158681.fb2
Es war ein ganz seltsames Heim, in welches der junge Offizier eingetreten war, und er, wie die andern betrachteten es nicht ohne einiges Staunen.
Sie stellten dann ihre Büchsen ab und setzten sich.
Die alte Frau war bereits beschäftigt, in einem eisernen Kessel Wasser zum Sieden zu bringen, und bald konnten sie sich des Labsals des Hinterwäldlers, eines Bechers Kaffee, erfreuen, zu welcher Johnson seinen Gästen Maiskuchen und geräuchertes Hirschfleisch reichte. Das Mahl wurde schweigend eingenommen. Dann bot der Hausherr Tabak an, und mit Behagen rauchten die Männer ihre Pfeifen.
»Eine solche Behausung kommt Ihnen wunderlich vor, Herr - Wie heißen Sie eigentlich, Fremder?«
»Ich bin Graf Bender, Offizier in preußischen Diensten, dies ist mein Jäger Heinrich, und jenen guten Irländer habe ich am Manistee für meine Fahrt angeworben.«
»So! Nun als deutscher Offizier muß Ihnen ein solches Heim noch erstaunlicher erscheinen. Ich fühle mich wohl in dieser Einsamkeit und trage die Entbehrungen, welche sie gelegentlich bedingt, mit Gleichmut. Ich habe mich hier inmitten der Wildnis niedergelassen, [164] ohne zu wissen, daß es auf der Reservation der Ottawas geschah, was uns ja verboten ist. Aber die Leute haben mich trotzdem bis jetzt unbehelligt gelassen. Ihr erster Häuptling, Peschewa, den ich besuchte, ist ein einsichtsvoller Mann, und ich glaube, friedlich gesinnt, gegen meine Niederlassung hier hat er jedenfalls nichts einzuwenden gehabt. Möglichenfalls habe ich das auch der Rücksicht auf die alte Frau dort zu danken.«
»Wenn der Peschewa, wie Sie sagen, friedlich gesinnt ist, wie kommt es, daß Sie doch Unruhen von seiten der Indianer befürchten?«
»Peschewa selbst ist zu klug, um Streit mit den Weißen zu suchen, er kennt unsre Macht, aber die Herrschaft dieser Indianerhäuptlinge ist eine sehr bedingte, und verhindert nicht Ausschreitungen aller Art von seiten seiner Stammesgenossen, die zu gehorchen nicht gelernt haben. Was im Werke ist, kann ich nicht erraten, daß aber unter den Indianern etwas vorgeht, ist sicher, und meine alte Sumach ist derselben Meinung. Ich habe seit Monaten nicht so viel gesprochen, als heute, Herr,« fuhr er fort, »und die Alte sieht mich ganz erstaunt über meine Redseligkeit an. Teils bin ich schweigsam von Natur und hatte auch keine Gelegenheit zum Reden, denn Sumach und ich sind bald mit unsrer Unterhaltung fertig.«
»Sie können sich mit ihr verständigen?«
»Schwer. Sie radebrecht einige englische Worte, und ich habe einige indianische Wendungen mir zu eigen gemacht, damit müssen wir uns begnügen. Aber die Alte ist erfahren, und in den meisten Fällen klug genug, zu erraten, was ich will. Mehrmals im Jahre komme ich nach Fort Jackson, wo ich meine Felle verkaufe und Sumach ihre Körbe absetzt. Gleichzeitig kaufen wir dann unsre Bedürfnisse dort ein, es ist alles dort zu erlangen, was wir im Walde nötig haben.«
»Es ist wohl ein eigenartiges Leben, welches Sie hier führen, Mister Johnson.«
»Und doch, Herr, dürften Sie es begehrenswert finden, wenn Sie die Majestät des Urwaldes kennen würden, wie ich. Ich fühle, daß der Geist des Ewigen in der Einsamkeit dieser Wälder uns näher ist, als an andern Orten, und jeder Gedanke wird hier zum Gebet an den Schöpfer aller Dinge. Fremder, Ihr kommt aus den Mittelpunkten der Zivilisation, aus dem gierigen Treiben der Städte. Ihr kennt den Wald nicht; nicht im Sturme, wenn die alten Baumriesen vor seinem Hause niederbrechen, wie Halme; nicht im leisen Säuseln des lauen Frühlingswindes, wenn nach langer Winternacht wieder Hoffnung in das Menschenherz einzieht. Des Waldes feierliche Einsamkeit [165] hat mich diesem Leben erhalten, sie und das alte Indianerweib da.«
Graf Edgar sah ihn fragend an.
