158700.fb2 Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

XII Rivalen

Am Tage nach dem Setzen der Admiralsflagge auf der Trojan und Konteradmiral Coutts Anbordgehen schritt Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab, warf gelegentlich ein Auge auf die Vormittagswache und genoß im übrigen die frische Nordwestbrise. Während der Nacht waren die Resolute und die Fregatte Vanquisher achteraus verschwunden und kreuzten nun nach New York zurück, was der Wind ihnen nicht gerade leicht machte.

Für die Trojan sahen die Dinge anders aus, als habe Coutts unerwartete Ankunft zugleich eine Änderung der Verhältnisse bewirkt. Sie muß einen prächtigen Anblick abgeben, dachte Bolitho, während er, geschickt die Bewegungen des Schiffes ausnutzend, fast schwerelos in Luv des Decks auf und ab ging. Sie hatte ihre Schönwettersegel gesetzt und fuhr Vollzeug, von Zeit zu Zeit warf ihr Bug aus dem azurblauen Wasser Gischtschleier bis weit über den Wellenbrecher hoch.

Der Kompaß zeigte stetig nach Südsüdost. Dieser Kurs führte den stattlichen Zweidecker mit sicherem Abstand von Land hinunter zu der langen Inselkette, die den Atlantik vom Karibischen Meer trennt.

Der Wind hielt die Hitze fern und gestattete es den weniger schwer Verwundeten, sich an Deck aufzuhalten, was wesentlich zu ihrer Genesung beitrug. Die Schwerverwundeten waren auf das Flaggschiff transportiert worden, jedoch würde wohl mancher von ihnen das Land nie wiedersehen.

Von den Gefangenen war nur einer an Bord geblieben, der Franzose Contenay. Er machte regelmäßige Spaziergänge an Deck, ohne jede Bewachung, und schien sich auf einem Schiff des Königs ganz zu Hause zu fühlen.

Bolitho wußte noch immer wenig über seinen eigenen Kommandanten. Die Freundlichkeit der Begrüßung an Bord war wieder Pears strenger und unnahbarer Haltung gewichen. Bolitho hatte den Eindruck, daß des Admirals Anwesenheit erheblich dazu beitrug.

Coutts war morgens an Deck erschienen. Jugendlich, entspannt und anscheinend interessiert an allem, war er vom Achterdeck über die Luvtreppe hinabgestiegen und hatte den mit bloßem Oberkörper arbeitenden Seeleuten, dem Zimmermann und dem Segelmacher zugesehen und schließlich dem Küfer, der wie üblich das Deck eines Kriegsschiffes in eine Art Ladenstraße verwandelte.

Er hatte mit den Offizieren und einigen der dienstälteren Leute gesprochen, den Master durch seine Kenntnis der Arktis beeindruckt und Midshipman Forbes durch ein paar wohlgezielte Fragen zu einem errötenden Stotterer gemacht.

Wenn Coutts beunruhigt war über die zweifelhafte Aussicht, ein weiteres Nachschubdepot des Feindes zu zerstören, oder über die Kommentare des Oberbefehlshabers zu seinem eigenmächtigen Handeln, so zeigte er das nicht im geringsten. Seine Pläne behielt er für sich, denn nur Ackerman, sein weltgewandter Flaggleutnant — es war der Offizier, den Bolitho damals bei dem Fest mit der halbnackten Frau in einer Kammer gesehen hatte — , und sein Privatsekretär besaßen sein Vertrauen.

Bolitho war klar, daß dies Pears über alle Maßen kränken mußte.

Er hörte Schritte an Deck; Cairns trat zu ihm an die Reling. Mit einem Blick umfaßte sein geschultes Auge die arbeitenden Gruppen an Deck und den Stand jedes einzelnen Segels.

Zu Bolitho sagte er:»Der Admiral ist bei unserem Captain, es gibt wohl dicke Luft. «Er wandte sich um und blickte bedeutungsvoll zum Kajütsoberlicht.»Ich war froh, die hohen Herren alleinlassen zu können.»

«Noch keine Neuigkeiten?»

«Nicht viele. Wie d'Esterre beim Pokern spielt der Admiral eine harte Hand. Er wird aufsteigen wie ein Komet, oder — «, er zeigte mit dem Daumen nach unten,»- fallen wie eine Sternschnuppe.»

Seit Coutts an Bord war, tauschte Cairns häufiger seine Gedanken mit dem Zweiten Offizier aus.

Langsam fügte er jetzt hinzu:»Unser Kommandant wollte wissen, warum die Trojan und nicht das Flaggschiff für diese Aufgabe ausgewählt wurde. «Er lächelte grimmig.»Der Admiral erklärte ihm eiskalt und seelenruhig, daß die Trojan das schnellere Schiff sei, und daß die Besatzung für ihre Tapferkeit eine Belohnung verdient hätte.»

