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Mit großen Augen starrte sie sie an und sagte leise: »Mistreß Baring - Mister Baring
-«
Einen Moment hielt sie inne - wechselnde Gefühle fanden ihren Ausdruck in den belebten Zügen, Erstaunen - Freude - Schreck - dann - in einen leidenschaftlichen Tränenstrom ausbrechend - sank sie vom Pferde in die sie auffangenden Arme beider und lag schluchzend an der Brust der Frau.
Der Alte, der nur mit Mühe seine Tränen zurückgehalten hatte, weinte jetzt laut, seine Frau, die Mädchen, tiefbewegt, nicht minder. Wer, der menschlich fühlte, hätte sich bei diesem Wiedersehen der Tränen enthalten können? Nicht einer hatte trockene Augen, und Michael wischte mit dem Zipfel seiner Jacke energisch die großen Tropfen fort, welche über seine Wangen herabrollten.
Man hörte eine Weile nur Schluchzen. Von allen zuerst bezwang Luise ihre Tränen, so mächtig ausbrechend sich der Strom ergossen hatte.
Sie richtete das Haupt empor und sah in Mistreß Barings feuchtes Auge, richtete ihren Blick auf den ehrlichen, rauhen, inniggerührten Alten und sagte kaum vernehmbar: »Jetzt weiß ich alles. Mein Walther, mein armer, armer Walther.«
Nach einer Weile fragte sie: »Wie lange ist es her, Mistreß Baring?«
»Es sind drei Jahre vergangen, Lady Walther,« schluchzte diese.
»Drei Jahre? Drei Jahre? Drei Jahre des Traumes. - Ich bin erwacht - ich weiß jetzt alles - ich sehe es, als ob es gestern gewesen wäre. Armer, teurer Walther.«
Mistreß Baring führte sie ins Haus, wo Luise in einen Sessel sank und mit den Händen das Gesicht verhüllte.
Große Tropfen brachen sich hier durch die zarten Finger Bahn, aber es war nicht der krampfhafte Ausbruch, der sie draußen erschüttert hatte, sanfter ergoß sich das lindernde Naß.
Wilhelm stand neben der weinenden Mutter.
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Diese ließ die Hände endlich sinken, richtete den durch Tränen verschleierten Blick auf das Kind und sagte: »Du bist mir geblieben, sein Abbild, als teuerstes Vermächtnis.«
Sie hob die Augen empor und sie hafteten lange auf dem Grafen.
Dann streckte sie ihm die Hand entgegen: »Edgar, mein Bruder.«
Mit einem Freudenschrei stürzte dieser auf sie zu: »Endlich, endlich - Luise. Luise, meine teure, so lang gesuchte Schwester.«
Lange hielten sie sich schweigend umarmt.
»Es wird zuviel, ich muß allein sein,« sagte Luise.
Mistreß Baring führte sie zu dem für sie bereiteten Zimmer, wo sie sich niederlegte.
»Ist unsre Lady Walther, Fremder, wird gesund werden. Ist ein Fakt.«
Hocherregt, aber in freudiger Hoffnung ging Edgar mit dem Alten ins Freie, dem er nun alle seine Erlebnisse mitteilte.
Kaum hatte er seinen langen Bericht vollendet, als ein Herr mit zwei Damen in das Gehöft ritt, in deren einer Edgar zu seiner höchsten Ueberraschung mit tiefbewegtem Herzen Frances Schuyler erkannte.
Es war Mister Myers von Lansing mit seiner Tochter und Frances.
»Ja,« lachte vergnügt der alte Herr, »macht nur Augen, Herr Graf, ist Ned Myers in Person. Mußte doch den seltsamsten Briefschreiber im ganzen alten Mich besuchen, ist der alte Bär dort mein Jugendfreund, und tut den Mädchen gut, einmal echte Waldluft zu atmen. Sind deshalb an den Muskegon gekommen. Freue mich, Euch zu sehen. Nun, wie steht's, Alter, wie steht's?« fragte er dann, denn er war von allem unterrichtet.
»Denke gut, Ned, hat die Natur einen Ruck bekommen. Denke, gut steht's.«
Indem trat Mistreß Baring aus dem Hause.
»Nun, alte Frau?«
»Sie schläft. Pst!«
»Gut so.«
Edgar begrüßte Miß Myers und dann Frances.
»Welch seltene Freude, Miß Schuyler, Sie so unerwartet wiederzusehen.«
Ihr ernstes Auge ruhte mit einem innigen Ausdruck auf seinem Antlitz, das jetzt hohes Glück widerspiegelte, begegnete seinem Blick, der eine Welt stürmender Gefühle verriet. [487]
Sie gab ihm die Hand, während ein leichtes Rot in ihre Wangen stieg.
»Ich freue mich, Herr Graf, Sie wiederzusehen.«
Alle Gastfreundschaft, welche Barings Haus bieten konnte, wurde nun dem Grafen und seinen Begleitern zu teil; und eine glückliche, hoffnungsvolle Stimmung beherrschte alle Bewohner desselben.
Luise schlief bis zum nächsten Morgen. Dann erwachte sie mit vollständig klarem Geiste.
Nachdem sie Mistreß Baring zu sich bitten lassen und mit ihr gesprochen, ließ sie Edgar rufen, mit dem sie eine lange Unterredung hatte.
Die Wolke, welche so lange ihr Haupt umhüllt und ihr Seelenleben in Banden gehalten hatte, war geschwunden, deutlich stand wieder die Vergangenheit vor ihrem Geiste.
Luise war genesen.
Die jetzt ruhigere Trauer ihres Herzens um verlorenes Glück wurde gemildert durch die Anwesenheit des Bruders, des Kindes, wie der guten Barings.
Edgar besuchte die Freunde in der Umgebung, vor allem Grover.
Mit Verwunderung hörten alle von seinen Erlebnissen, und Grover äußerte: »Habe es Euch gleich gesagt, Fremder. Ist Joe Baring der richtige Mann für Euch - he? Ist ein Fakt, war der richtige Mann.«
Nach etwa vierzehn Tagen schickte sich Edgar mit den Seinen zur Abreise an, unter den herzlichen Segenswünschen aller verließ er Barings gastliches Heim. Michael, den künftigen Gutsbesitzer in Leitrim, nahm er mit. Johnsons Zukunft war geordnet, er übersiedelte nach dem Muskegon.
Im Parke zu Schloß Elm saß der greise Graf, in Decken eingehüllt, in seinem Rollstuhl.
Zu seinen Füßen warf sich sein verstoßenes, so lang entbehrtes Kind.
Es war der letzte Glücksstrahl in seinem Leben, denn bald war er in die Gruft seiner Väter gebettet, seine Luise hatte seine letzten Seufzer empfangen, er starb in ihren Armen.
Noch heute waltet Graf Edgar, der dem Dienst entsagte, als Gutsherr in Schloß Elm und an seiner Seite seine geliebte Gattin, einst Frances Schuyler. Ein guter Genius aller Armen und [488]
Bedrückten ist des Grafen Schwester, Frau Walther, deren Trauer um den geliebten Toten in sanfte Wehmut übergegangen ist, mit welcher sie seiner gedenkt.