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Draußen war alles aufgesprungen und lauschte, von fernher ließ sich Gewehrfeuer hören.
Die indianischen Späher, welche vom frühesten Morgen an das Fort umlagerten, hatten wohl gesehen, wie Leutnant Sounders mit seiner Mannschaft auszog. Ehe dies aber dem auf dem See befindlichen Peschewa mitgeteilt, seine Befehle eingeholt, wieder ans Land getragen und dann ausgeführt werden konnten, verging um so mehr Zeit, als die Indianer die größte Vorsicht beobachten mußten, denn die Wirkung des Fernrohrs war Peschewa sehr wohl bekannt und er nahm als sicher an, daß sie durch ein solches beobachtet würden. Er hatte dann an Amata den Befehl gelangen lassen, den Ausgezogenen mit zwanzig Kriegern zu folgen, sie zu überfallen und niederzumachen, doch jedenfalls in solcher Entfernung vom Fort, daß der Büchsenknall dort nicht mehr zu hören sei.
Amata hatte sich auch alsbald auf die Verfolgung begeben, mußte aber einen weiten Umweg ums Fort nehmen.
Leutnant Sounders war ruhig seinen Weg gezogen, hatte nach einigen Stunden Rast gemacht und war auf seinem Weitermarsche in die Nähe des Sees gelangt. Mit Erstaunen hatte er auf diesem Boote mit Indianern bemerkt. Er kannte als fleißiger Jäger die Gestaltung des Sees recht gut und gewahrte, daß die Kanoes da, wo sie, wie er wußte, vom Fort aus gesehen werden konnten, nur zwei Männer aufwiesen, von denen der eine ruderte und der andre fischte, daß sie aber von Zeit zu Zeit hinter die Landzungen steuerten, wo sie dann nicht vom Fort aus erblickt werden konnten, und hier sich dann noch zwei andre vom Boden erhoben, welche die Plätze mit Fischer und Ruderer tauschten, während sich diese sorgfältig im Boote verbargen und erst dann wieder in dem vom Fort aus sichtbaren Teile des Sees erschienen.
Er wandte sein Glas an und ein gleicher Vorgang wurde von ihm an dem gegenüberliegenden Ufer beobachtet. [205]
Dies rief sein Mißtrauen in einem Grade hervor, daß er sich unverweilt zu seiner umherlagernden Mannschaft begab, und ohne seine Wahrnehmungen mitzuteilen, den Rückmarsch zum Fort befahl. Er hatte den auserlesensten Teil der Besatzung unter sich. Die zwei erfahrensten Waldleute aus deren Zahl ließ er vorangehen, die andern einzeln hintereinander herschleichend, nach Indianerart folgen. Vor dem Abmarsch hatte er das Rauchen verboten, die tiefste Stille eingeschärft und den Soldaten gesagt: »Es schwebt Gefahr in der Luft, es ist eine indianische Teufelei im Werke, vorsichtig, Leute.«
Die ganze Garnison fürchtete oder besser erwartete nach der Abstrafung Peschewas von den Indianern angegriffen zu werden, und diese Worte ihres besonnenen Offiziers ließen sie ahnen, daß die Wilden am Werke seien.
Rasch, aber vorsichtig gingen sie zurück. Mittag war vorüber und schon näherten sie sich dem Fort, als fernher Schüsse und Geschrei über den See herüber sich hören ließen.
Die Leute standen still und lauschten. Leise sagte Sounders zu seinem Sergeanten, bleich und mit bebender Stimme: »Die Hunde überfallen das Fort. Gott sei Davis, er sei den Soldaten gnädig, das ist Peschewa.« Aber entschlossen setzte er dann hinzu: »Vorwärts, Kameraden, dort wird gekämpft, wir wollen dabei sein.«
Und die tapferen Männer folgten, gleich entschlossen, dem tapfern Führer.
»Aufgepaßt, ihr da vorn. Die Hunde haben sicher unsern Abmarsch bemerkt und legen uns einen Hinterhalt.«
Nach kurzer Frist hoben auch schon die vorn Gehenden die Hände und bückten sich nieder, alle folgten, sich in Anschlag legend, diesem Beispiel. Eine Reihe von Indianern wollte an ihnen vorüberziehen, doch zögerte Sounders noch, im unklaren über die Vorgänge im Fort, und bei der Möglichkeit, einen Irrtum zu begehen, den Befehl zum Angriff zu geben, als plötzlich einer der Indianer die Büchse an die Wange riß und nach ihnen herüber schoß. Der Ruf des Leutnants »Feuer« ertönte gleichzeitig mit dem Krachen der Gewehre. Ein Teil der Indianer fiel im Feuer, die andern stürzten heulend in jäher Bestürzung zurück, wie sich denn des überraschten roten Kriegers leicht eine Panik bemächtigt. »Laden!« befahl Sounders kaltblütig. Als dies geschehen, ging er auf die Stelle zu, wo die Indianer liegen mußten, die gespannte Büchse in der Hand, und fand sieben Tote und vier, wie es schien, Schwerverwundete, welche sich am Boden krümmten. Einen dieser Verwundeten riß er empor, [206] es war Amata, und fragte: »Was greift ihr uns an? Sind die Ottawas auf dem Kriegspfade gegen die Langmesser?«
Mit einem Blicke wilden Hasses entgegnete der sterbende Mann: »Peschewa holt Skalpe im Fort.«
»Ich fürchtete es,« sagte der junge Offizier, »arme Kameraden.«
»Schießt den Verwundeten eine Kugel durch den Kopf,« kommandierte er, »wir können keine Gefangene machen,« legte selbst kaltblütig seine Büchse an Amatas Schläfe und bereitete ihm so ein schnelles Ende. Dann versammelte er die Soldaten um sich.