Bolitho nickte.»Das glaube ich. Die Resolute ist schon viel länger hier draußen und hatte kaum eine vernünftige Überholung. Sie muß bewachsen sein wie eine Wiese.»

Cairns musterte ihn bewundernd.»Wir werden doch noch einen Politiker aus Ihnen machen. «Bolithos Verwirrung mit einer Handbewegung beiseite fegend, fuhr er fort:»Sie begreifen das doppelsinnige Kompliment? Coutts schmiert Pears Honig um den Bart mit Worten wie „Belohnung" und „besseres Schiff, um ihm im nächsten Augenblick beizubringen, daß sein eigenes Flaggschiff es eher verdient hätte.»

Bolitho schürzte die Lippen.»Das ist clever.»

«Schelme muß man erkennen, Dick.»

«Aber was ist dann der wahre Grund?»

Cairns runzelte die Stirn.»Ich vermute, er möchte das Flaggschiff auf der zuständigen Station haben. Aus demselben Grund hat er wohl auch die Vanquisher zurückgeschickt, weil er weiß, daß sie dringend im Geleitdienst benötigt wird, jetzt, da die Zahl der Kaperschiffe ständig zunimmt. Das alles wäre sinnvoll.»

Cairns senkte die Stimme, als Sambell, Steuermannsmaat der Wache, betont gleichgültig vorbeischlenderte.

«Er wird diesen Plan auch ausführen, die Belohnung einstecken oder die Fehler so gut wie möglich vertuschen. Unserem Kommandanten möchte er den Angriff nicht allein überlassen, traut es ihm wohl auch nicht zu. Außerdem braucht er einen Sündenbock für den Fall, daß alles schiefgeht, womöglich in einer Katastrophe endet; und das sollte nicht gerade sein eigener Flaggschiffkommandant sein. «Cairns beobachtete Bolithos Gesicht.»Ich sehe, Sie haben begriffen.»

«Solche Winkelzüge werde ich niemals verstehen.»

Cairns zwinkerte.»Eines Tages werden Sie sie sogar anderen beibringen.»

Weitere Schritte erklangen auf dem von der Sonne ausgedörrten Deck. Bolitho sah Pears und den Master aus dem Kartenraum kommen, letzterer trug die Ledertasche, in der er normalerweise seine Navigationsinstrumente aufbewahrte.

Bunce sah aus wie immer. Er blickte kurz auf den Kompaß, prüfte die Windrichtung und musterte die beiden Rudergänger, wobei seine lebhaften dunklen Augen unter den buschigen Brauen hervorblitzten.

Pears dagegen schien müde und übellaunig, als warte er ungeduldig darauf, die ungeliebte Aufgabe, die man ihm zumutete, anpak-ken und beenden zu können.

«Bald werden wir wissen, wo diese verdammte Insel liegt, Dick. «Cairns lockerte seufzend sein Halstuch.»Hoffentlich ist sie kein zweites Fort Exeter.»

Bolitho blickte ihm nach, als Cairns seinen täglichen Rundgang durchs Schiff fortsetzte, und überlegte, ob dieser wohl noch immer nach einer Gelegenheit suchte, von der Trojan wegzukommen, um ein eigenes Schiff zu übernehmen.

Soweit hatten die Offiziere der Trojan kein Glück gehabt, sobald sie ihren Schutz verließen. Sparke war gefallen, Probyn gefangen, nur er selbst war jedesmal zurückgekehrt wie der verlorene Sohn.

Dann sah er Quinn, ohne Rock und mit durchgeschwitztem Hemd, das ihm am Rücken klebte, zwischen dem Segelmacher und seinen Maaten einhergehen. Sein Gesicht war noch immer blaß und sah weit älter aus. Die Folgen des fürchterlichen Säbelhiebes über die Brust machten ihm noch zu schaffen, man sah es an seiner Haltung, seinem Gang, seinem verkniffenen Mund. Auch plagte ihn wohl ständig die Erinnerung an sein Versagen im Fort und an seinen selbstmörderischen Einsatz am Geschütz, ausgelöst durch Rowhursts offen zur Schau getragene Verachtung.

Fähnrich Weston rief plötzlich:»Die Spite signalisiert, Sir!»

Bolitho nahm das Glas aus der Halterung und stieg rasch in die Luvwanten. Es dauerte eine Weile, bis er die kleine Korvette gefinden hatte, ihren einzigen Begleiter bei diesem „Abenteuer", wie Cairns es bezeichnete. Jetzt hatte er die hellen Bramsegel der Spite erfaßt und entdeckte auch die leuchtenden Signalflaggen, die von der Rah wehten.

