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Die Männer sannen einen Augenblick nach, erklärten aber dann, daß ihnen kein Deutscher des Namens vorgekommen sei.
Der Offizier, der mit Spannung die Antwort erwartet hatte, senkte den Kopf.
»Seid nicht traurig, Mann,« sagte der Wirt, »wollen morgen zu Joe Barina reiten, der kennt alle deutschen Farmer weit und breit, wird Euch schon auf die Spur helfen. Ist im alten Mich schon aufzufinden, wenn er noch lebt.«
»Gott möge es geben,« sagte der Offizier. »Und, ihr Herren, wenn ihr euch den Namen Walther merken und, sobald ihr etwas über sein Verbleiben in Erfahrung bringt, es hierher an unsern Wirt gelangen lassen wolltet, so würdet ihr einem greisen Vater die letzte und größte Freude seines Lebens bereiten. Mein Name ist Graf Bender, Premierleutnant in preußischen Diensten.«
»Soll geschehen, Mann,« entgegnete Steward, »wollen die Nachbarn nach dem Manne Walther befragen, und soll Grover wissen, wenn wir etwas von ihm hören, ist dann Eure Sache, es aus ihm herauszupumpen. Doch jetzt, Männer, ist es Zeit, in den Sattel zu steigen, denke ich.« Die Scene mit dem langen Raufbold hatte die Farmer, welche von einer Countyversammlung in Brook, der Hauptstadt der Grafschaft, kommend, hier, wo sich ihre Wege trennten, kurze Rast gehalten hatten, wesentlich ernüchtert, so daß sie fähig und bereit waren, heimzureiten; sie schickten sich alsbald zum Aufbruch an.
Steward, der älteste der Gesellschaft, trat auf den Grafen zu, streckte ihm die schwielige Hand hin und sagte: »Wollt Ihr bei Tom Steward einkehren, seid Ihr willkommen, Mann. Habt das Herz auf dem rechten Fleck, habt mir gefallen, Mann.« Damit schüttelte er ihm die Hand und ging hinaus. Gleiche Einladungen erließen noch mehrere der Farmer und alle schüttelten ihm die Hand. Draußen bestiegen die Männer die Pferde beim Schein eines lodernden Feuerbrandes und trabten in verschiedenen Richtungen in die Nacht hinaus, sich der Sicherheit ihrer für solche nächtlichen Ritte wohlgeschulten Pferde überlassend.
Grover, der Wirt, kam wieder hervor.
»Wollt Ihr schlafen, Fremder, will ich Euch hier das Lager machen - kann nicht mehr geben. Oben schlafen mein altes Weib und die Kinder, müßt fürlieb nehmen.«
»Bin in Frankreich nicht verwöhnt worden - bereitet uns das Lager, so gut Ihr vermögt.«
Der Wirt ging hinaus.
Der Indianer hatte seit dem Augenblick, wo er sich vom Boden aufgerafft hatte, ruhig und unbeachtet an der Wand gestanden.
Jetzt schritt er wankend auf den Offizier zu und schaute ihm mit auffälliger Aufmerksamkeit ins Gesicht.
Der Wirt kam indes in Begleitung seines Burschen wieder herein, Maisstroh und einige Felle mit sich bringend.
Den Indianer bemerkend, sagte er: »Ja, sieh dir den Herrn an, John, der hat dich heute abend vor einem argen Loch in deinem roten Fell gerettet.«
Der Indianer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und schritt schwerfällig hinaus.
»Schade um den Burschen,« sagte der Wirt, »er ist brauchbar genug für uns hier in den Wäldern, aber der Rum bringt ihn um.« Während er so sprach, war in einer Ecke des Raumes das einfache, aber weiche und warme Lager für die beiden Reisenden bereitet worden, der Wirt wünschte Gute Nacht und entfernte sich.
»Heinrich,« sagte der Offizier jetzt in deutscher Sprache zu seinem Begleiter, »meine Hoffnung, sie zu finden, schwindet mehr und mehr. Keiner von diesen Leuten, die hier aus dem Lande stammen, kennt auch nur Walthers Namen. In diesem Teile Michigans müssen sie also nicht gewohnt haben, trotzdem die Nachrichten dahin lauteten. Wir werden noch lange im Lande umherstreifen können, ehe wir ihre Spur finden.«
»Wir suchen so lange, Herr Graf, bis wir sie gefunden haben,« sagte der Angeredete einfach.
