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»Lassen wir den Kapitän erst seine Geschäfte erledigen, dann wird es Zeit sein, seinen Rat und seine Willensmeinung einzuholen.«
»Meiner Seele,« ließ Michael, welcher aufmerksam der Tätigkeit der Soldaten auf dem Walle gefolgt war, sich vernehmen, »meiner Seele, ein Gevatter Dreibein, ganz wie er in Leitrim aufgerichtet wurde, wenn ein lustiger Bursche ein Pferd gestohlen hatte.«
»So, stehlen die Irländer auch Pferde?« fragte Weller.
»Nun, kommt vor.«
»Aber hängen auch die Liebhaber von Pferdefleisch, he?«
»Jetzt nicht mehr, seit Jim O'Flanagan nicht mehr. Gehen jetzt übers Wasser.«[2]
»Schade. Also Jim O'Flanagan hat das abgebracht?«
»Gewissermaßen, ja, er war der letzte, der wegen eines jämmerlichen Gaules baumeln mußte, und er lebte vielleicht noch, wenn er den Johannistrunk nicht ausgeschlagen hätte.«
»O, wie ist das? Erzähl doch einmal, Bursche, höre gerne solche Sachen.«
»Nun, Sir, Jim O'Flanagan war der munterste Bursche in Leitrim, hatten ihn alle gern, war lustiges, fröhliches Gemüt, und schwang seinen Shillalah, daß es eine Freude war.«
»Hatte wahrscheinlich nur eine große Vorliebe für Pferdefleisch?« fragte der hartnäckige Konstabel.
»Nun, Sir, war nicht zu leugnen, hatte Unglück, der Bursche. Nahm ihn eines Tages der Sheriff fest, sollte dem Müller den Fuchs gestohlen haben. Jim sagte, wäre ihm auf der Landstraße begegnet, der Fuchs, hätte ihn nur festgehalten, um ihn dem Müller zurückzubringen.«
»Das glaubte man natürlich.« »Nein, Herr, leider glaubte man ihm nicht.«
»Merkwürdig.«
»Und der arme Jim sollte hängen. Nun, war nichts zu machen, mußte den Sprung von der Leiter tun. Hatte immer geahnt, der
[314] arme Jim, daß es einmal so kommen würde, hatte deshalb mit seinem Freunde Patrick O'Connor, dem Spielmann, abgemacht, und hatte ihm dieser auch fest versprochen, wenn er, Jim, einmal hinausgefahren würde, sollte Patrick dem Wagen vorausspielen, alle die schönen Lieder, die sie zusammen gesungen hatten. War fest versprochen.«
»Ist doch ein fröhliches Volk, das Irenvolk,« meinte Weller.
»Als nun der Tag kam, wo Jim fahren sollte, war Patrick nicht da. Wurde der Jim doch sehr verdrießlich, als er nirgends den lustigen Pfeifer erblickte, und sprach kein Wort mehr. Sah sich überall auf dem Wege um, aber kein Patrick kam. Lag zur Zeit betrunken irgendwo in einem Graben und schlief seinen Rausch aus, hätte sonst nimmer sein Wort gebrochen. Aber war gerade Johannistag, hatten eben gezecht, die Burschen. Als nun der Zug zum Wirtshause vor Dumfries kam, war gerade die Hälfte des Weges zum Galgen, kam die Wirtin heraus, um dem Delinquenten den letzten Trunk zu reichen, war Sitte so damals.
»Jim aber war so verdrießlich über das Ausbleiben seines Freundes, daß er den Trunk unwirsch zurückwies.
»>Ist Johannistag, Jim,< sagte die Wirtin, >schlag keinen Johannistrunk aus, bringt Unglück das.<
»>Nein, will nicht,< sagte dieser, >ärgere mich zu sehr über Patrick. Vorwärts!<
»Und weiter ging's, und Jim mußte baumeln.
»Kaum war's geschehen, kommt ein Reiter mit der Begnadigung angesprengt, sollte übers Wasser geschickt werden, der Jim. Hätte er den Trunk genommen, wäre der Reiter zur rechten Zeit gekommen, und Jim lebte heute noch. Seit dem Tage schlägt kein Ire einen Johannistrunk mehr aus, bringt Unglück.«
»Kalkuliere, täten's ohne deinen Jim O'Flanagan auch nicht.«
»Kann sein!«
»Ist denn die Geschichte nun auch wahr, Mann?«
»War nicht dabei,« lachte Michael, »wird von den Alten so erzählt.«
»Eine echt irische Geschichte, Fremder, könnt da etwas lernen, oder habt ihr auch so vergnügte Galgengeschichten in eurem Lande?«
»Ich glaube nicht, wenigstens entsinne ich mich keiner solchen, aber dies wird's wohl sein, was man recht eigentlich Galgenhumor nennt.«
»Ist ein absonderlicher Humor.«
[315]
Auf dem Tisch neben dem Kommandantenhause wurde Papier und Tinte aufgestellt und die Offiziere versammelten sich dort.
Dann erschien Kapitän Blackwater. Er nahm an dem Tisch Platz, ersuchte einen der jüngeren Offiziere, ein Protokoll aufzunehmen, und befahl dann, die Gefangenen vorzuführen.
Hierauf wurden Peschewa und die beiden mit ihm gefangenen Indianer gebunden vor ihn gebracht.
Der Ottawahäuptling, dessen zerschmetterte Schulter der Chirurg verbunden hatte, mußte gewiß furchtbare Schmerzen leiden, gab aber durch kein Zucken seiner Muskeln Kunde davon.
Mit einem Gesicht von eherner Unbeweglichkeit trat er vor die Kriegsrichter.
»Wie heißest du?« redete ihn Blackwater an.
Peschewa gab nicht Antwort.
»Wir haben keine Zeit, uns mit indianischen Finessen und indianischer Verstocktheit aufzuhalten. Schreiben Sie: Peschewa, erster Häuptling der Ottawa-Nation; da er Auskunft verweigerte, wurde seine Person festgestellt - von - wer kennt ihn, Leute?«
Edgar, Johnson, der Konstabel, Michael waren als Zeugen anwesend.
Der Konstabel trat vor: »Ich, Kapitän.«
»Dieser rote Mann ist also?«
»Peschewa, der Häuptling der Ottawas.«
»Seine Person festgestellt,« fuhr kaltblütig Blackwater fort, »durch Mister Weller, Konstabel im Dienste der Regierung.«
Johnson bezeugte die Persönlichkeit ebenfalls.
Auch seine Aussage wurde zu Protokoll genommen.
»Hast du etwas zu sagen, Peschewa?«
»Ich nicht Peschewa, nicht Ottawa, ich stammloser Häuptling.«
»Nun ja, meinetwegen, bleibe dabei. Du bist mit den Waffen in der Hand in diesem Fort festgenommen worden, nachdem du vorher durch einen listigen Ueberfall seine ganze Besatzung ermordet hattest.«
Ein Ausdruck grimmigen Triumphes zeigte sich in des Indianers energischem Gesicht: »Peschewa nahm für jeden Schlag, den ihm der Häuptling geben ließ, einen Skalp.«