Weston hatte bereits im Signalbuch geblättert und rief aus:»Von Spite: Segel in Sicht im Süden!»

Bolitho wandte sich ihm zu und betrachtete ihn. Weston war jetzt der dienstälteste Fähnrich, und an ihm nagte wohl Pears Rat, Mr. Frowd an seiner Stelle zum kommissarischen Leutnant zu befördern. Der» Rat «eines Kommandanten war so gut wie ein Befehl.

Bolitho hatte beinahe Mitleid mit Weston. Beinahe. Denn er war ungeschlacht, feist, streitsüchtig und würde einen schlechten Offizier abgeben, wenn er lange genug lebte.

«Gut. Behalten Sie die Spite im Auge. Ich werde dem Kommandanten noch keine Meldung machen.»

Bolitho setzte seinen Spaziergang auf dem Achterdeck fort. Die Luft wirkte frisch, aber wenn man stehen blieb, spürte man die Kraft der Sonne. Bolithos Hemd war klitschnaß, und die Schulterwunde schmerzte wie ein Schlangenbiß.

Der Kommandant der Korvette würde jetzt vermutlich Überlegungen anstellen und ungeduldig auf des Admirals Entscheidung warten, ob er zur näheren Untersuchung des fremden Schiffes beordert wurde.

Eine halbe Stunde verging. Rauch quoll fettig aus dem Kombüsenschornstein, und Molesworth, der Zahlmeister, erschien mit seinem Assistenten auf dem Weg zur Proviantlast, um die tägliche Ration Rum oder Branntwein auszugeben.

Ein paar Marineinfanteristen, die auf der Back die Abwehr von Enterern geübt hatten, marschierten nach achtern und gaben ihre Lanzen wieder ab. Es war auch ein kleines Kontingent vom Flaggschiff dabei, das die Lücken auffüllen sollte, bis regulärer Ersatz eintraf. Bolitho dachte an all die kleinen Erdhügel auf der Insel. Wen interessierten sie jetzt noch?

Weston rief:»Von der Spite, Sir: „Voriges Signal gestrichenen"

Wahrscheinlich also ein Holländer auf erlaubter Fahrt, jedenfalls war Cunningham beruhigt. Möglicherweise war das fremde Fahrzeug auch mit äußerster Kraft geflüchtet, sowie es die Bramsegel der Spite gesichtet hatte. Mißtrauen machte sich in diesen Tagen bezahlt.

Stockdale kam über das Achterdeck auf seinem Weg zur Steuerbordbatterie. Im Vorbeigehen flüsterte er Bolitho zu:»Der Admiral,

Sir.»

Bolitho straffte sich und wandte sich um, als Coutts aus dem Schatten in das grelle Sonnenlicht trat. Er legte die Hand an den Hut und fragte sich, ob Weston ihn absichtlich nicht gewarnt hatte.

Coutts lächelte unbekümmert.»Guten Morgen, Bolitho. Noch immer auf Wache, wie ich sehe. «Er hatte eine angenehme, ruhige Stimme, ohne jedes Pathos.

Bolitho erwiderte:»Nur noch wenige Augenblicke, Sir.»

Coutts nahm ein Glas und studierte mehrere Minuten lang die weit entfernte Spite. »Guter Mann, Cunningham. Wird mit etwas Glück bald Kapitän werden.»

Bolitho sagte nichts, dachte aber an Cunninghams Jugend, an sein» Glück«. Mit Coutts Segen würde er Kapitän werden, und wenn der Krieg andauerte, dann war er wahrscheinlich in drei we i-teren Jahren Flaggoffizier, sicher vor Degradierung und unaufhaltsam auf dem Weg nach oben.

«Ich kann Ihre Gedanken beinahe hören, Bolitho. «Coutts reichte Westen das Glas, ohne sich umzudrehen. Wieder war die Bewegung beiläufig, aber genau berechnet.»Grämen Sie sich nicht. Wenn Sie an der Reihe sind, werden Sie entdecken, daß eines Kapitäns Leben nicht nur aus Bordeaux und Prisengeld besteht. «Einen Augenblick lang wurde sein Blick hart.»Aber eine Chance bietet sich immer, allerdings nur denen, die etwas wagen und Befehlsausführung nicht als Ersatz für Eigeninitiative gelten lassen.»

Bolitho sagte:»Ja, Sir.»

Er wußte nicht, was Coutts damit andeuten wollte. Daß für ihn Hoffnung bestand? Oder wollte er damit lediglich seine Gefühle Pears gegenüber zum Ausdruck bringen?

Coutts zuckte mit den Schultern und fügte hinzu:»Essen Sie heute abend mit mir zusammen. Ackerman wird noch ein paar andere einladen.»