»Ja, wir wollen suchen - bis wir sie gefunden haben,« sagte mit einem Seufzer der Graf. Damit streckte er sich auf dem Lager aus. Sein Begleiter tat das Gleiche - und bald verkündeten die ruhigen Atemzüge, daß sie fest schliefen. Das Feuer im Kamin brannte nieder und ringsum herrschte schweigende Nacht.
Noch nicht lange war die Sonne über dem Horizonte erschienen, und sandte vom unbewölkten Himmel ihre wärmenden Strahlen zur Erde nieder, als die Türe des Blockhauses sich öffnete und Graf Edgar aus ihr ins Freie trat. Der junge Mann ließ sein Auge umherschweifen und erblickte nun klar im Tagesscheine, was nur verworren und kaum erkennbar sich gezeigt hatte, als er in später Abendstunde gestern hier anlangte. Dort lag die rauhe Straße, die er hergekommen war, hinter ihm das aus roh behauenen Blöcken aufgeführte und mit Schindeln bedeckte Blockhaus, welches ihn beherbergt hatte. Weiterhin zeigten sich Schuppen und Ställe, aus denen Laute drangen, welche die Anwesenheit von Schweinen und Kühen verrieten. Eine gute Strecke beackerten Landes zog sich um die Gebäude her, auf dessen Fläche noch vereinzelte dürre Bäume standen, welche umzuhauen und fortzuschaffen zu viel Arbeit gekostet haben würde. Diese verdorrten Bäume innerhalb der umgepflügten Felder sind eine charakteristische Eigentümlichkeit der jungen Ansiedlungen in den Wäldern Amerikas und geben diesen ein ganz absonderliches Gepräge. Statt sie zu fällen, »ringelt« man sie, wie der technische Ausdruck lautet, das ist, man schält an einer Stelle ringsum die Rinde ab, wodurch die Bäume absterben und endlich, freilich oft erst nach vielen Jahren, morsch zusammenfallen. Korn und Mais sproßten lustig im frischen Grün des jungen Jahres zwischen diesen abgestorbenen Baumriesen empor.
Der schweigende Wald, aus dem dann und wann der Ruf der Spottdrossel drang, grenzte das Bild überall ein. Des Grafen umschauender Blick bemerkte, daß sich hier zwei Straßen kreuzten, was wohl Veranlassung gewesen sein mochte, daß sein, wie es schien, Ackerbau und Handel treibender Wirt sich hier niedergelassen hatte.
Langsam schlenderte er dann durch die Felder, zwischen den dürren Bäumen hindurch, deren Aeste nackt und kahl schier unheimlich in die Lüfte ragten. Nicht weit war er gegangen, als er, eine kleine Erdanschwellung ersteigend, einen ziemlich breiten Fluß vor sich erblickte, der seine bräunlichen Fluten langsam zwischen bewaldeten Ufern hintrieb.
Zwei Boote lagen dort am Ufer befestigt, das eine nach europäischer Art gebaut, während das andre, aus Rinde gefertigt, wohl indianischen Ursprungs war, wie er dergleichen bereits am Ohio gesehen hatte.
Der schweigende Wald, der Fluß im Morgensonnenschein, der weit herab sichtbar war, die feierliche Stille ringsum verfehlten ihren Eindruck auf das Gemüt des jungen Mannes nicht, denn dieses Schweigen der Natur spricht beredter zu fühlendem Herzen als der wüste Lärm im Tagestreiben der Städte.