Johnson fuhr mehrmals mit der Hand über die Stirne und fuhr leise fort: »Ich habe einst großes Leid erlitten, Fremder, ein Leid, so schwer, daß es in wenigen Tagen mein dunkles Haar gebleicht hat zur Farbe des Schnees.«
»O, Gott, mein Gott, jetzt fällt mir ein, ich habe ja von dem Unglück gehört, das Euch betroffen hat. Ja, Johnson war der Name. Ihr seid vom Kalamazoo?«
Der Mann nickte, und winkte mit der Hand, andeutend damit, daß jener nicht weiter fortfahren sollte.
Nach einiger Zeit sagte er dann: »Ich rannte in die Wälder, rasender Schmerz trieb mich vorwärts, ich wußte nicht, wohin. Ich fühlte nicht Hunger, nicht Durst, nicht Körperschmerz. Wie ich jene Tage überstanden habe, ich weiß es nicht, nicht wie ich überhaupt am Leben blieb. Ich haderte mit der Menschheit, haderte selbst mit Gott, in wilder Verzweiflung.« Er hielt inne, und der Graf, der die tiefinnere Bewegung des Mannes wahrnahm, schwieg ergriffen gleichfalls, kannte er doch dessen furchtbares Schicksal. »Dieses alte Indianerweib hat mich wieder zum Menschen gemacht. Fand sie verschmachtend und fiebernd im Walde, sie streckte flehend die mageren Hände nach mir aus, als sie mich erblickte. Ich erbarmte mich ihrer, es war ja ein Mensch in Todesnot. Ich hatte eine Aufgabe, mein Leben wieder einen Zweck in der Linderung fremder Leiden, das gab mich mir selbst zurück. Wochenlang habe ich das alte Geschöpf gepflegt. Gehen konnte sie nicht. Ich baute ihr eine Hütte von Zweigen über den Kopf, ich hüllte sie in meine wollene Decke, suchte heilende Kräuter und kochte sie in meinem Kaffeebecher, schoß Tauben und Schnepfen, um sie mit leichter Kost zu ernähren, und der Todesengel wich von ihrem Lager. Herr, dieses kranke Weib hatte mir Gott zum Troste gesendet; in der aufopfernden Tätigkeit für sie fand ich mich endlich wieder, gelinder wurde der furchtbare Schmerz, ich konnte endlich weinen und wieder zum Allmächtigen in ernster Demut beten. - Seitdem folgt mir die Alte wie ein treuer Hund, und ich habe mich mit ihr hier niedergelassen.
Mein Dasein verfließt in stiller Einsamkeit, in anstrengender Tätigkeit und der tiefe Gram über verlorenes Erdenglück ist sanfter Wehmut gewichen, mit welcher ich der Vergangenheit denke.
»Ich habe auf Erden nichts mehr zu hoffen und werde ruhig [166] harren, bis die Stunde kommt, die mich mit meinen Lieben wieder vereint.«
Ganz stille war es in der Hütte, als Johnson so sprach, leise, mit einem Tone, der zu Herzen ging. Sein starkes, schneeweißes Haar, der lange Bart verstärkten den Eindruck seiner Rede. Die alte Indianerin saß in der Ecke und nickte mit dem Kopfe in gleichmäßigem Takte. Der Irländer war ganz gerührt von Johnsons Worten, ob er gleich dessen grausames Schicksal nicht kannte, und auch Heinrich, der kein Wort Johnsons verstand, befand sich unter dem Eindruck des feierlichen Ernstes, der über dem Manne lag.
»Nun wißt Ihr alles, Fremder, und kennt Robert Johnson.«
»Ich nehme den innigsten Anteil an Eurem so traurigen Geschick, und vor allem sehe ich mit Rührung, daß es nicht im stande war, Euer Herz zu verhärten, wie aus Eurer edlen Handlungsweise gegen die Alte dort hervorgeht.«
»Kalkuliere, war ein Mensch, wenn auch nur ein roter Mensch, konnte sie nicht sterben lassen. Hat sich belohnt, war ruhiger hinterher.«
Sie rauchten schweigend.
Dann nahm Graf Edgar das Wort: »Nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, Mister Johnson, und bei dem Vertrauen, welches Sie mir einflößen, will ich Ihnen auch nicht länger das meinige vorenthalten und Ihnen Kenntnis geben von der Absicht, die mich hierher führte.«
Er erzählte nun von dem Schicksal seiner Schwester und setzte ihm den Zweck seiner Reise auseinander.
