158681.fb2 Verwehte Spuren. Eine Erz?hlung f?r die reifere Jugend. - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 116

Verwehte Spuren. Eine Erz?hlung f?r die reifere Jugend. - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 116

Sie schritten eine Felsschlucht hinauf, welche von einem rauschenden Bach durchströmt wurde, der an beiden Seiten nur einen schmalen Pfad für den Fuß frei ließ.

Als die Schlucht eine Wendung machte, erblickten sie einen Wasserfall vor sich, der senkrecht in die nicht unbeträchtliche Tiefe hinabstürzte und dort in schäumenden Wellen weiter eilte.

Sie waren an der Felswand so hoch gelangt, daß das Wasser jetzt weit unter ihnen rauschte, während die Höhe des Falles über ihnen lag.

Weiter auf dem schmalen Pfade emporsteigend, gelangten sie über den Fall hinaus und erblickten einen kleinen von Felswänden umgebenen See vor sich.

Zu ihrer Rechten zeigte sich eine dunkle Oeffnung im Felsen, augenscheinlich ein Eingang zu einer der hier so häufigen Aushöhlungen des Gesteins.

Athoree schaute sich um, welchen Weg er weiter zu nehmen habe, und schon schickten sie sich auf seinen Wink an, den Fels emporzuklimmen, als der Knabe rief: »Saulteux! Da!«

Auf dem der Höhle gegenüberliegenden felsigen Ufer stand hoch aufgerichtet vor aller Augen ein Indianer, der rasch verschwand, als Athoree seine Büchse hob. -Edgar erschrak. Was er heimlich gefürchtet, daß die Verfolger sie ereilen würden, war eingetroffen.

»Dort!« Sumachs Sohn wies auf die Felsöffnung, welcher alle rasch zugingen.

Es fand sich, als sie eintraten, daß es eine hinreichend geräumige Höhle war, in welcher sie in ihrer Not Zuflucht suchten. Sie war zu Fuße nur von der Seite zu erreichen, von welcher sie selbst sie betreten hatten, denn wenige Schritte jenseits des Eingangs endete der schmale Pfad und das tiefe, klare Wasser des Sees bespülte dort den Fels. Von hier aus konnte man nur zu Boote oder auf einem Floß dem Eingang der Höhle nahe kommen. [430]

Augenblicklichen Schutz gewährte freilich dieser Zufluchtsort, aber was sollte folgen, jetzt, wo sie entdeckt waren?

Den Grafen ergriff eine tiefe Verzweiflung, als er, so nahe dem Ziele, alle seine Hoffnungen vereitelt, die Früchte seiner endlosen Mühen sich entrissen sah. An ein Entrinnen war hier nicht zu denken. Wenige Leute konnten ihnen den einzigen schmalen Pfad verlegen, der hinaus in die Wälder führte. Gefangenschaft oder Tod war ihr Los.

Selbst wenn der Saulteux, welchen sie gesehen hatten, nur ein vereinzelter Späher war, so war anzunehmen, daß er rasch genug Leute um sich zu versammeln vermochte, um alsbald eine nachdrückliche Verfolgung aufnehmen zu können, wenn sie es wagten, eine Flucht fortzusetzen, welche durch die Frau und das Kind in ihrer Mitte wesentlich in der gebotenen Eile gehindert wurde. Der Graf sah ein, daß nichts andres geschehen konnte, als den Zufluchtsort, den ihnen das Schicksal bot, anzunehmen.

Die Lage war trostloser als je.

Von den Verfolgern war nichts zu bemerken, aber sie kannten indianische Art hinreichend, um zu wissen, daß diese eifrige Vorbereitungen trafen, sich ihrer zu bemächtigen.

Eine schmale, dunkle Rauchsäule, welche sich über den Felsen jenseits erhob, durfte als ein Zeichen gedeutet werden, welches die Saulteux unter sich auswechselten und wohl dazu bestimmt war, die zerstreuten Krieger zu sammeln.

In einer Ecke der Höhle hatte sich Luise niedergelassen und liebkoste mit einem vor innerer Freude strahlenden Antlitz ihren Sohn.

Dem Grafen wurden die Augen feucht, als er auf dieses lieblich-trauliche Bild schaute, und ein nie gefühlter Jammer faßte ihn an.

Das war das Ende? Nach langem Suchen hat er die Schwester gefunden, sie in so herzzerreißendem Zustande gefunden, sie kühn der Gewalt der Wilden entrissen -und - jetzt?

Der Knabe dort, diese junge, unter Wilden aufgewachsene Menschenblüte? Was wurde aus ihm?

Draußen lauerte der heulende Wilde, der kein Erbarmen kannte.

Todessehnsucht bemächtigte sich des jungen, heldenhaften Mannes in dieser hoffnungslosen Lage und der Gedanke stieg in seiner Seele auf: Es sei besser, alle Qual und alle Not rasch dadurch zu enden, daß er mit seinen Lieben freiwillig in den Tod ging.

Der letzte Verzweiflungskampf im Fort Jackson war nicht ohne Nachwirkung auf seine Seele geblieben.

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Johnson war wie immer still in sein Schicksal ergeben, obgleich er, seit ihm der Mörder vom Kalamazoo bekannt geworden war, eine düstere Stimmung zeigte und sein Antlitz oftmals einer finsteren Wolke glich, welche Verderben in ihrem Schoße birgt.

