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»Ich will später mit Kapitän Blackwater reden. Bin ich einmal hier, so will ich das Aeußerste versuchen, um Gewißheit zu erlangen. Erklärt sich die bisherige Zurückhaltung der Indianer in Bezug auf Mitteilungen über das Schicksal meiner Schwester aus der naheliegenden Befürchtung, dafür noch nachträglich zur Rechenschaft gezogen zu werden, so wird es nach den jüngsten Vorgängen, die ihr Schuldkonto wesentlich bereichert haben, noch schwieriger sein, Aufklärung zu erlangen. Die Hoffnung, daß sie noch unter den Lebenden weile, ist mir längst geschwunden, aber der Gedanke will mich nicht verlassen, daß der Knabe, meiner Schwester Kind, noch atme. Aber wo und wie?«
»Es wird doch Mittel geben, irgend jemand von diesen Leuten zum Sprechen zu bringen, sei es durch Geschenke, sei es durch Drohungen?«
»Ich habe dir mitgeteilt, welche Anstrengungen der alte Baring und die Regierungsorgane gemacht haben, um Gewißheit über das Verbleiben meiner Lieben zu erlangen und daß alles dies vergeblich war. Der Kampf hat nun wohl jede Brücke abgebrochen, die zu einem Verständnis mit den Ottawas führen konnte.«
»Es ist aber der Fall nicht ausgeschlossen, daß sie jetzt, wo ihnen wahrscheinlich eine Züchtigung durch die Militärgewalt bevorsteht, gefügiger sind als früher.«
»Der Kapitän wird uns ja beistehen, wollen wir hören, was er meint. - Alles in Dunkel gehüllt, jede Spur der teuern Menschen verweht. Nach dem, was ich in diesen Tagen in diesen Wäldern erlebt habe, begreife ich wohl, wie jede Spur eines Menschendaseins hier für immer ausgelöscht werden kann. In welcher Wildnis mögen deine Gebeine ruhen, arme Luise?«
»Herr Graf, als wir in jenem Blockhause weilten, hatten wir die Hoffnung aufgegeben, mit dem Leben davonzukommen, und erfreuen uns heute doch noch des Daseins. Wollen wir die Hoffnung auch hier nicht aufgeben, das Schicksal Ihrer Frau Schwester aufzuklären.«
»Es ist wahr, Heinrich, unser Leben war verfallen, und wir atmen doch noch im rosigen Licht. Der tapfere Oberst hat mit seinem Herzblut unser Lösegeld bezahlt, der grause Scherge Tod war damit befriedigt und ließ uns entkommen. Mir kommt es vor, als ob ich dieses so errungene neue Dasein ohne Berechtigung führe, da es mit so edlem Blut erkauft worden ist.«
»Ja, ein heldenhafter, vornehmer Mann, dieser amerikanische Oberst, er schritt voran, als ob es zum Tanze ginge -«
»Und ging in den Tod. - Wie das arme Fräulein es nur tragen mag?«
»Eine sehr schöne Dame, Herr Graf.«
»Eine selten edle Schönheit, ein selten edles Mädchen. - Athoree und seine Mutter haben sie die weiße Rose getauft, diese Indianer entbehren doch nicht der Poesie.«
»O, das ist schön, Herr Graf: >Weiße Rose<. Das ist gut gewählt.«
»Weiße Rose,« wiederholte der Graf leise, »weiße Rose - wirst du je wieder im Hauche frischen, freudigen Lebens erblühen oder bist du gebrochen und entblättert für immer, wie meine arme Schwester?«
Er schwieg in trübem Sinnen, und Heinrich wagte das Gespräch nicht wieder aufzunehmen.
Der Konstabel trat aus dem Hause, warf einen Blick umher, und als der den Grafen traf, rief er ihm fröhlich zu: »Nun, Fremder, hat der Schlaf die traurigen Gedanken und die Erinnerung an gestern verscheucht? Ich habe geschlafen wie ein Rakoon im Winter, und meinetwegen könnte die Partie von neuem beginnen. Kalkuliere, bin der Mann dafür.«
»Ja, mein wackrer Mister Weller, ich glaube Euch das, habe nicht wenig Eure Kaltblütigkeit und Eure Laune inmitten der grimmigsten Gefahr bewundert.«
»Ist Gewohnheit, Mann, nur Gewohnheit - ist ein Fakt. Habe in den bunten Fähr-lichkeiten dieses Lebens gelernt, nie zu verzagen. Kommt die letzte Stunde einem jeden, dem früher, dem später. Muß es kaltblütig nehmen, kalkuliere, ist das richtige.«
»Gewiß, nur hat nicht jeder die Kraft, gleichmütig auch das Schlimmste hinzunehmen.«
»Bin als junger Bursche gegen die Miamis ausgezogen, am Sandusky, wißt Ihr. Waren damals in die Ansiedelungen gefallen, genau wie vor drei Jahren die Ottawas am Manistee. Zogen aus, mein alter Vater, Gott hab' ihn selig, wollte mich nicht mitnehmen, sei noch zu jung, war achtzehn Jahre, lief aber doch mit. Lachte der Alte, als er mich sah: >Hab' mir's gedacht. Wär' auch nicht zu Hause geblieben.< Na, fochten mit den Roten, nahmen mich
[305] gefangen, haben eine schöne Sitte, die Indianer, binden die Gefangenen an einen Baum und treiben Kurzweil mit ihnen, blutige Kurzweil, kann ich Euch sagen. Stand mit zwei andern am Marterpfahl, wie sie diese Vorrichtung nennen. War uns der Tod nahe gestern. Kann Euch sagen, war mir arg wehleidig ums Herz, war zu jung, um zu sterben, hätte gern gemeint, schämte mich nur. Da sollte ich mein Sterbelied singen, wollte die Bursche haben. Betete da laut zu unserm alten Herrgott, sollte es gnädig machen mit mir und uns. Hatte kaum Amen gesagt, krachen Büchsen in den Büschen und die Miamis geben Fersengeld. Waren unsre Leute, war mein Alter, wollte seinen Jungen wieder holen.