Wieder spürte Bolitho die jugendliche Frische und Härte in Coutts Stimme.

«In meinen Räumen natürlich. Ich bin sicher, daß der Kommandant nichts dagegen haben wird.»

Er schlenderte von dannen und nickte Sambell und Weston im Vorbeigehen zu, als seien sie Bauerntölpel auf dem Dorfanger.

Die neue Wache sammelte sich bereits auf dem oberen Batteriedeck, und Bolitho wußte, daß Dalyell ihn gleich ablösen würde. Im Gegensatz zu George Probyn kam er nie zu spät.

Bolitho war verwirrt von dem Gehörten. Er fühlte sich geehrt durch Coutts Interesse, das ihn aber gleichzeitig beunruhigte; es kam ihm vor wie Treulosigkeit Pears gegenüber. Er lächelte über seine Verwirrung. Pears mochte ihn möglicherweise gar nicht, weshalb also die Skrupel?

Dalyell erschien, blinzelnd im grellen Sonnenlicht. An seinem Rock hingen noch ein paar Krümel.»Wache ist angetreten, Sir.«»Danke, Mr. Dalyell.»

Sie blinzelten sich vergnügt zu, ihre Fröhlichkeit vor den Leuten hinter einer Maske von Förmlichkeit verbergend.

Quinn hatte die beiden von der Backbordtreppe aus beobachtet, während sie das übliche Gewühl bei der Wachablösung beaufsichtigten. Die Sehnsucht, seinen Schmerz endlich zu meistern, überkam ihn mit Macht. Bolitho hatte es nach seiner Verwundung geschafft oder zumindest die Erinnerung daran aus seinem Gedächtnis gestrichen, während er selbst noch jeden Schritt, jede Bewegung sorgfältig berechnen mußte. Er sagte sich ständig, daß sein für einen Augenblick aufwallender Mut kein Zufall ge wesen war, daß er zwar einmal versagt, aber dann gekämpft hatte, um den Fehler wiedergutzumachen. Doch er spürte, daß die Besatzung ihn beobachtete, sein Selbstvertrauen abschätzte. Dies war auch der Grund, weshalb er an der Treppe auf Bolitho wartete, bevor er zum Essen ging. Bolitho war sein Halt, seine einzige Chance, wenn es überhaupt noch eine für ihn gab.

Dieser nickte ihm zu.»Noch nicht hungrig, James? Man hat mir erzählt, wir bekämen heute besonders gutes Rindfleisch, lag erst knapp ein Jahr im Faß!«Er legte Quinn die Hand auf die Schulter.»Finde dich damit ab, James.»

Als Quinn ihn ansah und den plötzlichen Ernst in Bolithos Augen bemerkte, wußte er, daß diese Worte nichts mit dem Essen zu tun hatten.

Die Rahen waren gebraßt, und die gewaltige Fläche der Segel füllte sich knallend. Die Trojan lag auf ihrem neuen Kurs.

Bolitho blickte Cairns an und tippte an seinen Hut.»Kurs liegt an, Sir.»

Cairns nickte.»Schicken Sie bitte die Freiwache unter Deck.»

Als die Seeleute, so schnell sie konnten, verschwanden, warf Bo-litho rasch einen Blick auf Pears, der mit dem Admiral zusammen auf der Luvseite des Achterdecks stand.

Es war einer jener feurigen Sonnenuntergänge dieser Breiten. Die beiden Männer hoben sich als Silhouetten gegen den blutroten Himmel ab, ihre Gesichter lagen im Schatten. Es war kein Irrtum möglich, man spürte Coutts Gereiztheit, Pears verbissenen Eigensinn.

Das vergnügte Abendessen in der großen Kajüte schien schon weit zurückzuliegen. Coutts hatte den größten Teil der Unterhaltung mit Witz und guter Laune bestritten, Pausen gab es nur, wenn die Gläser nachgefüllt wurden. Er hatte die Leutnants in seinen Bann geschlagen — mit Geschichten über Intrigen und Korruption bei der Militärregierung in New York, über die großen, alten Londoner Häuser, deren Herren — und noch öfter Damen — , in ihren Händen die Zügel der Macht hielten.

Als erst einmal Pears und der Master ihre navigatorischen Berechnungen beendet hatten, war der Zweck der Fahrt und der Zielort wie ein Lauffeuer durch die Decks gegangen.

Es war also eine kleine Insel in einer ganzen Inselgruppe, die in der Monapassage zwischen Santo Domingo und Puerto Rico lag. Von den meisten wegen der schwierigen Navigation gemieden, war sie ein idealer Umschlagsort für Waffen und Munition, bestimmt für Washingtons wachsende Flotte von Versorgungsschiffen.

