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Athoree maß mit aufmerksamen Blicken die eigentümlich gestalteten Felsspitzen und hielt, seiner Mutter etwas zurufend, direkt auf die Küste zu.
Der Graf gewahrte das nicht ohne Erstaunen und befragte ihn deswegen.
»Gleich sehen, nicht stören.«
Die im Bug sitzende Alte winkte leicht mit der rechten Hand und Athoree änderte hiernach etwas die Richtung des Bootes.
Edgar untersuchte das Ufer mit dem Glase, gewahrte aber nur die nackte Felswand, auf welche das Fahrzeug rasch zulief.
Sie waren schon der Küste ganz nahe. Wieder winkte die Alte und von neuem änderte Athoree den Kurs.
Jetzt gewahrte der Graf eine Stelle in der leichten Brandung, welche ruhiges Wasser zeigte, auf diese hielt das Boot zu.
Leicht segelte es hinein in eine anscheinend geschlossene Bucht, als der Graf zu seiner großen Ueberraschung zur Linken sich einen schmalen Wasserarm öffnen sah, der von außen der vorstehenden Felsen wegen nicht bemerkt werden konnte.
In diesen bog das Boot ein und segelte eine Strecke zwischen Felswänden hindurch, bis nach einer Wendung rechts sich ihren staunenden Augen eine im Sonnenstrahle glänzende Wasserfläche zeigte, welche sich seeartig ausdehnte.
»Das Tuenta-Fluß,« sagte Athoree, »hier sicher, niemand sehen. Nicht viele kennen Einfahrt, nur Wyandotjäger.«
Der breite, sich weithin ins Land erstreckende majestätisch ruhige Strom, der, umsäumt von starren Felsgebilden, in einsamer Schönheit vor ihnen lag, machte nach der so überraschenden Einfahrt durch den engen, windungsreichen, düsteren Kanal einen großen Eindruck auf die Insassen des Bootes.
Alle genossen den selten schönen Anblick dieses geheimnisvollen Wasserbeckens in schweigender Bewunderung.
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Der Wind war hier weniger fühlbar als draußen, doch war der Luftzug stark genug, um das Boot leicht über die klare, grünliche Flut hinwegzutreiben. Einige Meilen legten sie so in tiefem Schweigen zurück. Die Felsen wurden allgemach niedriger. Wiederum, als das Auge schon glaubte, Fels schließe den Ausgang, ließ Athoree das Boot eine Schwenkung nach links ausführen, und sie bogen in einen ruhigen Fluß ein, dessen Ufer dichter Wald säumte.
Langsam segelten sie ihn hinauf.
Es herrschte eine solch feierliche Stille auf dem Wasser zwischen den dunklen Waldufern, innerhalb deren der Kahn leicht und geräuschlos hinglitt, daß das Herz sich zur Andacht gestimmt fühlte.
Unwillkürlich leise sprechend, um das Schweigen ringsum nicht zu stören, fragte der Graf nach einiger Zeit: »Führt der Fluß weit ins Land hinein, Häuptling?«
»Er in Eskonaba führen, aber weit oben, nicht Ansiedlungen, nicht Menschen mehr.«
Nach einigen Stunden wurde der Fluß enger und die Strömung stärker, doch war der Wind stark genug, um sie zu überwinden. Endlich drängte sich das Boot unter überhängende Aeste und zwischen Schilf. Die Männer mußten helfen, es hindurchzubringen, und dann lief es, aus dichtem Rohr hervortretend, in einen breiten Strom ein, der seinen Lauf mehr östlich nahm.
»Dies Eskonaba,« sagte Athoree.
Auch hier begegnete das Auge schweigenden Waldufern.
Der Wind wehte hier frischer, und da er zur Fahrt günstig war, trieb er das gut gebaute Boot kräftig stromauf.
In mannigfachen Windungen kam der Eskonaba von Nordwesten her und bot dem Auge fortwährend neue überraschende Ansichten. Oftmals zeigten sich kleine, bewaldete Inseln inmitten des Flusses.
Nach längerer Fahrt traten sie wieder zwischen Felsen ein, welche die Ufer einfaßten, doch zeigten sich auf der Höhe Büsche und Bäume.
Die Bewegung des Wassers wurde stärker und ein dumpfes Brausen ließ sich, dem Waldesrauschen gleich, wenn der Wind die Blätter leise bewegt, fernher hören.
Es war Abend geworden und schon nahte sich die Nacht.
Am linken Ufer öffnete sich in den Felsen eine halbkreisförmige Bucht, in diese ließ Athoree das Boot einlaufen und zog das Segel ein.