In Gedanken versunken blieb er stehen. Die ferne Heimat stieg vor ihm auf, er sah seinen greisen Vater traurig im Lehnstuhl sitzen und es klang fernher tönend an sein Ohr: »Hast du sie noch nicht gefunden? Bring sie zurück, Edgar, daß ich sie noch segne, ehe ich zu meinen Vätern gehe und mein Haupt nicht kummervoll zu Grabe sinke.«
Ernst blickte der junge Mann vor sich hin. Aus seinem Sinnen erweckte ihn die Stimme seines Wirtes, der, auf hohem Ufer stehend, ihm zurief: »Ist ein glorioser Fluß, der alte Muskegon, Fremder, meint Ihr nicht?«
»Der Fluß ist schön mit seinen schweigenden Waldufern, ja, Wirt.«
»Ist ein mächtig schöner Fluß, keiner wasser- und fischreicher im alten Mich. Seid früh auf den Beinen, Fremder, kalkuliere, hat Euch das Lager nicht gefallen? Müßt vorlieb nehmen, Mann, seid nicht in Lansing oder Detroit, seid in der Wildnis.«
»Ich ruhte gut genug - aber ich liebe den Morgen und die Frühsonne lockte mich hinaus.«
»Ist ein schönes Ding um klaren Sonnenschein und frischen Morgenwind, habt recht, erfrischt das Herz und den Sinn, liebe ihn auch, den Morgen. Aber ich bin Euch nachgegangen, Euch zum Frühstück zu holen, meine alte Lady wartet mit dem Kaffee auf Euch.«
»Nun, ich bin bereit,« entgegnete der Graf freundlich, »die Morgenluft stärkt den Appetit.«
Sie schritten durch die Felder zurück und Grover erklärte seinem Gast nicht ohne Stolz, was er unter harter Arbeit seit einigen Jahren dem wilden Walde abgerungen habe, und wies auf die urbar gemachten Felder.
»Ist ein guter Boden hier, Fremder, hab's gut getroffen, mächtig guter Boden. Und der gesegnete Muskegon ist der Fluß, Mais und Korn hinabzuschaffen bis nach dem
See und darüber hinaus bis Chicago. Ist ein guter Platz hier für Ackerbau und Handel, kreuzen sich die Straßen. Hat noch eine Zukunft, der Platz hier, kommen immer mehr Leute und bauen sich ein Haus in der Nähe, habe schon zehn Meilen von hier einen Nachbar.«
Während der Wirt so plauderte, langten sie am Hause an, in dessen Tür eine einfach, doch sauber gekleidete Frau stand.
»Ist meine alte Lady, Fremder, eine Frau, wie man sie suchen kann weit und breit. Hat manche Fährlichkeit an meiner Seite ertragen im wilden Wald, ist mein Stolz, Fremder, das alte Weib.«
Das alte Weib war eine ganz stattlich aussehende Frau, der man trotz des rauhen Lebens, welches sie im Walde führen mußte, ihre vierzig Jahre nicht ansah.
Er stellte ihr jetzt seinen Gast vor.
»Ist der Fremde, Nelly, von jenseits des großen Wassers, von welchem ich dir gestern abend sagte.«
Die Frau reichte dem Grafen die Hand und überflog nicht ohne Wohlgefallen dessen hübsches, freundliches Gesicht und seine schlanke Gestalt, welche die knappe Tracht vorteilhaft hervorhob.
»Ihr seid willkommen, Herr,« sagte sie einfach.
»Ist ein Lord oder so etwas, Nelly, wenn ich gestern abend richtig verstand. Kennen das bei uns nicht, Fremder, stammt noch aus dem alten Lande. Aber schadet nichts, nehmen's hier nicht so genau, seht ehrlich aus und habt Euch benommen wie ein Mann.«
Ein Lächeln trat in des jungen Edelmannes Angesicht, als ihm der Wirt so treuherzig versicherte, daß ihm seine vornehme Abkunft hier nichts schaden solle. Dann sagte er: »Wenn ich durch mein spätes Erscheinen Mistreß Grover in ihrer Nachtruhe gestört habe, so bitte ich nachträglich um Entschuldigung.«
»Sind's gewohnt, Sir, werden oft genug in der Nacht herausgepocht.«
Indem kam Heinrich von den Ställen her, wo er bereits nach den Pferden gesehen hatte. In seiner kräftigen Gestalt, dem gebräunten narbigen Antlitz, aus dem zwei scharfblickende graue Augen blitzten, dem Ausdruck von Energie auf seinen Zügen, lag etwas Selbstbewußt-Kühnes, wie es gewöhnlich dem Weidmann eigen ist.
»Sind die Pferde ausgeruht, Heinrich?«
»Zu Befehl, Herr Graf, sind frisch und munter.«
»Kommt herein, Fremde,« ließ sich die Frau vernehmen, »und laßt's euch schmecken.«
Sie ging voran und die andern folgten.