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»O ja, mein Kind, er sehnt sich sehr nach euch, nach der Mama und dir.«
»Gut, Onkel, und dann werde ich ein weißer Krieger, nicht? Kein Indianer.«
»Ja, Willy, du sollst ein Krieger werden in den Reihen unsrer Armee.«
»Bist du ein Farmer oder ein Krieger?« »Ein Krieger!«
»Gut, dann lehrst du mich fechten nach weißer Männer Art, und dann,« setzte er mit funkelnden Augen hinzu, »sollen die Ottawas Skalpe lassen.«
»Das ist nicht weißer Männer Art, Willy.«
»Nicht? Die Saulteux sagen: Kein Sieg über den Feind sei vollkommen, wenn man nicht seinen Skalp gewänne. Sie nehmen ihn immer.«
»Nun, du wirst bald einsehen, daß indianischer Brauch sich nicht für uns eignet.«
»Ich will ganz tun, wie du sagst, Onkel, damit ich ganz wie du werde.«
Unter diesen Gesprächen schritten sie durch das Dorf.
Unweit desselben saß Athoree auf dem Stamm eines gefallenen Baumes. Edgar ging auf ihn zu und begrüßte ihn.
Die schon früher dem Grafen gegenüber ausgesprochene Vermutung, daß der Indianer im Unfrieden mit seinem Stamm lebte, war gestern zur Gewißheit geworden. Was die Ursache sei, welcher [444]
Art das vielleicht vorauszusetzende Vergehen Athorees war, wußte der Graf nicht.
Der Mann, den er am Muskegon als Trinker kennen lernte, hatte sich so treu, tapfer und zuverlässig benommen, daß der Graf ihm mit aufrichtiger Dankbarkeit ergeben war.
Wie aus dem ganzen Verhalten der Huronen hervorging, mußte der Zwiespalt zwischen ihnen und Athoree ein sehr tiefer sein, da selbst dessen aufopfernde Tätigkeit in dem Kampfe mit den Saulteux, welche allein die Huronen vor einer Niederlage bewahrte, ihn nicht beizulegen vermocht hatte.
Dennoch vermochte der Graf nicht zu glauben, daß hier etwas zu Grunde läge, was den Indianer seiner Teilnahme unwürdig mache.
Athoree saß ruhig und ernsthaft da und erwiderte den Gruß.
»Der Wyandothäuptling wird heute vor den Vätern seines Volkes erscheinen?« begann Edgar die Unterredung.
»So geschieht es.«
»Athoree wird sich entsinnen, daß er an Gutherz einen treuen Freund besitzt, und ihn rufen, wenn er ihn braucht.«
Der Indianer schwieg.
»Ist Athoree nicht mehr mein Freund?«
»Er ist dein Freund.«
»Was kann ich für ihn tun?«
»Kann das Bleichgesicht das Totenlied für den befiederten Pfeil der Wyandots singen?«
»Nein, Athoree, das werde ich nicht können, ob ich gleich die Taten, welche du unter meinen Augen vollbracht hast, in treuem und dankbarem Gedächtnis bewahre. Will der tapfere Häuptling dieses Volkes, der noch jüngst in seinen Reihen wie ein Held gekämpft hat, sterben, daß er von seinem Totenliede spricht? Ich denke, er wird noch lange leben, um eine Zierde der Wyandots zu sein.«
Der Indianer richtete den Blick in die Ferne und wandte ihn dann auf den Grafen zurück.
»Athoree war einst der Stolz seines Stammes, er ist es nicht mehr - er ist dem Tomahawk der Häuptlinge verfallen - weil er -. Athoree wußte es, als er mit dir über das Wasser ging, daß der Totenvogel ob seinen Häupten schwebte.«
»Und kann sein Freund Gutherz nichts tun, ihn zu verscheuchen?«
»Nichts. Es ist gut so. Drei Sommer und drei Winter habe ich unter den Blaßgesichtern gelebt und mit Rum die bösen Geister verscheucht, die meine Seele quälten. Dann kamst du und warst
[445] freundlich gegen den betrunkenen Indianer, den du zum erstenmal gesehen. Ich sah dich an am hellen Tage und las auf deiner Stirn das Zeichen des guten Geistes. Als du mich batest, mit dir nach Norden zu gehen, ging ich mit dir. Manitou sandte mich dorthin, denn ich fand Sumach, die alte Mutter.