Im Dämmerlicht zeigte sich hinter einem Felsvorsprung eine geräumige Höhle. Vor dieser befestigte der Indianer das Boot an einem Felsblock und stieg aus. [396]
»Hier die Nacht bleiben, hier gut.«
Alle stiegen aus und hießen den stillen, trockenen Raum als Lagerstätte für die Nacht willkommen.
Man gewahrte, daß die Höhle öfters zu gleichem Zwecke aufgesucht wurde, denn Feuerstätten waren sichtbar und in einzelnen Ecken lag dürres Laub aufgehäuft.
Von dem trockenen Holze, welches man im Boote mitführte, wurde rasch ein Feuer angezündet und die Männer schickten sich zur Abendmahlzeit an, welche schweigend eingenommen wurde.
Die Nacht war bereits herabgesunken und die Flamme bestrahlte hell das Innere der Höhle und über den Eingang hinausdringend die stille Wasserfläche und die gegenüberliegende Felswand.
Graf Edgar richtete jetzt das Wort an Athoree: »Der Wyandot-Häuptling hat in den letzten Tagen nicht viel Worte verloren, will er mir nicht sagen, was er nun zu tun gedenkt, mein Ohr ist offen.«
»Wir morgen gehen in die Wälder, Gutherz, Boot muß hier bleiben, oben Stromschnelle, nicht hinüberbringen. Boot niemand hier nehmen. Gehen langsam nach den Marblebeds, wie die Weißen sagen, da wohnen Saulteux. Hier,« er deutete nach Osten, »haben Wyandots ihre Wigwams und wir gehen nach Nordwesten. Athoree wird die Dörfer der Saulteux umkreisen, dann sehen.«
»Den Fluß können wir der Stromschnellen wegen nicht weiter benutzen?«
»Nicht Boot hinauffahren; oben Wasser wieder ruhig.«
»Aber wird uns Athoree nicht zu seinen Brüdern, den Wyandots, führen?«
Ruhig entgegnete der Indianer: »Nicht gut, wenn zu Saulteux von Wyandots kommen, er Wyandots nicht lieben, darum reisen in Boot Tuenta hinauf, sagen, Wyandots nicht gesehen.«
»Gut.«
Da der Indianer keine Neigung zu haben schien, sich weiter über seine Absichten auszulassen, der Graf seiner Führung völlig vertraute und des unklaren Verhältnisses gedachte, in welchem Athoree zu seinem Volke stehen mußte, richtete er keine weiteren Fragen an ihn.
Neben seiner Mutter sitzend, wechselte Athoree leise Worte mit der alten Frau in ihrer Muttersprache.
Johnson war, seit man des Mörders seiner Lieben vor seinen Ohren gedacht hatte, in Schweigen versunken, auch jetzt saß er ernst am Feuer und schaute wortlos in dessen verflackernde Glut.
Michael rauchte behaglich seine kurze Pfeife. [397]
»Je mehr ich mich unserm Ziele nähere, Heinrich,« wandte sich der Graf an den Jäger, »je unruhiger pocht mir das Herz. Was werden wir finden?«
»Ich habe die beste Hoffnung, Herr Graf. Hat uns Gott so weit geführt und auf die Spur Ihrer Frau Schwester geholfen, so wird er uns auch jetzt weiter helfen.«
»Du hast gesehen, welche Schwierigkeiten uns die Ottawas in den Weg legten, um die Aufhellung des Geschicks meiner Schwester zu verhindern, nach der Beschreibung des guten Kommandanten in Fort Mulder sollen diese Saulteux die grausamsten und rohesten Wilden hier im Norden sein. Sie werden vielleicht Geschenken und Bitten gegenüber sich noch unzugänglicher verhalten, als die Ottawas. O, Heinrich, wenn alles, alles vergeblich gewesen wäre?«
»Ihre Unruhe und Besorgnisse, Herr Graf, vermag ich, da wir so nahe vor dem Augenblicke stehen, der uns eine oder die andre Gewißheit geben soll, zu begreifen, nur denke ich, daß das Volk, zu dem wir jetzt auf dem Wege sind, nicht die gleichen Gründe haben kann, die Gesuchte zu verbergen, wie die Ottawas. Die Saulteux waren doch an dem Kriege vor drei Jahren, wie an der Entführung der Gräfin nicht beteiligt.«
»Deine Worte klingen tröstlich, auch liegt etwas Wahres in dem, was du sagst, dennoch kann ich das Gefühl der Angst und Beklemmung, welches mich überkommen hat, nicht bemeistern.«