Als Coutts seine Hoffnung auf eine rasche Beendigung ihrer Mission begründet hatte, spürten Bolitho und die anderen seinen Eifer, seine Erregung bei der Aussicht auf einen schnellen Sieg. Diesmal sollte ihm niemand mit einer Warnung zuvorkommen, kein noch so schneller Reiter konnte die Nachricht vom Nahen der Briten übermitteln. Diesmal nicht. Mit der Breite des Atlantik in ihrem Rük-ken, der scharfäugigen Spite vor ihnen, hatte Coutts guten Grund zur Zuversicht.

Aber das war vor fünfzehn Tagen gewesen. Inzwischen hatte es Verzögerungen gegeben, die Coutts und seinen Offizieren den Stempel der Ungeduld aufgedrückt hatten. Mehrmals war die Trojan zum Beidrehen gezwungen, während die Spite unter vollen Segeln davonbrauste, um ein fremdes Schiff zu untersuchen, und dann mühselig zur Berichterstattung wieder zurückkreuzen mußte. Der Wind hatte auch verschiedentlich geschralt, wie Bunce vorausgesagt hatte. Im großen und ganzen war er ihnen jedoch günstig gewesen.

Jetzt, da wieder ein Sonnenuntergang Dunkelheit über das Schiff breitete, spürte Bolitho die wachsende Ungeduld, ja den Ärger in Coutts raschen Bewegungen.

Wieder einmal war die Spite vorausgeschickt worden um festzustellen, ob die kleine Insel in der Tat diejenige war, die in den von Paget gefundenen Dokumenten beschrieben wurde. Falls dies zutraf, sollte Cunningham ein Boot an Land schicken und nach Möglichkeit die Stärke des Feindes feststellen. Wenn er niemanden antraf, sollte er sofort zurückkommen und berichten. In jedem Fall hätte er inzwischen zurück sein müssen. Bei dem in den Tropen üblichen raschen Hereinbrechen der Dunkelheit war mit einer Kontaktaufnahme vor morgen früh nicht mehr zu rechnen: wieder ein Tag verstrichen, weitere Ungewißheit.

Bolitho stand stramm und berührte grüßend seinen Hut, als Pears mit lauten Schritten an ihm vorbeiging. Das Zuschlagen der Karten-raumtür war ein weiterer Beweis seiner schlechten Laune.

Bolitho wartete nun darauf, daß Coutts ihn ansprach.

«Ein langer Tag, Bolitho.»

«Aye, Sir. «Bolitho blickte ihn an und versuchte, des Admirals Gefühle zu ergründen.»Das Barometer steht gleichmäßig hoch, wir sollten diesen Kurs die Nacht über beibehalten können.»

Coutts hatte gar nicht hingehört. Er stützte sich auf die Reling und starrte hinunter zur Backbordbatterie von Achtzehnpfündern. Er trug keinen Hut, und der Wind blies ihm das Haar in die Stirn, was ihn noch jugendlicher erscheinen ließ.

Dann fragte er leise:»Sind Sie wie die anderen, Bolitho? Halten auch Sie mich für verrückt, weil ich dieses Unternehmen mit aller Gewalt zu Ende führen will, obwohl es auf nichts weiter fußt als auf einem gekritzelten Zettel?»

«Ich bin nur ein Leutnant, Sir. Ich wußte gar nicht, daß Zweifel daran bestehen.»

Coutts lachte bitter.»Zweifel? Mein Gott, Mann, ganze Berge davon!»

Bolitho wartete. Er fühlte des Admirals Ungeduld, seine Enttäuschung.

Coutts fuhr fort:»Wenn Sie den Rang eines Flaggoffiziers erreichen, glauben Sie, die Welt gehört Ihnen. Aber das stimmt nur zum Teil. Ich war Kommandant einer Fregatte, und kein schlechter.»

«Ich weiß, Sir.»

«Danke. «Coutts schien überrascht.»Die meisten Leute, die einen Admiral sehen, scheinen zu denken, er sei nie etwas anderes gewesen — kein Seemann, kein Leutnant. «Vage zeigte er auf das Gewirr von Wanten und Spieren über ihnen.»Aber ich halte diese Information für wertvoll, sonst würde ich nicht meine Schiffe und meinen Ruf aufs Spiel setzen. Es kümmert mich nicht, was ein weichlicher Regierungsbeamter von mir denkt. Ich möchte, daß dieser Krieg rasch beendet wird, mit mehr Trümpfen auf unserer Seite als auf der des Feindes. «Er sprach schnell, seine Hände unterstrichen mit knappen Bewegungen seine Worte, seine Befürchtungen.»Jeder verstrichene Tag bringt uns mehr Feinde, dem Gegner mehr Schiffe, mehr Waffen. Wir haben keine Geschwader mehr übrig, aber die Aktivität des Feindes ist so groß, daß wir jede seiner Bewegungen überwachen und abdecken müssen. Kein Handelsschiff ist ohne Geleitschutz mehr sicher. Wir sind sogar gezwungen, Kriegsschiffe in die Davis Strait hinaufzuschicken, um unseren Walfang zu schützen! Dies ist keine Zeit für Furchtsame oder Zauderer, die darauf warten, daß der Feind zuerst handelt.»

