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»Was gibt's?« fragte leise der durch die« Bewegung des Indianers beunruhigte Graf. »Pst!« flüsterte Athoree zurück. »Mann im Walde.«
Heinrich und der Graf griffen auch nach ihren Waffen.
»Indianer, Athoree?«
»Weißer Mann. Er kommen.«
So saßen sie lauschend, die Büchsen in der Hand, während Michael erstaunt um sich sah.
Jetzt hörten auch Graf Edgar und Heinrich einen leichten Schritt nahen.
Aller Augen richteten sich dahin, woher die Laute kamen; der Indianer hatte den Hahn seiner Büchse aufgezogen.
Nach kurzem atemlosem Harren öffneten sich die Büsche und heraus trat ruhig ein Mann in den Schein des Feuers, der nicht ohne Erstaunen die um dasselbe gelagerte Gruppe betrachtete. Der Mann trug das landesübliche Jagdhemd und stand, eine hohe Gestalt, auf seine Büchse gelehnt, da. Die Augen der Lagernden begegneten den seinen. Der Mann war eine auffallende Erscheinung; unter einer kleinen Fellmütze wallte schneeweißes Haar hernieder, der ziemlich lange Bart zeigte dieselbe ehrwürdige Farbe, und die Gesichtszüge waren bleicher, als sonst Wind und Wetter im Walde zu gestatten pflegen, doch ließen das blitzende Auge, die kräftige, elastische Haltung nicht auf das Alter schließen, dem schneeiges Haar eigen ist.
»Ich bin erstaunt, Fremde, euch hier zu sehen, wo selten der Fuß eines weißen Mannes den Boden tritt,« sagte der Mann.
»Kommt näher zum Feuer, Freund,« entgegnete ihm der Graf, dem das Aeußere des Fremden jegliche Besorgnis verscheuchte, »und Laßt Euch nieder, wenn Ihr unsre Gesellschaft nicht verschmäht.« Der Mann kam näher, und genauere Betrachtung seines Aeußern bestätigte nur die ersten flüchtigen Wahrnehmungen. Er ließ sich ruhig am Feuer nieder und sah jeden der Anwesenden einzeln und aufmerksam an. Diese ließen sich das schweigend gefallen.
Dann ließ der Mann seine Augen auf dem Grafen haften und fragte: »Was tut Ihr hier im Lande der roten Männer, Fremder?«
»Wir gedenken den Ottawas einen Besuch abzustatten, Mann, und reisen deshalb friedlich im Lande einher.«
Der Mann sah hierauf Athoree an. »Bist du ein Ottawa, Indianer?«
»Warum du fragen?«
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»Ich sehe nichts an dir,« und er musterte aufmerksam Athoree von Kopf zu Füßen, »was auf einen Ottawa schließen ließe.«
»Und wenn nicht Ottawa, was dann?«
»Dann würde ich um diese Fremden beruhigter sein.«
»Verstehe ich den Sinn Ihrer Worte, Herr,« nahm der Graf das Wort, »so trauen Sie den Ottawas keine freundlichen Gesinnungen gegen uns zu.«
Der Mann antwortete nicht und richtete seine Worte wieder an Athoree: »Wo führst du die Fremden hin?«
»Viel fragen. Erst wissen, warum fragen, dann vielleicht antworten. Erst wissen, wer du bist.«
Der Weißhaarige wandte sich dann wieder an Edgar: »Wie ich aus Ihrer Aussprache des Englischen vernehme, sind Sie ein Deutscher, Sir?«
»So ist es.«
»Wollen Sie Handel mit den Indianern treiben, daß Sie ein Saumtier mit sich führen?«
»Werter Herr,« entgegnete ihm der Graf, »Sie entwickeln eine ja sehr wohltuende Wißbegierde, aber ich bin ganz der Meinung meines indianischen Begleiters, erst zu wissen, wen ich vor mir habe und aus welchem Grunde Ihre Fragen gestellt werden.«
»Hm,« sagte der Fremde, »Sie sind mißtrauisch, kalkuliere, ist recht so bei Begegnungen im Urwald, besonders im Indianergebiet. Lebe seit mehreren Jahren einige Meilen von hier und ernähre mich wesentlich mit der Jagd. Erblicke selten einen weißen Menschen, wenn ich nicht nach dem Fort gehe. Sah Ihr Feuer durch die Büsche, dachte, es seien Ottawas, kam erst näher, als ich Weiße um dasselbe sitzen sah.«
»Stehen Sie mit den Ottawas nicht auf gutem Fuße?«
»Doch, Sie gehen mir aus dem Wege, sie fürchten mich.«
»Sie fürchten Sie?«
»Ihr Aberglaube macht mich ihnen zu einem Schreckgespenst, sie behaupten, meines weißen Haares wegen, ich sei dem Grabe entstiegen und wandle ohne Berechtigung unter den Lebenden einher. Ganz unrecht haben sie nicht,« sagte er für sich, doch verstand es der Graf. »Sie dulden mich deshalb auf ihrem Gebiet und lassen mich unbelästigt, ob ich gleich hier weder wohnen noch jagen dürfte.«
Der Mann hatte etwas Unheimliches an sich.