»>Hast du die weiße Feder gezeigt, Bob?< war seine erste Frage.
»>Nein, Vater,< sagte ich, wie es auch wahr, denn wenn ich auch Angst gehabt, gezeigt hatt' ich's nicht. Da löste er meine Bande und sagte: >Bist mein Blut, Junge. Alles, nur nicht die weiße Feder zeigen. Kannst vor unserm Herrgott dich demütigen, aber vor keinem Menschen, am allerwenigsten vor solchem Abschaum.< Seht, Herr, seit dem Tage, der mir in höchster Not vom Tode half, hoffe ich bis zum letzten Augenblicke. Stehen alle in Gottes Hand, Mann, weiß es schon zu machen. Ist ein Fakt, Fremder.«
»Auch uns hat er wunderbar genug errettet.«
»Kalkuliere, tat so. Hält mich mein Vertrauen auf Gott aufrecht in schlimmster Stunde.«
Athoree kam herangeschlendert.
»Ah, da ist ja John. Freue mich, Bursche, daß du dich so tapfer gehalten hast.«
Der Indianer hatte, seitdem er sich als Wyandothäuptling zu erkennen gegeben, eine bisher an ihm ungewohnte Würde angenommen.
Er entgegnete jetzt: »Nicht John mehr, Athoree, Konstabel.«
»Na, meinetwegen, wenn du das vorziehst. Wie steht's denn mit dem Rum, Bursche? Ist selten in den Wäldern, wie?«
Gelassen entgegnete Athoree: »Kriegspfad, Konstabel; trinken nicht auf Jagd, nicht auf Kriegspfad. Nicht trinken,« wiederholte er nachdrücklich.
»Das wäre? Wenn ein Indianer sich einmal dem Rum ergeben hat, so macht er es wie eine Fliege im Zuckerglase und nascht so lange, bis er ein seliges Ende findet.«
»Nein, Konstabel, Athoree hat sich uns als tapferer Wyandotkrieger bewährt und auch siegreich den Rumteufel bezwungen.«
»Pfft!« pfiff der Konstabel zwischen den Zähnen hindurch, »also [306] nun ist das Geheimnis heraus. Also ein Hurone bist du. Von wo? Von der Halbinsel oder aus den Kanadas?«
»Konstabel zu viel fragen, Athoree Wyandot, das genug.«
»Aber wie bist du denn an den Muskegon gekommen?«
»Gehen auf Mokassins hin,« entgegnete der Indianer mit trockenem Humor.
»Nun ja,« brummte Weller ärgerlich, »das konnte ich mir ungefähr denken. Aber warum bist du denn nicht bei deinem Volke geblieben?«
»Gefallen ihm am Muskegon besser.«
»So? Ja bringe einmal einer etwas aus einer Rothaut heraus, wenn sie nicht reden will. Und ich lasse mich hängen, wenn der Bursche da oben nicht etwas ausgefressen hat, was ihm den Aufenthalt bei seinem Stamm verleidet. Wird so sein, John, he?«
»Such du Spitzbuben, Konstabel, deine Sache. Warum Athoree nicht bei seinem Volke? seine Sache.«
»Nun wird er noch grob, immer besser. Also ein Hurone? Ist mir lieb, Ihretwegen, Herr Graf, denn die Huronen sind noch die zuverlässigsten und intelligentesten aller unsrer Indianer und haben vor allen Dingen keine Verwandtschaft mit den Chippeway-Völkern hier.«
Mit dem Tone warmer Anerkennung sagte Graf Edgar: »Athoree hat sich als treuer Freund und überaus tapferer Krieger gezeigt; was ihn auch von seinem Volke fern halten mag, nimmer glaube ich, daß es etwas Unehrenhaftes ist.«
»Hm, wird einen Skalp zur unrechten Zeit genommen haben.«
Ein so drohender Ausdruck zeigte sich in dem dunklen Gesicht des Wyandot, daß er den Konstabel sofort veranlaßte, einzulenken.
»Meine es ja nicht böse, John. Kommt ja vor bei Roten und Weißen, daß das Messer einmal etwas lose sitzt.«
Mit demselben finstern Ausdruck sagte Athoree: »Konstabel tut gut, nicht zu viel fragen. Athoree Wyandot, das genug.«
Damit entfernte er sich.
»Der Bursche hat da oben etwas auf dem Kerbholze, verlaßt Euch darauf, Fremder. Also ein Wyandot? So nennen sie sich nämlich selber, gemeinhin bezeichnet man sie als Huronen. Wir haben auf der nördlichen Halbinsel deren, welche dort auf ihrer Reservation hausen, als Nachbarn der Saulteux, eines Chippeway-Zweiges, der Hauptstamm aber sitzt in Kanada. Möchte doch wissen, ob der John aus Kanada kommt oder vom Machigumi?«
»Konstabel zu viel fragen,« wiederholte lächelnd der Graf, den Indianer nachahmend. [307]