»Das ist ein trauriges Ende für eine deutsche Lady, Fremder. Habe nie etwas davon erfahren, daß die Ottawas eine weiße Frau verborgen halten. Muß wohl so sein, wie Ihre Freunde am Muskegon sagen, die Angst bindet ihre Zungen. Hat der damals kommandierende General kurzen Prozeß mit einigen der grimmigsten Bluthunde gemacht, sie von Standgerichten verurteilen und ohne weiteres aufknüpfen lassen. Haben die größte Angst vor dem Hängen, die Indianer, bedeutet ihnen ein solcher Tod ewige Vernichtung, während sie sonst auf ein seliges Dasein in ihren glücklichen Jagdgründen hoffen. Die Angst vor Strafe macht die Indianer so schweigsam in dieser traurigen Sache. Wenn ich helfen kann, Herr, stehe ich gern zu Gebote.«
»Ich nehme jede Hilfe mit Dank an. Wenn ich nur erst über meine nächsten Maßnahmen im klaren wäre.«
»Wir wollen ruhig warten, bis der Indianer kommt, vielleicht bringt er uns Nachrichten.« [167]
»Wieviel Zeit brauchen wir, um nach Fort Jackson zu gelangen?«
»Es sind zwei Tagemärsche bis dorthin.«
»Kennen Sie den gegenwärtig dort kommandierenden Offizier?«
»Kapitän Davis? Flüchtig. Mir scheint er ein lebenslustiger Herr, der sich hier an der Grenze sehr unbehaglich fühlt. Er hat mir auch schleunigst einen Namen gegeben, und mich den >Geist des Urwalds< getauft.«
»Es ist zweifelhaft, ob wir ihn noch antreffen,« und Edgar unterrichtete Johnson von dem bevorstehenden Garnisonwechsel.
»Das ist freilich eine ungewöhnliche Maßnahme.«
Ein leichter Schritt ließ sich draußen hören, geräuschlos ging die Tür auf und Athorees braunes Gesicht erschien in der Oeffnung. Rasch trat er ein, warf einen Blick umher und blieb dann wie gebannt stehen.
Die Augen aller waren auf ihn gerichtet.
»Nun, Athoree?«
Der Indianer antwortete nicht, er stand, den Kopf vorgebeugt, bewegungslos, doch zeigte ein merkliches Zittern der ganzen Gestalt, daß eine hohe Aufregung den starken Mann ergriffen haben mußte. Die weit aufgerissenen, dunklen Augen waren mit einem Ausdruck auf die alte Indianerin gerichtet, wie man ihn niemals bisher an ihm wahrgenommen hatte. Ein leiser Ausruf, der fast wie ein Stöhnen klang, entrang sich der Tiefe seiner Brust.
Sumach saß in der Ecke auf ihrem Schemel und starrte aus den entzündeten Augen Athoree an, dann hob sie die magere Hand empor, und jede Falte in ihrem runzeligen Gesicht schien Leben zu bekommen, und leise sagte sie, in bebendem Tone: »Atho-ree.«
Mit einem Sprung war der Indianer bei ihr, und sein heller Jubelruf, der weithin hallte, strafte allen indianischen Stoizismus Lügen.
»Mutter!«
Er faßte ihre mageren Hände und drückte sie an die Brust. Dann streichelte er ihr die runzeligen Wangen, fuhr mit der Hand sanft über ihren grauen Scheitel, und schaute die Alte mit einem Blicke an, aus dem eine Liebe und Sanftmut strahlte, wie man sie nimmer in diesem Antlitz gesucht haben mürde.
Erstaunt und schweigend sahen alle diesem überraschenden Vorgange zu.
»Es ist seine Mutter,« flüsterte Johnson. »Seltsam.«
Die alte Frau bebte vor innerer Bewegung heftig, und mehrmals [168] wollte sie sprechen, aber sie konnte es nicht. Rührung erstickte ihre Stimme.
Mit sanftem Tone sprach Athoree zärtliche Worte zu ihr.
Die Alte verhüllte das Antlitz in ihren Händen, und große Tränen rollten zwischen den braunen Fingern hernieder.
Ruhig und ehrerbietig wartete Athoree, bis die Tränen der Mutter versiegten. Sie ließ endlich die Hände sinken, blickte den vor ihr stehenden, sonst so ernsten, fast finsteren Mann an und sagte (Johnson übersetzte es später den übrigen) in der Sprache der Wyandots: »Manitou hat Sumach lieb, er sendet ihr den Sohn.«