»Die Ottawas nennen mich den >toten Mann< und scheuen mich. Das ist mein Verhältnis zu den roten Leuten hier.« [124]
Der Fremde sprach so ruhig, mit einer gewissen Milde, aber so, als ob er von einem andern als sich selbst spräche, und aus dem Gesicht, welches höchstens auf einen Mann von vierzig Jahren schließen ließ, sprach trotz des tiefen Ernstes, der darauf lagerte, etwas Gutes, welches den Eindruck des Unheimlichen wieder milderte.
»Ich stelle meine Fragen nicht aus müßiger Neugierde, Herr, sondern aus Teilnahme, denn ich sah bald, als ich mich heranschlich, daß ich, bis auf den roten Mann, Leute vor mir hatte, die des Landes unkundig sind.«
»Nun, fürchten Sie etwas für uns, Herr?« fragte nicht ohne Besorgnis der Graf.
»Fürchten? Wenn ich wüßte, daß der Mann dort ein Ottawa wäre, ja. Und wenn der Mann kein Ottawa ist, auch.«
»Der >tote Mann< fürchten nicht für sich?« fragte Athoree mit einem finstern Gesichtsausdruck.
»Für mich, Indianer?« und dann setzte er mit einem schmerzlichen Lächeln hinzu: »Ich habe auf dieser Welt nichts mehr zu fürchten, auch nicht deine finstern Blicke, Mann.«
»Sie werden mich sehr verpflichten, Sir, wenn Sie mir den Grund Ihrer Besorgnisse für unsre Sicherheit angeben wollten.«
»Wenn ich nur erst wüßte, was Sie, einen Deutschen, der, seinem Aeußern und besonders seinen wohlgepflegten Händen nach zu schließen, weder Landmann noch Kaufmann ist, hierherführt, so würde ich eher sagen können, welcher Gefahr Sie sich aussetzen.«
»Ich bin über Ihre Andeutungen, daß mich überhaupt Gefahr bedrohen könne, erstaunt und, ich gestehe es, auch beunruhigt. Ich habe auf dem Indianerdepartement in Lansing und vondem Agenten am Manistee auch nicht die mindeste Andeutung erhalten, daß, von einigem Raubgesindel abgesehen, gegen das man sich in diesen abgelegenen Gegenden überall selbst schützen muß, mir von den Indianern, welche ich aufzusuchen im Begriff bin, Unannehmlichkeiten bereitet werden könnten. Ich habe - um Sie in den Stand zu setzen, meine Lage zu beurteilen, teile ich es gerne mit - diese Reise angetreten, eine Privatangelegenheit mit dem Häuptling der Ottawas zu erledigen und überbringe ihm Geschenke.«
»Sie kommen also nicht im Auftrage der Regierung?«
»Keineswegs. Ich bin ein Fremder, ein Angehöriger des Deutschen Reiches.«
Nachdenklich schwieg der Mann mit dem weißen Haar und sagte dann: »Wenn Sie meinem Rate folgen wollen, begeben Sie sich [125] von hier nach Fort Jackson, es ist, wie auch die Dörfer der Ottawas, in zwei Tagemärschen zu erreichen. Unterhandeln Sie von dort aus mit Peschewa.«
»Aber warum befürchten Sie denn etwas für uns? Die Ottawas sollen doch, seit der blutigen Züchtigung, die ihnen vor drei Jahren zu teil wurde, eingeschüchtert und friedlich sein?«
»Ist der rote Mann dort ein Ottawa, Herr?«
Der Graf blickte auf Athoree und fragte ebenfalls: »Bist du ein Ottawa, Freund?«
»Nein,« sagte. Athoree kurz und scharf.
»Gut,« sagte der Fremde, »mein Bruder ist kein Ottawa, ich höre es. Ein Indianer,« sagte er zum Grafen, »wird sich unter Umständen für den Angehörigen eines andern Stammes ausgeben, aber nie seinen Stamm direkt verleugnen, er ist kein Ottawa. Sie haben also Zutrauen zu dem roten Mann?« setzte er fragend hinzu.