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»Welche Ueberraschungen hat uns unsre Reise schon gebracht, Heinrich, was wird nun kommen?«
Er versank in Nachdenken und saß, unaufhörlich freud- und leidvolle Bilder vor seinem Geiste aufsteigen lassend, noch am Feuer aufrecht, als die andern schon ihre Lagerstätten aufgesucht hatten und schliefen. Endlich suchte auch er die Ruhe und sah im Traum seine Schwester schön und jugendlich, wie er ihre Gestalt in seiner Erinnerung bewahrte, auf einer Bahre liegen, von weißen Rosen eingekränzt.
Er schlief noch, als Athoree sich beim ersten Tagesgrauen erhob und hinausging.
Erst nach länger als einer Stunde kam er zurück und berührte des Grafen Arm.
»Jetzt gehen,« sagte er, als dieser die Augen aufschlug, worauf sich der Graf rasch erhob.
Sumach hatte bereits das Feuer wieder angefacht und das [398]
Frühstück bereitet. Als dies beendet war, wurde dem Boot entnommen, was mitgeführt werden mußte, unter anderm ein Packen, welcher die Geschenke für die Saulteuxhäuptlinge enthielt, diesen hatte Michael zu tragen.
Der Ire führte neben seinem unvermeidlichen Kampfstocke jetzt auch eine Büchse. Während ihres kurzen Aufenthaltes in Grand Traverse City und im Fort, wie auf ihrem Marsche von den Ottawas nach der Küste, hatte ihn Heinrich eifrig einexerziert und Michael rasch Fortschritte gemacht, wie denn die Iren durchaus anstellig und dabei geborene Soldaten sind, welche den Kern der englischen Armee bilden.
Aber dem trefflichen Shillalah entzog der Mann aus Leitrim sein Vertrauen deshalb nicht.
»Er hat doch gute Dienste getan und sogar dem blutigen Peschewa hingeholfen, weshalb sollte ich ihn lassen?«
Er liebte es jetzt, seines Sieges über den Ottawahäuptling öfters mit Selbstbewußtsein zu gedenken, bis ihm der Graf lächelnd riet, dies ja nicht den Saulteux gegenüber zu tun, da dies die nächsten Verwandten Peschewas seien, worauf der gute Michael seine Heldentaten nicht mehr erwähnte.
Als sie jetzt zur Reise gerüstet waren, führte sie Athoree hinaus zu einem engen, nur dem Kundigen bemerkbaren Felsenpfade, welchen sie nicht ohne Mühe emporstiegen.
Auf die Höhe der Felsen gelangt, betraten sie dichten Wald, der durch das Vorwiegen riesenhafter Schwarztannen einen düsteren Charakter hatte. Dafür war er aber von Unterholz ziemlich frei und erschwerte nicht wesentlich das Gehen.
Eine Zeitlang schritten sie längs des Flusses einher, der tief unter ihnen dahinfloß, dessen dumpfes Rauschen immer stärker und stärker zu ihnen drang, bis sie endlich die Stromschnellen zu Gesicht bekamen.
Brausend wälzte der Fluß hier seine stattliche Wassermenge in schäumenden und springenden Kaskaden durch ein felsiges Bett, ein Bild ungezügelter Naturkraft, von wilder Schönheit.
Doch es war nicht Zeit, die Wunder der Natur zu betrachten, Athoree schritt vorüber und die andern folgten ihm, ohne mehr als einen flüchtigen Blick auf die niedersausenden Wasser werfen zu können.
Als das Geräusch der Fälle schwächer wurde, äußerte der Graf zu Athoree: »Der Häuptling scheint diese Gegend zu kennen?«
»Er ist hier aufgewachsen,« entgegnete der.
Der Fluß machte eine Biegung nach Westen und sie verließen sein Ufer, rasch und lautlos in die düstern Wälder eindringend, die hie und da felsiges, ansteigendes Terrain zeigten.
So waren sie in anstrengendem Marsche einige Stunden fortgeschritten, als Atho-ree zur Ueberraschung des hinter ihm schreitenden Grafen mit heftiger Gebärde »Halt!« gebot und ihnen leise aber deutlich zurief: »Niederlegen!«
Alle gehorchten schnell, waren aber nicht wenig erstaunt über diesen unerwarteten Befehl.
