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Am Tische standen zwei junge Mädchen, einfach in selbstgewebtes Zeug wie die Mutter gekleidet, frische, gesunde Kinder, und blickten halb schüchtern, halb mit verstohlener Neugierde nach den Fremden hin.
»Sind meine Töchter, Fremder, Lizzy und Mary. Habe noch einen Jungen, den Erstgeborenen, siebzehn Jahre alt, aber der ist in Lansing und studiert mächtig Lesen und Schreiben und Rechnen. Kommt ihm schwer an, dem armen Burschen, läuft lieber mit der Büchse im Walde herum, aber muß sein, das Studieren, kommt nicht ohne das durchs Leben. Muß viel nachholen, hatten im wilden Walde keine Schule.«
Während er so plauderte und der Graf die jungen Mädchen mit leichter Neigung grüßte, waren sie um den Tisch getreten, Grover faltete die Hände und alle folgten dem Beispiel, die jüngste der Töchter sprach ein Gebet und dann sagte Grover, sich setzend: »Und nun langt zu, Fremde. Ist bei uns Sitte, an den lieben Gott zu denken, wenn der Tag beginnt, kalkuliere, ist eine mächtig gute Sitte. Haltet ihr's im alten Lande auch so?«
»Auch bei uns vergißt man nicht des Schöpfers zu gedenken, Mister Grover.«
Herzhaft griff man nun zu dem lecker bereiteten Mahle, welches der Vorratskammer des Hauses Ehre machte.
Als sich das Frühstück dem Ende nahte, äußerte Grover: »Spricht nicht englisch, Euer Gefährte, denk' ich, sagtet Ihr gestern abend?«
»Er spricht und versteht nur deutsch.«
»Ist Euer Diener, Fremder? Wie?«
»Nicht ganz, Sir, Heinrich steht als Jäger in Diensten meines Vaters, und ist mein Reisebegleiter. Heinrich ist ein mächtiger Schütze, Mister Grover.«
»Ist eine gute Eigenschaft für den Wald. Müssen hier alle mit der langen Rifle umzugehen verstehen, und - verstehen's auch, sage Euch, Mann - verstehen's hier. Freut mich, daß Euer Gefährte ein guter Schütze ist.« Heinrich war augenscheinlich in des Wirtes Achtung gestiegen. »Auch im Kampfe gegen die Frenchers gewesen?«
»Sicher, Herr, stand beim fünften Jägerbataillon, welches vor Paris wohl den heißesten Kampf auszufechten hatte, der während des ganzen Krieges stattfand. Standen da achthundert Jäger zwei Stunden lang zehntausend Franzosen gegenüber, die mit wilder Wut angriffen. Hielten diese achthundert sie hin, bis endlich Hilfe heran war und den Feind zurückwarf.«
Staunend horchte der Wirt.
»Ist ein Fakt, Mann?«
»Ja, Sir, ist ein Fakt, steht in der Kriegsgeschichte verzeichnet.«
»Segne meine Seele,« sagte Grover und warf einen bewundernden Blick auf Heinrich, der, unwissend, daß von ihm die Rede war, sich eifrig mit Schinken und Eiern beschäftigte, »segne meine Seele, sind Krieger, diese Deutschen, ja, sind, ist ein Fakt. Achthundert gegen zehntausend,« brummte er vor sich hin, »mächtig glorreiche Fro-lic. Bin als junger Mann einmal gegen die Roten ausgezogen, am Mackinaw droben, ging auch heiß her. Waren da ein sechzehn wohl gegen fünfzig heulende Wilde, sind arg in der Klemme gewesen, aber haben sie doch endlich gepfeffert. War auch eine glorreiche Frolic, waren einer gegen drei - aber einer gegen zehn und gegen Franzosen, ist ein gewaltig Stück.«
Das Frühstück war geendet, die Mädchen räumten behende den Tisch ab und zogen sich dann mit der Mutter zurück.
Grover hatte sich erhoben und blickte nach der Ecke hin, in welcher die Waffen des Grafen und Heinrichs standen.
»Habt da eine absonderliche Büchse, Fremder,« ließ er sich vernehmen, »habe mir das Ding schon angesehen, wurde aber nicht recht klug daraus.«
Der Graf nahm die Waffe in die Hand. »Es ist ein Zündnadelgewehr, Mister Grover, wie die Preußen es seit Jahren führen, ein Zündnadelgewehr mit Büchsenlauf.«
»Hm, habe davon gehört, mögen auch solche Waffen schon im Lande sein, aber bis in die Wälder hier ist noch keine gelangt,« und neugierig untersuchte er die Büchse.
Bereitwillig öffnete Edgar den Verschluß und erklärte seinem Wirt die Konstruktion.
