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Vor aller Augen, der unten Weilenden, wie der von drei Seiten jetzt ansteigenden Verfolger, kletterte Morris in wilder Todesangst diesen Felskegel hinan.
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Athoree wollte schießen, aber Johnson sagte: »Nicht feuern, er soll unter diesen Händen langsam sterben.«
Ein todbringender Haß lag in seinem Auge, in seinen Zügen.
Athoree ließ die Büchse sinken.
Die Indianer und der Konstabel waren nicht in Schußnähe, und der Mörder erreichte den Gipfel, wo er sich niederlegte und nicht mehr sichtbar war.
Ein höhnisches Lachen tönte von oben herab: »Kommt an, holt mich, verd-te Schurken.«
Eine wilde Verzweiflung klang hindurch.
Jetzt nahten auch von beiden Seiten der Konstabel mit den Wilsons und die Huro-nen. Johnson schickte sich an, den Felsen, auf welchem Morris lag, zu erklimmen.
»Johnson, es ist Euer Tod!« rief der atemlos herbeieilende Konstabel.
»Dann gibt es keinen Gott,« sagte dieser und schritt weiter aufwärts.
Nach einigen Schritten wandte er sich und sagte: »Keiner schieße, ich will ihn lebendig haben.«
Johnson bot in seinem schweigenden Zorn, in der finstern Energie, welche auf seinen Zügen lagerte, den funkelnden Augen das verkörperte Bild der Rache. Ein Windstoß hatte ihm die Kopfbedeckung abgerissen, und wild flatterten das schneeweiße Haar und der lange Bart in dem scharfen Luftzuge.
In hoher Aufregung harrten unten Edgar und sein Begleiter, welche Johnson deutlich erblickt hatten, wie er aufwärts stieg.
Schweigend standen oben die Männer, die Büchsen in der Hand.
Weiter stieg Johnson.
»Schießen wir ihm die Büchse weg, wenn er sie sehen läßt!« rief der Konstabel.
Da krachte von oben schon ein Schuß, die Kugel schlug neben Johnson an den Felsen.
Unaufhaltsam gleich dem ehernen Schicksal schritt der Mann weiter empor. Höher und höher.
Der steile Fels zwang ihn, rechts zu gehen, und als er um eine Felswand bog, sah er einen Spalt vor sich, der zum Gipfel führte, und oben mit verzerrten Zügen aufrechtstehend die Gestalt des Mörders seiner Lieben, die eben geladene Büchse in der Hand.
»Schieß, Mörder vom Kalamazoo! Die Geister meines Weibes, meiner Kinder schweben um mein Haupt!«
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Morris bebte, so daß die angelegte Büchse wie ein Grashalm im Winde schwankte.
Weiter stieg Johnson. Fünf Schritt vor dem Verfolgten blieb er stehen, hob die Rechte und rief: »Ich will dein Herz haben, Mörder, noch zuckend will ich es aus deiner Brust reißen!«
Der zitternde und totenbleich aussehende Verbrecher drückte ab - die Büchse versagte.
Schon nahte ihm die schreckliche Gestalt Johnsons, furchtbar anzuschauen.
Ein weithin hallender Entsetzensschrei entfuhr des Mörders Munde, er sprang zurück, ein zweiter gellender Schrei, und er stürzte rücklings in den Abgrund, auf einen Felsen aufschlagend, so daß sein zerschmetterter Körper in weitem Bogen in die grausige Tiefe flog.
Johnson stand oben, umflattert von dem weißen Haar, und sah die Leiche noch tief unten verschwinden.
Dann sagte er leise: »Gott hat gerichtet.«
Er stand noch einen Augenblick dort oben still, blickte nach unten und dann zum Himmel auf. Dann stieg er wieder herab.
Athoree und der Konstabel hatten Morris fallen sehen und seinen letzten Verzweiflungsschrei gehört.
Edgar und die andern unten atmeten erleichtert auf, als sie Johnson herabklettern sahen.
Mit tiefernstem, doch ruhigem Gesicht erschien er am Fuße des Felsens.
»Mein Weib und meine Kinder sind gerächt, er fuhr dahin in seinen Sünden.«
Schweigend stiegen alle abwärts.
Auf dem kleinen Felsplateu fanden sie die Leiche des »Iltis«.
Auch er war in seinen Sünden gestorben.
Unten berichtete man dem Grafen die Vorgänge in den Felsen.
»Ganz Michigan wird aufatmen, wenn es dies erfährt,« sagte der Konstabel.
Schweigend setzten sie dann gemeinsam ihren Weg nach dem Fort fort.
Der Konstabel schloß sich an, seine Mission war erfüllt, die Verbrecher waren getilgt aus der Reihe der Lebenden, Gottes Gerechtigkeit hatte sie ereilt.
Mit großer Herzlichkeit wurden Edgar und seine Schwester in Fort Mulder von dem Kommandanten und seiner Frau empfangen, die mit wachsendem Staunen der seltsamen Kunde lauschten, welche sie aus des Grafen Munde vernahmen. Daß die Verlorene gefunden war, wußten sie ja bereits, aber nicht die näheren Umstände, unter welchen es geschehen war; mit der innigsten Teilnahme erfuhren sie, in welchem Zustande des Geistes sich Luise befand.
Die Gattin des Kommandanten, eine ältere Dame, schloß sie mit mütterlicher Zärtlichkeit an ihr Herz.
Seit drei Jahren war es das erste Mal, daß Luise ein europäisches Heim betrat und einer Dame begegnete.
Augenscheinlich machte das einen gewaltigen Eindruck auf sie.
Der Gegensatz zwischen ihrer bisherigen Umgebung und der jetzigen war ein gar großer.
Während sie bei der Begrüßung sich durchaus als Weltdame benahm, der eine Störung des Geistes nicht anzumerken war, und sich im Austausch von Höflichkeiten wie in alten Zeiten erging, faßte sie, während sie neben der Frau des Kommandanten auf dem Sofa saß, mehrmals mit verzweifelter Gebärde mit beiden Händen nach dem Kopfe und schaute mit angstvollen Blicken um sich. Doch hielt das nicht lange an, sie beruhigte sich bald wieder.
Notiz wurde hiervon nicht genommen, sie ward ganz als geistig normale Erscheinung behandelt.
Man unterhielt sich mit ihr über gleichgültige Gegenstände, worauf sie auch in durchaus passender Weise einging.