Athoree legte noch in bezeichnender Weise den Finger auf die Lippen, ihnen so Schweigen einschärfend, und verschwand, sich gebückt und vorsichtig durch den Wald bewegend.
Beunruhigt, aber doch der Weisung folgend, blieben alle am Boden liegen, der Rückkehr des Indianers harrend.
Nach wenigen Minuten erschien dieser wieder und, eine seltene Erscheinung, in wahrnehmbarer Aufregung.
Er winkte zu folgen, nachdem er seiner Mutter einige Worte zugeflüstert hatte, welche auf die alte Frau einen starken Eindruck machten, und schritt voran, sie einen zur Linken ihrer bisherigen, Richtung liegenden, mit Büschen bewachsenen Felsen hinaufführend.
Oben angekommen, forderte er sie wieder auf, sich niederzulassen.
Der Fels, der an der Seite, von welcher sie seinen Gipfel erreicht hatten, nur eine mäßige Steigung aufwies, fiel nach der andern etwa dreißig Fuß tief steil ab. Sein Rand war mit dichten Büschen umsäumt und einige hoch emporragende Tannen krönten seinen Gipfel.
»Was bedeutet das, Athoree?« fragte leise der Graf.
»Komm,« flüsterte der und kroch vorsichtig durch die Büsche bis, an den Rand des Felsens.
Edgar folgte ihm.
Dort bog der Indianer die Büsche auseinander, ließ den Grafen einen Blick hinauswerfen und sagte: »Sieh!«
Der Graf sah von oben in ein verhältnismäßig offenes Terrain, denn der nackte Felsboden duldete keine dichte Vegetation, auch fernerhin standen die Bäume lichter, hinter diesen aber erhoben sich jäh und hoch ansteigende Felsenmassen.
Mit nicht geringem Schrecken gewahrte Edgar, dem ausgestreckten Finger des Indianers folgend, eine Schar Wilder, welche, einer hinter dem andern gehend, sich zwischen dem Felsgestein hindurchwanden.
»Athoree, was ist das?«
Mit einer Stimme, deren Beben von hoher Aufregung des Sprechenden zeugte, entgegnete er: »Wyandots auf dem Kriegspfade.«
»Um Gottes willen, gegen wen?«
»Gegen Saulteux. Saulteux kommen hierher, in die Wigwams der Wyandots zu fallen, diese ziehen aus, ihnen den Weg zu verlegen.«
Der Graf erschrak nicht wenig über diese Mitteilung.
Ein Kampf zwischen den roten Leuten drohte alle seine Hoffnungen zu zerstören.
»Was beginnen wir, Freund?«
»Müssen warten. Vielleicht nicht fechten.«
Auch die andern waren, Johnson ausgenommen, durch diese Nachricht peinlich überrascht.
Sumach hielt die Hände vor das runzelvolle Gesicht.
Leise und eindringlich sprach der Sohn zu ihr, sie schien zu widersprechen und endlich nachzugeben.
Hierauf zog Athoree zwei Schwungfedern des Falken aus seinem Gewände, warf seine Mütze ab, kauerte vor seiner Mutter nieder, welche die Federn geschickt in seinem dichten Haar befestigte, so daß sie hoch emporragten und dem Kopfe des Wyandots, dessen Augen gleich denen eines Raubtieres blitzten, etwas überaus Wildes gaben.
Angestrengt lauschten alle.
Fernher klang der Hall einer abgefeuerten Büchse. Da, wieder und wieder. Dumpf drang Schlachtruf der Indianer zu ihnen.
Hohe Aufregung hatte sich der Hörer bemächtigt bei diesen kriegerischen Lauten. Athoree stand horchend, einem Panther gleich, der zum Sprunge ansetzt, da.
Die Schüsse wurden zahlreicher, dann klangen sie wieder nur vereinzelt herüber, aber - die auf dem Fels Weilenden vernahmen es mit Schrecken, das Feuer kam näher, ein Zeichen, daß die Huronen zurückgingen.