Mit dem regen Interesse des Waldmanns folgte Grover den Erklärungen des Offiziers. »Hm, ist neu hier, ganz neu. Hat sich bewährt? Wie?«
»Seit 1866 hat ganz Europa sich mit Hinterladern versehen, und 1870 besaßen die Franzosen in ihren Chassepots bereits eine bessere Waffe als wir.«
»Und trägt sicher?«
»So sicher wie jede andre gute Büchse.«
»Und worin besteht der Vorteil?«
»In der Feuergeschwindigkeit; Heinrich zum Beispiel feuert mit dieser Flinte acht-bis neunmal in der Minute.«
»Segne meine Seele,« sagte staunend der Wirt, »ist eine gewaltige Sache; möchte es sehen.«
»Gerne würde ich Euch das Vergnügen machen, die volle Feuergeschwindigkeit vor Euren Augen zu erproben, nur führen wir dazu nicht Patronen genug mit. Aber Heinrich soll Euch zeigen, wie man Schnellfeuer macht, er versteht besser damit umzugehen wie ich. Ich selbst bin nur mit einer Perkussionsbüchse bewaffnet, und zwar deshalb, weil man Pulver und Blei überall auftreiben kann, doch schwerlich möchte es hier gelingen, Patronen für diese Büchse zu erwerben.«
»Habt recht, ist hier nirgends zu finden. Kalkuliere, haben bereits in der alten Dominion Hinterlader, werden auch schon in den Städten an den Seen sein, habe noch keine gesehen, wir führen hier noch unsre alte Rifle.«
Der Graf forderte nun Heinrich auf, die Waffe zu nehmen, eine Patrone abzufeuern und dann mit der Hülse ihrem Wirte die Lade- und Feuergeschwindigkeit zu zeigen.
Sie begaben sich mit der Waffe ins Freie und Heinrich lud sie. Er schaute sich nach einem Ziele um und gewahrte etwa zweihundert Schritt entfernt eine Waldtaube auf dem Aste eines Baumes. Er hob die Büchse, feuerte und der Vogel fiel.
»Ist ein guter Schuß,« sprach Grover, »und ein gut gebohrter Lauf.«
Heinrich warf die Hülse heraus, zeigte sie dem aufmerksam beobachtenden Wirt und wiederholte vor dessen staunenden Blicken die Manipulation des Ladens, Zielens und Abfeuerns mit so großer Schnelligkeit, dcch nach des Grafen Uhr neunmal sich der Büchsendonner hätte hören lassen, wenn er sich gefüllter Patronen bedient hätte statt der leeren Hülse.
»Segne meine Seele, das ist eine furchtbare Waffe, wenn gegen anrückende Massen gefeuert wird, unsre Rifles erfordern Zeit, bis der Schuß fest sitzt im Laufe. Mächtig neue Erfindung, muß mir auch ein solches Ding kommen lassen von dem See her, koste es, was es wolle. Mächtig neue Erfindung.«
Heinrich trug die Waffe zurück und Grover und der Graf schlenderten langsam vor dem Hause auf und ab.
Nach einer Weile sagte Grover: »Habt da gestern nach einem Landsmann gefragt, Fremder, habe Euch versprochen, Joe Barina, darum anzugehen, der am längsten hier in den Wäldern lebt und Land und Leute den ganzen See entlang am besten kennt. Ist's Euch recht, reiten wir zum Alten hin, sind kaum zwanzig Meilen.«
»Ich halte jede Minute für verloren, die ich nicht auf Nachforschungen verbringe, Sir. Ich bin zu diesem Zwecke herübergekommen und suche schon lange vergeblich nach Walther.«
»Ist ein Verwandter von Euch, Mann?«
Nach einer Pause entgegnete der Graf mit trübem Ernst: »Er ist der Gatte meiner Schwester, und diese ist's, die ich suche.«
»Hm,« entgegnete der Amerikaner, »sucht Eure Schwester? War eine feine Lady? Wird wenig in die Wildnis gepaßt haben. Ist Euch so ganz aus den Augen gekommen? Seid doch ein Lord oder so was. Kalkuliere, ist nicht alles regelrecht zugegangen.«
Ein Schimmer von Röte flog über des jungen Mannes Antlitz und nach einem kurzen Schweigen erwiderte er: »Ich will Euch sagen, Grover, wie es zugegangen ist. Ihr habt recht, wenn Ihr meint, ich sei so etwas wie ein Lord. Mein Geschlecht gehört zu den ältesten und begütertsten Schlesiens und führt seit Jahrhunderten den Grafentitel. Zwei Kinder wurden meinem Vater geschenkt, meine Schwester Luise, die Erstgeborene, und ich, der nach langem Harren erschienene Erbe des Namens und der Besitzungen. Mein Vater hatte einen Verwalter Namens Walther in seinem Dienste. Ich entsinne mich seiner als eines schönen jungen Mannes von Bildung und guten Manieren. Meine Schwester und er faßten eine leidenschaftliche Zuneigung zu einander, doch war kein Gedanke, daß mein Vater jemals in eine Verbindung seiner Töchter mit dem Verwalter gewilligt haben würde. Als er von der Neigung meiner Schwester erfuhr, entbrannte er in wildem Zorne. Walther wurde sofort entfernt und harte Maßregeln gegen meine Schwester ergriffen. Ich war zehn Jahre alt, als sich dies begab. Liebe und Leidenschaft besiegten alle Hindernisse, meine Schwester entfloh, ließ sich dem Manne ihres Herzens in England antrauen und das Paar begab sich nach Amerika, um dort eine neue Heimat zu gründen. Walther hatte einiges Vermögen und wollte sich in den nördlichen Staaten ankaufen.
