158681.fb2
Er blickte um sich und sah die reinlichen Blockhäuser und Hütten der Halbwilden, deren Gast er war. Schon erwachte im Dorfe das tägliche Treiben. [441]
Frauen und Mädchen erschienen im Freien, schöpften Wasser am Bach und zündeten Feuer an.
Aus der Hütte, in welche seine Schwester gebettet war, trat Frau Sumach, welche man ihr zur Pflegerin gegeben hatte.
Eilends schritt der Graf auf sie zu.
»Meine Schwester, Sumach?« »Sie ganz wohl - Augen auf.«
»Ich will sie sehen.«
Er trat in die Hütte ein.
Auf dem von Fellen bereiteten Lager saß Luise und schaute ihn mit den großen schönen Augen aufmerksam, wie es schien, an.
Beim Anblick seiner Züge mochte ihr eine Erinnerung aufdämmern - sie sah sich ängstlich um und rief: »Willy! Willy!«
Der Knabe lag am andern Ende der Hütte und schlief.
Edgar weckte ihn.
»Willy! Willy!«
»Hier, Mama!«
Er eilte zu ihr, sie schloß ihn mit zärtlicher Besorgnis in die Arme und blickte ihn an.
»Willy! Mein Willy!«
Dann legte sie die Hand an die Stirne und schien nachzudenken.
»Sind sie fort?« fragte sie dann und sah scheu um sich. »Sind sie fort?«
»Wer, Mama?«
»Die Wilden.«
»Ja, weit fort.«
»O, das furchtbare Geschrei. Sie sind fort, ja, sie sind fort. Wo ist denn -« Ihr Auge suchte umher und blieb auf Edgar haften.
»Luise, meine teure Schwester.«
»Schwester? Schwester? Ja, den kleinen hübschen Bruder - wo war das doch?« Sie sann eifrig nach.
Dann rief sie wieder ängstlich: »Willy!« und schloß von neuem den Knaben an ihre Brust.
»Wo ist denn nur -?« und der Blick wanderte fragend durch die Hütte.
Dann verlor sie sich in Sinnen und sah starr und regungslos vor sich hin. Sie antwortete auf keine Frage, und Trauer im Herzen entfernte sich Edgar.
Draußen stand Heinrich, und sein betrübter Blick begegnete dem des Grafen. [442]
»Ja, Heinrich,« antwortete dieser der stummen Frage, welche in dem Auge des treuen Mannes lag, »es ist sehr traurig, ich fürchte, dieser Geist ist für immer entflohen.«
»Wie entsetzlich für uns alle. Ich wollte mit Freuden unter hundert dieser heulenden Bluthunde stürzen und mich von ihnen in Stücke hacken lassen, wenn ich Gräfin Luise die Gesundheit wiedergeben könnte.«
»Ich weiß es, Heinrich.« Er drückte dem Jäger warm die Hand. »Unsre arme Luise, die holdeste Menschenblüte, welche je unserm Stamm entsprossen war, so wiederzufinden, ja, Heinrich, es ist entsetzlich.«
»Und der junge Herr?«
»O,« sagte fast durch Tränen lächelnd der Graf, »unser junger Halbindianer, ist er nicht ein prächtiger Junge?« »Ein kluger, mutiger Knabe, Herr. Mich wundert, daß er, so jung unter diese Wilden geraten, sich so viel Deutsch noch bewahrt hat.«
»Er ist wohl wenig von der Seite der Mutter gekommen, in deren Umgang er es gepflegt hat, auch ist Willy aufgeweckt und bewahrt deutliche Erinnerungen an die Vergangenheit.«
»Er wird ein Mann werden, Herr Graf, er hat sich mit staunenswerter Ruhe auf unserm gefährlichen Marsch benommen.«
»Ich hoffe es auch. Er ist reif über seine Jahre und hat unter den roten Leuten wohl eine harte Schule durchgemacht.«
Indem kam Wilhelm aus dem Wigwam und sprang auf Edgar zu.
»Und die Mutter, Willy?«
»Sie sitzt auf ihrem Lager und blickt still vor sich hin. O Onkel, diese verwünschten Saulteux mit ihrem wilden Geheule haben Mama ganz krank gemacht.«
»Und doch sind sie, wie du sagtest, gütig gegen euch gewesen?«
»Das sind sie; sie haben Mama sehr geliebt, und auch gegen mich waren sie gut. Die Häuptlinge lehrten mich den Bogen führen, und ich sollte einst auch ein Häuptling werden.«
»Und wolltest du's?«
»O nein. Ich dachte immer an die weißen Leute und an den armen Vater und betete jeden Abend, daß doch jemand kommen möge, der uns wieder in die Ansiedlungen führte. Nun bist du endlich gekommen. Einmal war ein weißer Mann im Dorfe und da mußte ich im Wigwam bleiben. Ich kletterte aber auf die Felswand hinauf und habe ihn gesehen, ich rief ihn auch, aber er hat es nicht gehört, und da habe ich sehr geweint.«
»Und sprachst du oft mit der Mama?« [443]
»Sie sprach immer nur vom Vater, und nähte für ihn, und kochte, und war betrübt, wenn er nicht kam. Dann aber war sie wieder vergnügt und sagte: >Nun, er kommt morgen.< Abends ließ sie mich beten. O, ich habe so oft Tränen vergossen, wenn Mama sich auf gar nichts mehr besinnen konnte, was früher gewesen war, wie wir glücklich am Manistee wohnten, ehe diese roten Hunde kamen.«
»Entsinnst du dich eines Mannes Namens Baring?«
Der Knabe lachte vergnügt: »O, der good old man, der Onkel Baring - o ja, o ja -kennst du ihn?«
Edgar teilte ihm mit, daß er von diesem zuerst Nachrichten von ihm und seiner Mutter empfangen habe.
»O, wie hatten sie Mama lieb. Mister und Mistreß Baring - alle - alle. Du bringst uns doch wieder in die Ansiedlungen, Onkel?«
»Ich nehme euch mit nach Deutschland zum Großvater.«