Athoree, dessen bronzene Gesichtszüge nichts von seinen Gedanken verrieten, stand ruhig in der Nähe des Eingangs und lauschte. Heinrichs Auge ruhte besorgt auf dem Angesicht seines Herrn und nur Michael schien seine gewöhnliche weichherzige Stimmung nicht verloren zu haben.

Er unterbrach auch zuerst das Schweigen mit der Frage: »Werden wir wieder eine Schlacht gegen diese wilden Menschen liefern müssen, Euer Gnaden?«

Der Graf richtete den gesenkten Kopf empor und sagte: »Ich fürchte, es wird nötig sein, Michael.«

»Nun,« meinte gelassen der Ire, »hat meiner Mutter Sohn sich jetzt so oft mit dem Gesindel herumgeschlagen, so soll es mir jetzt auch nicht darauf ankommen. Werden ihnen schon heimleuchten, Euer Gnaden, und die Lady wieder zu Christenmenschen bringen.«

»Mögest du ein guter Prophet sein.«

Obgleich der Eingang der so glücklich und zur rechten Zeit sich darbietenden Höhle von feindlichen Kugeln bestrichen, ja von den Felsen gegenüber auch in deren Inneres gefeuert werden konnte, waren die Insassen derselben doch vor den feindlichen Geschossen geschützt, solange sie sich vom Eingang fern hielten, wenn ihnen auch von den Innenwänden zurückprallende Kugeln Gefahr bringen konnten.

Heinrich machte den Grafen darauf aufmerksam und Luise wurde mit ihrem Kinde an eine Stelle der Höhle geführt, welche auch rikoschettierende Kugeln kaum erreichen konnten.

Da einzelne größere, von den Felswänden abgebröckelte Steine in dem Raume umherlagen, machte er sich mit Johnson daran, einige derselben in den Eingang zu wälzen, so daß wenigstens ein Schütze dahinter liegen konnte.

In dieser Tätigkeit störte sie eine Stimme, welche, wie es schien, aus ziemlicher Nähe erklang. Hoch horchten alle auf.

»Hört mich der weiße Mann reden?« ließ sich die Stimme in englischer Sprache vernehmen. »Der Häuptling der Saulteux spricht mit ihm.«

Edgar trat nahe an den Eingang und antwortete: »Ich höre dich.«

»Der weiße Mann hat den Liebling der Saulteux mit sich genommen, meine Tochter Ni-hi-tha, er wird sie uns zurückgeben und dann in Frieden seines Weges gehen.«

»Nein, Häuptling, das kann nimmer geschehen. Deine Ni-hi-tha ist meine Schwester, sie gehört zu mir, zu ihrem Vater und zu ihrem Volke, sie wird mit mir gehen. Ich habe Geschenke für dich mitgebracht und sie liegen in der Höhle, in der Nähe deines Dorfes. Nimm sie, und ist es nicht genug, will ich dir noch mehr geben, so viel, bis du zufrieden bist, aber laß mir die Schwester, die ich so lange vergebens gesucht habe.«

»Der weiße Mann mag seine Geschenke behalten, Ni-hi-tha muß wieder zu uns zurückkehren.«

»Nimmermehr.«

»Wie will der weiße Mann sie davonführen? Er hat nur einen schmalen Pfad, um darauf zu gehen, und den bewachen meine Krieger. Niemand kann die Höhle verlassen, ohne unter den Kugeln meiner jungen Leute zu fallen.«

»Ich habe nur genommen, was mein ist, Indianer. Ich wünsche in Frieden von dir und deinem Volke zu scheiden, und will euch reich belohnen für die Güte, mit welcher ihr meine arme Schwester behandelt habt. Zu euch zurückkehren kann sie nicht, eher sterbe ich mit ihr gemeinsam in den Fluten dieses Sees.«

Aus dem Ton, in dem er diese letzten Worte sagte, klang die ganze Verzweiflung, aber auch die ganze Entschlossenheit seiner Seele.

Es erfolgte nicht gleich eine Antwort hierauf. Dann aber ließ sich dieselbe Stimme wieder vernehmen: »Hört mich Ni-hi-tha, meine Tochter?«

»Ja, Häuptling,« erwiderte diese freundlich und trat ebenfalls zum Eingang, »Ni-hi-tha hört dich.«

»Will das Kind nicht zu seinem Vater kommen?« Es war der bejahrte erste Häuptling der Saulteux, welcher sprach, derselbe, der zuerst die Flucht entdeckt hatte. »Ni-hi-tha weiß, daß die Saulteux sie lieben. Sie haben ihr immer das Beste gegeben, was sie hatten, und wenn im Winter der Hunger in den Wigwams herrschte, war ihre Hütte voll Wildbret.«

»Du bist ein guter Mann, Tugensik.«

»Warum will die Tochter der Saulteux nicht zu ihnen zurückkehren? Warum ist sie überhaupt von ihnen gegangen?«

»Ich mußte gehen, Häuptling, denn mein Mann wünscht es, er ließ mich rufen, und ich bin auf dem Wege zu ihm. Ich kann nicht zu dir kommen, denn Walther erwartet mich.« [433]

Wiederum herrschte draußen Schweigen, dann sagte dieselbe Stimme: »Und will der kleine Wila nicht zu seinen roten Freunden kommen, sie lieben ihn alle, denn er hat das Herz eines Saulteux.«

»Nein, Häuptling,« antwortete des Knaben helle Kinderstimme im Indianerdialekt, »Wila will zu den Leuten seines Stammes gehen, er hat das Herz eines Deutschen und nicht das eines Saulteux.«