Seine knappe, eindringliche Art zu sprechen, seine Gedanken mitzuteilen, war etwas Neues für Bolitho. Es kam ihm vor, als öffne sich seine enge Welt weit über den Rumpf des Schiffes hinaus und weiter in alle Seegebiete, wo Britanniens Autorität herausgefordert wurde.

«Ich habe mich gefragt, Sir…«Bolitho zögerte und fuhr dann fort:»Warum Sie das nicht von Antigua aus erledigen ließen. Wir sind die vierfache Entfernung gesegelt, die ein Patrouillenschiff von dort bis zur Insel zu bewältigen gehabt hätte.»

Coutts betrachtete ihn forschend und zunächst schweigend; sein eigenes Gesicht lag im Schatten, als suche er in Bolithos Frage nach Spuren von Kritik.

Dann sagte er:»Ich hätte die Spite zum Admiral nach Antigua schicken können, das wäre zweifellos schneller gegangen. «Er wandte sich ab.»Aber hätten sie dort etwas unternommen? Kaum. New York und die Bedrohung durch Washingtons Armeen sche inen von der Karibik aus unendlich weit entfernt zu sein. Nur vom Oberbefehlshaber hätte diese Anforderung kommen können, und da Sir George Helpman ihm über die Schulter sieht, zweifle ich, daß er mehr getan hätte, als einen Bericht an die Admiralität nach London zu schicken.»

Bolitho verstand. Eine siegreiche Seeschlacht war etwas anderes als der zähe Kleinkrieg hinter den Kulissen.

Coutts hatte Beweise in Händen, aber sie genügten nicht. Zu viele Leute waren gefallen, und jetzt, nach Probyns Gefangennahme und dem Verlust der Prise würde im fernen London möglicherwe i-se sogar die Zerstörung von Fort Exeter als unbedeutend angesehen. Mit der Genehmigung eines weiteren risikoreichen Unternehmens war kaum zu rechnen.

Andererseits konnte ein rascher, entschlossener Angriff auf eine Nachschubbasis direkt vor der Nase der Franzosen, die ihre Neutralität wie eine falsche Flagge zur Schau stellten, das Gleichgewicht wiederherstellen; besonders dann, wenn er erfolgreich beendet war, bevor ihn irgend jemand verbieten konnte.

Coutts schien seine Gedanken zu lesen.»Merken Sie sich eins, Bolitho. Wenn Sie einen hohen Rang erreicht haben, fragen Sie nie oben nach, was Sie tun sollen. Die höheren Geister bei der Admiralität neigen stets viel eher dazu, nein zu sagen, als ein Risiko einzugehen, das ihre wohlgeordnete Existenz gefährden könnte. Selbst wenn Sie Ihre Karriere, ja Ihr Leben aufs Spiel setzen, handeln Sie immer so, wie Sie es für richtig halten, und wie es für Ihr Land am besten ist. Wer nur handelt, um seinem Vorgesetzten zu gefallen, dessen Leben ist eine Lüge.»

Pears trat, kaum sichtbar in dem schwindenden Licht, auf sie zu und sagte schroff:»In einer Stunde können wir Segel kürzen, Mr. Bolitho, aber ich werde nicht beidrehen, dafür ist die Strömung hier zu stark. «Er blickte den Admiral an und fügte hinzu:»Wir müssen auch für die zurückkehrende Spite auf Position sein.»

Coutts nahm Pears Arm und führte ihn weg, aber nicht weit genug, als daß Bolitho den Ärger in seiner Stimme hätte überhören können, als er sagte:»Mein Gott, Sie treiben es zu arg, Kapitän! Ich nehme von Ihnen keine Anmaßung hin, weder von Ihnen noch von jemand anderem, hören Sie?»

Pears knurrte etwas Unverständliches.

Bolitho sah Couzens, dessen Gesicht im Schein der Kompaßbeleuchtung aufglühte, als er seine Eintragungen auf der Schiefertafel des Steuermannsmaaten machte. Er schien etwas zu symbolisieren: Jugend, Unschuld, Unwissenheit, je nachdem, wie man es ansah. Sie trieben alle auf etwas zu, das möglicherweise in einer Katastrophe enden würde. Coutts Gier nach einem Sieg würde sie vielleicht schon bald nach Strohhalmen greifen lassen. Pears Mißtrauen seinem Vorgesetzten gegenüber konnte ebenso ihnen allen gelten.