»Von jenem Tage an durfte der Name meiner Schwester, an der ich mit aller Zärtlichkeit hing, vor den Ohren meines Vaters nicht mehr genannt werden.
»Auf verschiedenen Wegen gelangten von Zeit zu Zeit Mitteilungen zu uns. Walther hatte sich in Ohio angesiedelt und bewirtschaftete eine größere Farm. Die Nachrichten wurden spärlicher, immer spärlicher, und seit fünf Jahren ist keine Kunde mehr zu uns gekommen. Es kam der Krieg gegen Frankreich, ich wurde schwer verwundet, war dem Tode nahe, meine Mutter war schon längst von uns geschieden, und da wachte endlich in meinem greisen Vater, dem mit meinem Hinscheiden ein einsamer, gramvoller Lebensabend drohte, die alte Zärtlichkeit gegen meine Schwester wieder auf, und während ich noch auf meinem Schmerzenslager ruhte, sagte der halbgebrochene alte Mann eines Tages leise zu mir: >Wo nur Luise sein mag?< und langsam rannen ihm die Tränen über die Wangen.
»>Gott segne diese Stunde,< erwiderte ich ihm freudig erregt, als ich die starre Rinde, welche sein Herz umlagerte, endlich gebrochen sah, >das macht mich wieder gesund, Vater,< und von der Zeit an begann ich von der schweren Wunde wirklich rasch zu genesen. Sofort wurden nun alle Mittel in Bewegung gesetzt, Kunde von den für uns Verschollenen zu erlangen. Ihr Aufenthalt in Ohio wurde festgestellt, aber von dort hatte Walther sich hinweg begeben, nachdem er seine Farm verkauft hatte, und es war trotz aller angewandten Mittel nicht zu erfahren, wohin. Als ich vollständig genesen war, machte ich mich auf, die Schwester zu suchen. In Ohio erfuhr ich endlich, daß Walther nach harten pekuniären Verlusten sich nach Michigan gewandt habe. Ich folgte hierher, forschte in Lansing, in Detroit vergeblich nach Walther, man wußte nichts von ihm, auch in den Grundbüchern war er nicht verzeichnet. So bin ich, fortwährend suchend, hierher an den Muskegon gelangt. Und nun helft mir, Grover, die Schwester zu finden. Die Liebe zu ihr ist im Vater mit voller Stärke erwacht und er kann nicht ruhig sterben, ehe er sein verstoßenes Kind wieder hat.«
Aufmerksam hatte Grover zugehört, als der junge Graf so sprach, und bedächtig entgegnete er: »Will Euch helfen, Mann, soweit ich kann. Steckt Eure Schwester im alten Mich, wollen wir sie finden, ist nicht aus der Welt hier. Wollen jetzt zu Baring reiten, wollen hören, was der meint. Ist's Euch recht?« [24]
»Tag und Nacht bin ich bereit, Grover.« Dieser gab seinem Jungen Befehl, die Pferde zu rüsten, und nach kurzer Frist saßen der Wirt, Graf Edgar und Heinrich im Sattel, die Büchsen vor sich, denn Grover hatte es nicht für rätlich erachtet, unbewaffnet zu reisen, und trabten unter seiner Führung in den Wald hinein.
Nach kaum zweistündigem scharfem Ritte erreichten sie Barings Farm, ein ausgedehntes Besitztum, welches sich ebenfalls den Muskegon entlang erstreckte.
Als sie sich dem Hause näherten, welches nach Landesart aus rohen Holzblöcken aufgeführt war, aber doch schon die Spuren von verschönerndem Luxus zeigte, trat ihnen der Besitzer, ein schon weißhaariger, aber kräftig ausschauender Mann entgegen. Kaum erkannte er Grover, als er ins Haus hinein schrie: »Holla, Mary, deck den Tisch, Bill Grover kommt, laß tafeln, Mary, kenne den Mann, laß tafeln!« und dann herzhaft lachte.