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Nur die wunderbare, fast instinktive Sicherheit des Indianers bewahrte den Grafen bei diesem nächtlichen Marsche vor Unheil.
Als sie unten waren, schlug der Indianer, statt das Tal zu betreten, von neuem einen felsigen Pfad ein, der sie an demselben langhingestreckten Berge, an dessen Seite sie eben herabgekommen waren, wieder emporführte.
Endlich graute der Tag und ihr Weg wurde sichtbarer.
Vorsichtig schritten sie weiter. Athoree mit den Schritten einer Katze, lauschend und mit den dunklen Augen jeden Busch durchforschend.
Bei jeder Wendung des Weges kroch er erst voran, um die Sicherheit desselben zu erkunden.
So waren sie auf rauhem Pfade, zwischen Gestrüpp und wirr umherliegendem Felsgestein hindurch an eine Stelle gelangt, von wo sie von hoch oben herab in das Dorf der Saulteux hineinsehen konnten.
Dreißig bis vierzig Hütten lagen zerstreut dort im Tale, teils an dem Bache, der es durchfloß, teils an Felsen angelehnt.
Vorsichtig lugten sie durch die Büsche hinab.
Die Bewohner der Wigwams schliefen größtenteils noch. Nur hie und da zeigte sich ein schläfriges Weib, welches Wasser aus dem Bache schöpfte.
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Männer waren nicht zu sehen.
Sie schlichen weiter, über das Dorf hinaus. In einer sehr steil ansteigenden Rinne, die wohl bei Regengüssen strömendes Wasser und Steingeröll hinab ins Tal führte, deren Seiten mit fast undurchdringlichem Buschwerk eingefaßt waren, kletterten sie hinauf, die Richtung derselben verbarg sie den Blicken aus dem Tale vollständig.
So erreichten sie nach mühevollem Aufstieg ein Felsplateau, der höchste Punkt in der näheren Umgebung des Tales. Dort legten sie sich nieder und ruhten von dem anstrengenden Marsche aus.
Hell strahlte die Sonne vom Himmel hernieder und beleuchtete die Wälder, Berge und Felsspitzen, welche sich ringsum erhoben, wie das Tal, welches unter ihnen sich ausdehnte.
Sie lagen gedeckt zwischen Steinen und Birkengestrüpp da.
Leise äußerte der Graf: »Athoree, meine Schwester wird einen solchen Weg, besonders noch in eiliger Flucht, nicht zurücklegen können.«
»Nicht Weg für Squaw. Gehen andern Weg. Noch Zeit, erst sehen, nicht gehen vor Mittag, dann alle schlafen.«
Höher und höher stieg die Sonne und sie lagen noch immer zwischen den Steinen. Graf Edgar in ungeminderter seelischer Aufregung,
Der Indianer kroch jetzt an den Rand des Plateaus und schaute von ihm in der Längsrichtung des Tales hinab.
Er winkte dem Grafen und dieser legte sich neben ihn. Beide versteckten sorgfältig die Köpfe zwischen den Birkenzweigen.
Der Graf erblickte tief unter sich einen sich isoliert im Tale erhebenden Felskegel, der eine Vertiefung gleich der Oeffnung eines Kraters hatte. In diese Vertiefung, deren Felswandungen sie vollständig von der Außenwelt abschlossen, sah der Graf hinein. Gras, Blumen und einige Büsche zeigten sich auf deren Grunde und an die Felsmauer angelehnt eine indianische Hütte, welche, aus gegerbten Häuten und Baumrinde gefertigt, hinreichenden Schutz gegen die Unbilden der Witterung zu bieten schien.
Die Einsenkung lag still und einsam vor den Augen der Lauscher da.
»Was ist das, Athoree?«
»Werden gleich sehen.«
Innerhalb des so gänzlich abgeschlossenen Raumes erschien jetzt eine alte Indianerin, ging auf das Wigwam zu und schien hineinzusprechen. Der Graf nahm sein Glas an das Auge und richtete es hinab.
Nicht lange dauerte es, so sprang ein Knabe aus der Hütte hervor und an der Alten in die Höhe. [412]
Diese wehrte, wie es schien, gutmütig seine wilden Liebkosungen ab.
Der Knabe hatte langes blondes Haar, welches ein Band um seine Schläfen zusammenhielt. Ein kurzes, tunikaartiges Gewand, durch einen Gürtel um die Lenden festgehalten, bedeckte den schlanken, jugendlichen Körper bis zu den Knieen, Arme und Beine waren nackt, die Füße steckten in Mokassins.
Zitternd in innerer Erregung beobachtete ihn der Graf durch sein Glas.
Die Alte ließ unterdes Feuer zwischen zu einem Herd hergerichteten Steinen auflodern und schickte sich augenblicklich an, das Frühstück zu bereiten, während das Knäblein einen Bogen zu prüfen schien.
Der Graf wollte reden, aber er vermochte es nicht, so gewaltig pochte ihm das Herz, er verschlang mit den Augen das Bild vor sich.
Jetzt bewegte sich der Fellvorhang und eine schlanke Frauengestalt trat aus dem Zelte.
Der Graf richtete hastig das Glas auf sie und mit einem leisen Schrei ließ er es seiner Hand entsinken. »Luise - Luise,« flüsterte er in einem Tone, der das tiefste Fühlen seines Herzens verriet: »Luise!«
»Das Schwester? He?« fragte mit einem Lächeln Athoree.
»Ja, ja, Freund, das ist die lang Gesuchte,« sagte er mit vor Freude bebender Stimme, »das ist meine Schwester Luise. »Gott sei gelobt, daß er mich diesen Tag erleben ließ.«
Er drückte Athoree die Hand und richtete sein Glas wieder in das Felsenrund.
Der Knabe sprang auf die Frau zu, umarmte und küßte sie zärtlich, sie streichelte ihm Wange und Haar, und beide setzten sich dann an einen roh gefertigten Tisch und nahmen das Frühstück, welches die Indianerin bereitet und aufgetragen hatte, ein.
Das Verhalten der Alten ließ darauf schließen, daß die Gefangene mit großer Ehrfurcht behandelt wurde.
Der Knabe entfernte sich dann mit seinem Bogen, die Indianerin trug einen Stuhl vor die Hütte und holte, wie es schien, eine Näharbeit aus deren Innerem und überreichte sie der Frau.
Dann ging auch sie hinweg.
Dies alles beobachtete der Graf durch sein Glas mit einer tiefinneren Bewegung, wie er sie nie gefühlt hatte.
Da saß vor ihm die Verlorene, so heiß Ersehnte, die so Vieles und Schweres erduldet hatte, eine Gefangene der wilden Rothäute in fast unzugänglicher Gegend. [413]
Nach und nach erst minderte sich die Erregung seiner Seele, schlug sein Herz ruhiger,
»Und was nun, Athoree?« fragte er endlich,
»Jetzt steigen herab, sprechen zu Schwester und dann leise fort.«
»Jetzt, am hellen Tage?«
»Schwester bei Nacht nicht gut klettern auf Felspfad. Müssen jetzt gehen. Niemand dort, kommen niemand dorthin. Kennen Weg, denken niemand uns sehen. Werden weit weg sein, ehe Saulteux es merken.«
»Und wenn man uns erblickte, so wäre alles und für immer verloren.«
»Müssen an Tag gehen, nachts schlafen Krieger vor Fels, ihn zu bewachen.«