Bolitho fühlte sich zwischen den beiden hin und her gerissen. Er bewunderte Coutts mehr, als er sich eingestehen wollte, konnte aber auch Pears Vorsicht verstehen. Pears stand auf dem Gipfel seiner Karriere, während der Admiral sich selbst in einer weitaus größeren Rolle sah, und zwar schon in nächster Zukunft.

Er hörte Cairns auf dem oberen Batteriedeck mit Tolcher, dem Bootsmann, sprechen.

Die Routine des nächsten Tages wurde festgelegt, die niemals ins Stocken geraten durfte, weder im Krieg noch im Frieden, und wer auch in herrischem Schweigen auf dem Achterdeck auf und ab spazieren mochte. Das Schiff kam zuerst, morgen und an jedem weiteren Tag. Anstreichen, einen Mann auspeitschen, einen anderen befördern, Tauwerk und Spieren überholen, es hörte niemals auf, nie gab es ein Ende.

Bolitho fiel plötzlich ein, was Probyn über das Ausnutzen einer unvermuteten Chance gesagt hatte. Es war, als hörte er ihn sprechen.

Cairns würde das Schiff bald verlassen. Selbst Pears konnte ihn das nächste Mal nicht zurückhalten. Bolitho seufzte und fand keinen Trost in der Aussicht, daß er in einigen Wochen, ja vielleicht sogar Tagen, Cairns Arbeit verrichten würde, bis Pears einen erfahreneren Ersatz gefunden hatte.

Cairns würde einen guten Kommandanten abgeben, fair, energisch, intelligent. Ein paar Offiziere mehr wie er, und es würde genügend Siege geben, um jeden zufriedenzustellen, dachte er bitter.

Couzens kam auf seine Seite herüber und fragte:»Wird es wieder Kämpfe geben, Sir?»

Bolitho überlegte.»Sie wissen so viel wie ich.»

Couzens trat zurück, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen. Er hatte gesehen, daß der Admiral mit Bolitho wichtige Dinge erörterte. Natürlich konnte dieser so entscheidende Informationen nicht mit ihm, dem Fähnrich, teilen; aber zu wissen, daß Bolitho diese Informationen besaß, war beinahe so, als hätte er selbst sie erfahren.

Zu jedermanns Erleichterung wurden die obersten Segel der Spite bereits in der ersten Morgendämmerung gesichtet: eine kleine, blasse Pyramide, die mit so qualvoller Langsamkeit näher kam, daß Bolitho die schlechte Laune und Spannung rings um sich her wie eine Drohung spürte.

Die Decks wurden gerade mit Sand und Steinen gescheuert, und die verschwitzten Seeleute spülten ihr Frühstück mit Bier hinunter. Dann traten sie an zur Einteilung der vielen Aufgaben, die die Tagesroutine erforderte. Die Unteroffiziere hatten diesmal alle Mühe, die Leute davon abzuhalten, über die Reling zu blicken und das Näherkommen der Korvette zu beobachten.

Als diese so dicht herangekreuzt war, wie ihr Kommandant für vertretbar hielt, drehte sie in Lee der Trojan bei, ein Boot wurde rasch zu Wasser gelassen, und Cunningham kam herüber, um persönlich seinen Bericht zu erstatten.

Bolitho stand mit der Wache am Fallreep, um den jungen Kommandanten zu empfangen. Er beneidete ihn nicht, nachdem er gesehen hatte, wie Coutts ungeduldig an Deck auf und ab ging, wobei er wütend auf die Spite starrte. Auch aus Pears bissig erteilten Rügen für Kleinigkeiten, die er normalerweise nicht bemerkt hätte, konnte man dessen schlechte Laune spüren.

Cunningham jedoch zeigte keinerlei Befangenheit, als er durch die Pforte stieg, zur Flagge hin grüßte und den Blick ohne das geringste Zeichen eines Wiedererkennens gleichgültig über Bolitho schweifen ließ. Er ging nach achtern, um den Kommandanten zu begrüßen.

Später wurde Bolitho in die Kajüte gerufen, wo Cairns und Ackerman bereits warteten.

Es überraschte ihn nicht, daß er hinzugezogen wurde, denn es war üblich, daß der Erste Offizier und sein unmittelbarer Untergebener an solchen wichtigen Besprechungen teilnahmen.

Sie hörten Pears laute und ärgerliche Stimme aus dem Speiseraum, und Cunninghams knappen, beinahe beiläufigen Ton, mit dem er etwas erklärte.