»Dann fragtest du, ob ich dich hierher führen wolle, und mein Herz war wie ein schwankendes Rohr, denn ich fürchtete, hierherzugehen, und wünschte doch, hier an deiner Seite zu sein, denn ich liebte dich. Ich rief zu Manitou, er solle die Wolke von meinem Geiste nehmen, damit mein Auge klar blicke. Manitou schwieg. Sumach befragte die Medizin in der Nacht, und diese sagte, der befiederte Pfeil der Wyandots wird ruhmvoll zu seinen Vätern in die glücklichen Jagdgründe gehen. Ich ging zu dem Lande meiner Väter, ob auch des Totenvogels Flügelschlag über mir rauschte -ich bin da. Athoree wird sterben - und es ist gut.«
Der Graf war von seinem ernsten, gehaltenen Benehmen, von dieser Ergebung in ein, wie es schien, unvermeidliches Schicksal, bewegt, denn er fühlte aufrichtige Teilnahme für diesen roten, halbwilden Mann, der so tapfer seine Gefahren geteilt, der ihm solch große Dienste geleistet hatte.
Einen Augenblick trat selbst das Bild der Schwester in den Hintergrund.
»Und will Athoree einem Freunde nicht mitteilen, einem Freunde, dem er hierher gefolgt ist, welche Gefahren ihn bedrohen? Mein Ohr und mein Herz sind offen, um dich zu hören, und ich bin bereit, an deiner Seite zu stehen, wie du an der meinigen gestanden hast, als auch ob meinem Haupte der Todesbote schwebte.«
»Athoree kann nicht reden, Gutherz wird es hören, und dann vielleicht nicht mehr der Freund des roten Mannes sein.«
»Magst du getan haben, was du willst, ich werde dein Freund bleiben, und kann ich dir helfen, so rechne fest auf mich.«
Der Indianer reichte ihm mit dem Ausdrucke der Dankbarkeit die Hand.
»Jetzt gehen, Gutherz, nicht viel Zeit mehr, mit Sumach reden.«
In der Tat nahte diese und setzte sich neben ihren Sohn.
Der Graf, seinen Neffen an der Hand, welcher stumm und aufmerksam der Unterredung gelauscht hatte, entfernte sich, die beiden allein lassend.
»Warum will der Mann sterben?« fragte der Knabe, der den Inhalt der englisch geführten Unterredung im wesentlichen begriffen hatte.
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»Ich weiß es nicht, Willy, es muß ein dunkler Punkt in seiner Vergangenheit vorhanden sein, welcher ihn so ernstlich mit seinen Stammesgenossen entzweit, daß er den Tod von ihrer Hand zu fürchten scheint. Ich bedaure das sehr, denn Athoree hat sich als unser Freund erwiesen.«
»So wollen wir ihm helfen, Onkel.«
»Ich möchte es gern, wenn ich nur erst wüßte, auf welche Weise.«
Hayesta, der erste Häuptling dieses Teiles der Huronen, kam heran und begrüßte den Grafen.
»Ich hoffe, unser Gast fühlt sich wohl unter den Huronen. Er ist als Freund gern gesehen unter meinem Volke.«
»Ich bin dir dankbar, daß ich Zuflucht bei dir gefunden habe, Häuptling, und so wohl ich mich auch unter euch fühlen mag, so sehne ich doch den Augenblick herbei, wo der Zustand meiner Schwester erlaubt, den Weg zu den Wigwams meines Volkes anzutreten.«