»Leute, das Fort ist augenscheinlich heimtückisch von den roten Hunden überfallen worden. Ist einer unter euch, der zögert, den Kameraden, die vielleicht, was Gott verhüten möge, in großer Gefahr sind, beizustehen, der sage es.«
»Keiner, keiner!« riefen die Soldaten.
»Dann vorwärts, aber vorsichtig, wir haben es mit wilden Tieren zu tun.«
Und schweigend zogen sie weiter.
Das waren die Schüsse, welche im Fort gehört worden waren. Als Peschewa den Wall erstiegen hatte und nach dem Walde schaute, sah er auch schon die vor Sounders flüchtigen Indianer, welche die Zahl der Soldaten wohl weit höher geschätzt hatten, als sie in Wirklichkeit war, in wilder Hast aus dem Walde stürzen.
Alsbald gab Peschewa Befehl, das Fort zu verlassen, und der ganze Haufe, wohl an sechzig Leute, die Verwundeten führten sie mit sich, verließ das Fort und verschwand im Walde, wo sich die Flüchtigen bald mit ihnen vereinten und dem Häuptling Bericht erstatteten.
Peschewa war durch von Norden kommende Händler etwas von einem Garnisonswechsel zu Ohren gekommen, dies und die übertriebene Beschreibung von der Zahl der Angreifer dort im Walde, welche ihm die eingeschüchterten Ausreißer machten, veranlaßte ihn, mit großer Vorsicht gegen den Feind vorzugehen.
Am wenigsten wollte er sich, für den Fall wirklich eine stärkere Truppenzahl heranzog, im Fort überraschen lassen, sondern das günstigere Terrain des Waldes zum Kampfplatz nehmen, welches auch nach allen Seiten für einen Rückzug offen war.
Im Fort Jackson blieben nur die stillen Toten zurück und der immer noch bewußtlose Sergeant mit seiner Frau, welche an seinem Lager inbrünstig betete.
Nach ruhig verbrachter Nacht hatte die kleine Karawane Edgars am frühen Morgen ihren Weg nach dem Fort wieder angetreten, und es bedürfte, nach Johnsons Angabe, eines tüchtigen Marsches, wenn sie dasselbe noch am Abend erreichen wollte. Doch selbst die alte Sumach, an Anstrengungen aller Art von früher Jugend auf gewohnt, zeigte sich der Aufgabe durchaus gewachsen.
Athoree, der die Beine eines Hirsches zu haben schien, umkreiste oft in weitem Bogen den Zug, welchen Johnson mit großer Sicherheit führte, oder eilte voran, um zu erspähen, ob der Weg keine Gefahren berge.
Oftmals tauchte dann sein braunes Gesicht plötzlich aus den Büschen auf, er wechselte einige Worte mit seiner Mutter, rief dem Grafen zu >All[']s well!« und verschwand wieder.
Michael zog, seinem fröhlichen, leichtherzigen Wesen angemessen, durchaus sorglos einher; ihm bereitete nur das Tier manchmal Kummer, wenn es sich störrisch zeigte, und er selbst seine gälischen Schmeichelworte vergeblich verschwendete.
Den beiden Deutschen war bei diesem mit so großer Vorsicht betriebenen Marsche in den endlosen dunklen Wäldern etwas unheimlich zu Mute, und sie durchforschten, die Büchse bereit haltend, oftmals mißtrauisch die Dickungen, welche sich an ihrem Wege zeigten. Ein Gleiches tat übrigens der walderfahrene Johnson, wenn er auch seinen vollen Gleichmut dabei bewahrte.
Die Augen der alten Indianerin, welche noch scharf genug waren, spähten unaufhörlich umher, oder überflogen forschend den Boden. Gesprochen wurde wenig und dann nur in gehaltenen Tönen, selbst Michael, welcher im Hintertreffen mit dem Maultier und seinem
[208] schweren Shilallah[Shillalah] einherschritt, mußte seine Lust an lebendiger Unterhaltung zügeln.
