieser Richtung auszuschauen.
Alle erhoben sich und erblickten in weiter Entfernung drei Reiter, welche in vollem Jagen auf die Bucht zueilten.
Abwechselnd je nach der Bodengestaltung waren die Reiter sichtbar oder verschwanden für Minuten hinter einer Erdanschwellung, um dem See näher wieder aufzutauchen, immer in derselben eiligen Bewegung. [387]
Während sie noch erstaunt diesem tollen Ritt zusahen, machte des Indianers Gebärde sie auf einen zweiten, stärkeren Reitertrupp aufmerksam, der in gleich rasender Eile dem ersten nachsetzte.
Der Graf nahm sein Glas und richtete es auf die zweite Gruppe, welche wohl mehr als eine Meile hinter der ersten einherritt.
»Das ist der Konstabel,« sagte er staunend, »wen mag er jagen?«
Er suchte dann mit dem Glase die drei Voranjagenden, als sie eben wieder im Gesichtskreise auftauchten, und »Ha!« fuhr er mit einem jähen Ausruf fort, »das ist Morris, das sind die Banditen.«
Athoree erbat sich das Glas und schaute hindurch.
»Das rote Hand und Iltis,« sagte er, das Glas zurückgebend, »Konstabel ihn jagen,« und sprang mit großer Schnelligkeit davon.
Mit größter Spannung verfolgten die Zurückgebliebenen die wilde Jagd.
Es war augenscheinlich, die Verfolgten strebten dem Wasser in der Richtung, wo die wenigen Hütten lagen, zu, und der Indianer lief deshalb ebenfalls dorthin.
»Vorwärts, Männer, Athoree nach, wir wollen versuchen, ihnen den Weg abzuschneiden.«
Und so rasch als tunlich eilten sie dem See zu, nur die alte Sumach blieb zurück.
Eine Zeitlang verschwanden ihnen die Gejagten wie die Verfolger aus den Blicken, als sie aber wieder höher liegenden Boden erreichten, gewahrten sie, wie Morris und seine Begleiter eben ein Boot bestiegen, das Segel entfalteten und vor einem frischen Winde nach Norden zu segelten, zu der sich nach dieser Himmelsrichtung öffnenden Bucht hinaus.
Eilig liefen sie weiter.
Jetzt langte auch der Konstabel mit seinen vier Begleitern dort an und schon hörte man seine dröhnende Stimme.
Aus den Häusern waren Leute herbeigelaufen und sahen erstaunt auf die ihnen unbegreiflichen Vorgänge.
»Ein Boot! Ein Boot!« schrie der Konstabel und sprang vom Pferde.
Athoree war bereits dicht am Ufer und feuerte hinter den Verfolgten her, aber die Entfernung war für eine Büchsenkugel zu groß.
»Ein Boot, im Namen des Gesetzes!«
Auch Wellers Begleiter, die beiden Wilsons und zwei junge Farmer, welche sich ihnen auf der wilden Jagd angeschlossen hatten, sprangen von den Pferden.
Die Leute, denen eben unerwartet ein Kahn entführt war, schienen mißtrauisch zu zögern.
Edgar und die übrigen liefen immer noch nach dem Ufer zu, als von neuem des Konstabels zornige Stimme sich vernehmen ließ: »Ein Boot im Namen des Gesetzes! Wollt ihr die größten Schurken im alten Mich, wollt ihr den Mörder vom Kalamazoo entkommen lassen?«
Auf dies lösten behende zwei Männer eines der Boote. Weller und seine Begleiter sprangen, die Pferde achtlos stehen lassend, hinein, das große Segel entfaltete sich, und Edgar langte eben am Ufer an, als das Boot in See ging.
»Hallo, Weller!«
»Seid gegrüßt, Fremder. Kann Euch die Hand nicht schütteln, seht, habe zu tun.«
»Glück zur Jagd, Konstabel.«
»Wollen die Wölfe fangen, Fremder, haben Bluthunde hinter sich.«
Schaum aufwerfend vor der scharfen Südwestbrise schoß das Fahrzeug davon.
Aber das erste Boot, leichter gebaut als das der Verfolger, hatte schon einen weiten Vorsprung.
Schweigend verfolgten sie einige Minuten die hellen Segel.
Als der Graf sich wandte, bemerkte er erst, daß Johnson zurückgeblieben war und auf seine Büchse gelehnt, mit gesenktem Haupt einer Bildsäule gleich dort stand.
Edgar ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Johnson hob langsam das Haupt und der Graf blickte in ein gramverstörtes Gesicht.
»Der Mörder vom Kalamazoo?« sagte er leise.
Jetzt erst fiel dem Grafen ein, daß Johnson diese Aeußerung des Konstabels gehört haben mußte.
»Faßt Euch, Mann, faßt Euch!«
»Der Mörder meiner - -? Welcher war's?«
»Der voranritt, Morris nennt man ihn.«
Johnson richtete das Auge zum Himmel - seine Rechte umklammerte den Büchsenlauf gleich einem Schraubstock - und sagte in einem Tone, der den Grafen erbeben ließ: »Gib ihn in meine Hand, Herr, und entkommt er - so entrinn er auch der Hölle!«
Aufmerksam schauten alle wieder nach den Booten, welche schon weit entfernt waren. Die Bewohner der Häuser verfolgten die Jagd gleich unsern Freunden. Man hatte ihnen Mitteilungen gemacht, die geeignet waren, sie über die Vorfälle aufzuklären.
[389]
Bald verschwanden beide Segel hinter einem Ufervorsprung.
Edgar und seine Begleiter gingen zurück, die Pferde Wellers und der Farmer der Aufmerksamkeit der Leute empfehlend, holten Sumach ab und setzten ihren Weg nach Traverse City, über welchen ihnen die Uferbewohner noch Auskunft gegeben hatten, fort.
Als sie nach einigen Stunden, während die Farmen dichter wurden, die Hafenstadt in der Entfernung sahen, berührte Athoree, welcher schweigend neben seiner Mutter hinter den übrigen hergegangen war, des Grafen Arm und forderte ihn durch eine Gebärde auf, mit ihm zur Seite zu treten.
Der Graf willfahrte.
»Athoree will nicht in die Stadt der Weißen gehen mit seiner Mutter, er will hier bleiben.«
»Bedeutet dies, mein Freund, daß du dich von mir trennen willst?«