Cairns blickte Ackerman an.»Sie scheinen heute alle schlechter Laune zu sein.»

Ackermans Gesicht blieb ausdruckslos.»Der Admiral wird sich durchsetzen.»

Die Tür wurde aufgestoßen, und die drei Offiziere traten so abrupt ein wie verspätete Zuschauer im Theater. Bolitho sah, daß aus Coutts Gesicht alle Ungewißheit verschwunden war.

Der Admiral meinte leichthin:»Meine Herren, Major Pagets Information hat sich als richtig erwiesen. «Er nickte Cunningham zu.»Sagen Sie es ihnen.»

Cunningham berichtete, wie er die kleine Insel entdeckt und im Schutz der Dunkelheit ein Landungskommando abgesetzt hatte. Es dauerte länger als erwartet, aber da Rauch von Holzfeuern in der Luft lag, mußten sie vorsichtig zu Werke gehen, um nicht entdeckt zu werden.

Bolitho vermutete, daß Cunningham sich diesen Bericht sorgfältig überlegt hatte, um von vornherein allen kritischen Fragen zu begegnen, die eventuell seinen Verdienst hätten schmälern können.

Der junge Kapitän fuhr fort:»Im Inneren der Insel liegt ein guter Ankerplatz, nicht groß, aber zur offenen See hin völlig abgeschirmt. Mehrere Hütten stehen dort, auch sind Hinweise für häufiges Laden und Löschen in ausreichender Menge vorhanden; außerdem gibt es Vorrichtungen für das Ausführen einfacher Reparaturen.»

Pears fragte scharf:»Wen haben Sie an Land geschickt?»

Bolitho sah Coutts kurzes Lächeln, als Cunningham ebenso scharf antwortete:»Ich ging selbst, Sir! Es gibt keinen Zweifel an meinen Beobachtungen.»

Coutts fragte:»Was sonst noch?»

Der junge Kommandant blickte Pears weiterhin fest an.»Ein Schoner mittlerer Größe liegt dort vor Anker, offensichtlich ein Freibeuter.»

Coutts warf ein:»Sicherlich wartet er auf ein Rebellenschiff. Ich möchte wetten, daß dort genug Waffen sind, um zwei bis drei Regimenter damit auszurüsten!»

Pears fragte hartnäckig:»Aber angenommen, es ist weiter nichts da als der Schoner?«Er blickte sich in der Kajüte um.»Das hieße doch, ein Ei mit der Keule aufklopfen!»

«Der erste Teil der Information hat sich als richtig erwiesen, Kapitän Pears. «Coutts beobachtete ihn intensiv.»Warum bezweifeln Sie den Rest? Die Insel ist offensichtlich wegen ihres günstigen Zugangs gewählt worden. Sie ist von den Großen wie von den

Kleinen Antillen, ja sogar vom spanischen Kolonialreich im Süden gleich gut zu erreichen und liegt ideal für den Warenumschlag oder für die Bewaffnung eines Handelsschiffes. «Vor Ungeduld fing er an, im Raum auf und ab zu gehen.

«Diesmal werden wir das Übel an der Wurzel packen, ein für alle Mal. Denken Sie daran. Wir brauchen ihnen nur auf ihrem Ankerplatz aufzulauern und jedes Schiff zu kapern, das einzulaufen versucht. Die Franzosen werden es sich überlegen, ihre Leute künftig dieses schmutzige Geschäft ausführen zu lassen. Und ein solcher Rückschlag wird auch ihren spanischen Freunden zu denken geben, bevor sie s ich wie Schakale über die Abfälle hermachen.»

Bolitho versuchte, es als Außenstehender zu beurteilen, nicht als Meinung seines Vorgesetzten, sondern als die eines Fremden, den er erst seit ein paar Wochen kannte.

War diese Entdeckung wirklich so wichtig? Spielte Coutts sie nicht hoch, ließ sie nur wichtig erscheinen?

Ein paar Hütten und ein Schoner, das klang nicht sehr vielversprechend; Bolitho sah an Pears ärgerlicher Miene, daß dieser genauso dachte.

Als er wieder aufblickte, hatte sich die Szene gewandelt. Foley, der Steward, stand mit einem Tablett da, und Wein wurde bereits herumgereicht, um Cunninghams Neuigkeiten zu feiern.

Coutts hob lächelnd sein Glas:»Auf einen Sieg, meine Herren, einen Sieg mit möglichst geringen Verlusten!»

Er wandte sich um und blickte aus den Heckfenstern; so sah er nicht, daß Pears Glas unbenutzt auf dem Tablett stand.

Bolitho kostete, aber wie seine Stimmung, so war auch der Wein plötzlich bitter.