»Als Knabe habe ich,« äußerte, nachdem sie längere Zeit schweigend nebeneinander hergeschritten waren, der Graf zu Johnson, »Ihres heimischen Dichters Cooper
Indianererzählungen, wie wohl unsre gesamte Jugend, mit der Freude gelesen, welche die werdende Generation an romantischer Begebenheit hat. Mich will bei unserm Marsche fast bedünken, ich erlebe einen Cooperschen Roman.«
»Ich kenne die Erzählungen nicht, Herr, ich bin im Hinterwalde aufgewachsen, und wenn ich auch zeitig lesen und schreiben lernte, so gab es doch bei uns wenig Bücher, die Bibel ausgenommen, welche wohl in keinem Hause fehlte. Wenn unser Zug Aehnlichkeit mit den Beschreibungen des Mannes hat, so muß er wohl gut erzählt haben.«
»Mich überkommt bei unsrer Art und Weise durch den Wald zu ziehen ein Gefühl, als ob wir uns auf dem Kriegspfade befänden.«
Johnson sah ihn an und sagte nach einer Weile: »Sie sind unsern Wäldern und den Gefahren, welche sie bergen, fremd, Herr, und könnten doch leicht sehr richtig fühlen. Mich selbst hat Unruhe befallen, als wir den Leichnam fanden und damit festgestellt war, daß weiße Mörder sich im Walde befinden. Doch können diese unmöglich so zahlreich sein, um uns Schaden zuzufügen. Indes ist Wachsamkeit vonnöten.«
»Aber Sie hegen Besorgnisse, Johnson?«
»Ich muß gestehen, ich halte alle Vorsicht für geboten. Ich selbst habe von den Indianern nichts zu befürchten, aber Ihretwegen beunruhigt mich diese außergewöhnliche Bewegung unter den Roten, denn es ist nicht die Jahreszeit, wo sie ihre große Medizin machen.«
»Was heißt das?«
»Auf den Ruf ihres Medizinhäuptlings, ihres ersten Propheten und Wahrsagers, kommen die Indianer im Herbst zusammen, und dann werden ihre abergläubischen und geheimnisvollen Zeremonien ausgeführt, die Zukunft des Stammes und der Einzelnen vermittelst aller möglichen albernen Zauberkünste befragt, der Medizintanz getanzt und große Schmausereien gehalten. Aber das geschieht, wenn die Blätter fallen, nicht jetzt.«
»Und worauf gründen Sie die Befürchtungen, die Sie augenscheinlich hegen?«
»Es ist ganz klar, daß die Indianer irgend etwas vorhaben, was, vermag ich um so weniger zu ergründen, als ich gar keine Verbindung mit ihnen habe. Mehr aber noch beunruhigt mich das Verhalten unsrer roten Freunde. Ich verstehe mich auf die indianische [209]
Natur und kenne Sumach seit drei Jahren. Ihr Athoree würde nicht gleich einem Schweißhunde uns unaufhörlich umkreisen, wenn er nicht für uns fürchtete, und wenn Sie Sumach beobachten wollen, so werden Sie bemerken, wie ihre Augen unaufhörlich spähend umherwandern mit einer Unruhe, die ich noch nicht an ihr bemerkt habe. Diese Leute wittern die Gefahr gleich wachsamen Hunden. Es schwebt etwas Unheildrohendes in der Luft, das sagt mir das Gebaren der beiden Indianer, wie man nach dem der Vögel und Tiere auf ein herannahendes Gewitter schließen kann.«
»Nun, wenn das der Fall ist, so wünsche ich nur, daß sie uns bald in greifbarer Gestalt entgegentritt, denn das Gefühl, aus jedem dichten Busche hervor könnte plötzlich eine Büchse krachen, ist kein sehr angenehmes.«
»Sie dürfen sich auf die Wachsamkeit des Indianers, auf die Sumachs, welche trotz ihres Alters noch die Augen eines Falken hat, und auf mich, der ich mich auf den Wald und auch ein wenig auf indianische Teufeleien verstehe, verlassen, ganz unvorbereitet wird uns keine Gefahr finden. Es ist die Möglichkeit denkbar, daß die Roten unter sich in Streit geraten sind, und da könnten wir natürlich leicht zwischen zwei Feuer kommen. Ich werde sehr befriedigt sein, wenn wir die Wälle des Forts hinter uns haben.«
Der Graf gesellte sich zu Heinrich und teilte ihm den wesentlichen Inhalt seines Gesprächs mit Johnson mit.
»Ich habe schon längere Zeit das Gefühl, Herr Graf, als ob wir uns zwischen Franktireurs befänden und lasse nichts außer acht. Wir haben in Frankreich solche Kriegszüge, wo hinter jedem Baume einer von diesen Spitzbuben lauern konnte, kennen gelernt. Ich bin auf der Hut.«
Sumach ließ einen leichten Ausruf vernehmen, worauf Johnson sofort stillstand, ein Beispiel, dem die andern folgten, auch Michael.
»Was gibt's, Sumach?«